Fehlt der Mut für wirkliche Reformen?
Der Schätzerkreis hatte gerade seine Prognose für das Jahr 2026 veröffentlicht und auch das „Kleine Sparpaket“ des Bundesgesundheitsministeriums war erst wenige Tage alt, als das Podium unter Moderation von Rebecca Beerheide vom Deutschen Ärzteblatt zusammentrat. Mehr als genug Gesprächsstoff also für die Runde – bestehend aus Tino Sorge (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes (GKV-SV), Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Mit dieser Kritik eröffnete Oliver Blatt den Abend: „Wir bekommen die Ausgabendynamik in der gesetzlichen Krankenkasse in den großen Versorgungsbereichen nicht in den Griff.“ Der GKV-SV habe ja ein Maßnahmenpaket vorgelegt, aber der Politik habe anscheinend der „Mut für den etwas größeren Wurf“ gefehlt.
Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen sind Pflicht
Wenn man steigende Zusatzbeiträge vermeiden will, müsse man dringend zu einer Einnahme-orientierten Ausgabenpolitik kommen. Darüber hinaus sei für die Krankenkassen nicht verhandelbar, dass sie endlich kostendeckende Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen erhielten.
In puncto Bürgergeld verwies Sorge auf die aktuellen Reformbemühungen der Regierung. Hier könnte man seiner Meinung nach schon viel weiter sein, wenn die vergangenen Regierungen – insbesondere die Ampelkoalition – Reformen nicht verschleppt hätten. Dahmen und Blatt nannten die Kommunikation aus dem BMG zu den Zusatzbeiträgen „unredlich“. Die Ministerin wecke falsche Hoffnungen, wenn sie von stabilen Beiträgen spreche. Blatt verwies darauf, dass der Schätzerkreis explizit nicht berücksichtigt habe, dass viele Krankenkassen noch ihre gesetzliche Mindestreserve auffüllen müssen. Das und die weiter steigenden Ausgaben in der GKV würden dazu führen, dass „wir ab dem 1. Januar nicht lange warten müssen, bis die ersten Kassen ihre Zusatzbeiträge erhöhen“.
Strukturreformen sollten auch mittel- und langfristig wirken
Das kürzlich vom Kabinett gebilligte Sparpaket des BMG im Umfang von zwei Milliarden Euro bezeichnete Dahmen als „total kopflos“ und „schlecht gemacht“. Aus seiner Sicht ist es unverständlich, dass man den Krankenhäusern einen Monat zuvor vier Milliarden Euro zusätzlich zugestanden hat und nun knapp die Hälfte dieses Betrags „wieder wegnehme“. Man müsse jetzt „Gas geben mit Strukturreformen, die nicht nur in kleinerem Zusammenhang Geld mobilisieren, sondern die auch mittel- und langfristig sehr stark wirken“. Die Notfallreform etwa könne einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der GKV-Ausgaben leisten.
Pantazis merkte an, er habe sich bei dem Sparpaket auch „ein breiteres Portfolio“ vorstellen können, das zum Beispiel auch den Pharmabereich mit eingeschlossen hätte. Hier war Sorge anderer Meinung: „Wir können ja nicht sagen, wir wollen die Konjunktur anheizen, global agierende Unternehmen in Deutschland halten und etwas gegen Arzneimittelengpässe tun und dann Maßnahmen ergreifen, die ein negatives Signal senden.“
Was ist mit der Ärzteschaft?
Offenbar fühlte sich Sorge mehrfach veranlasst zu betonen, die Regierung sei sich im Klaren darüber, dass kurzfristige Sparmaßnahmen nicht die Lösung sind. Langfristig brauche die GKV strukturelle Entlastung. Konkreter wurde der Staatssekretär nicht, sondern verwies auf die GKV-Finanzkommission, die im Frühjahr 2026 erste Vorschläge vorlegen soll.
„Was ist mit der Ärzteschaft? Auch die müssen jetzt bitte ihren Beitrag leisten.“
Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender GKV-Spitzenverband
Blatt appellierte in der Schlussrunde noch einmal an die Koalitionäre, bei den Reformen breiter anzusetzen: „Was ist mit den Arzneimittelherstellern? Was ist mit den Herstellern? Was ist mit der Ärzteschaft? Auch die müssen jetzt bitte ihren Beitrag leisten.“
Konkret nannte er für den ambulanten Bereich die schnelle Terminvermittlung. „Dafür bezahlen die Kassen zurzeit zusätzlich Geld, aber wir bekommen keine Leistung dafür“, so Blatt. Darauf antwortete Sorge, dass solche Instrumente wichtig seien, weil sie die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger mit dem Gesundheitssystem erhöhten.




