Nadelstichverletzungen im Gesundheitsdienst

Vorkommen, Folgen und Vorbeugung

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Nadelstichverletzungen (NSTV)

Verletzungen mit gebrauchten scharfen oder spitzen Instrumenten sind die größten Gefahrenquellen bei der Übertragung vom Hepatitis-B-, Hepatitis-Coder Humane-Immundefizienz-Virus. Wenn man über die Häufigkeit von NSTV im Gesundheitsdienst spricht, muss man prinzipiell zwei Bereiche unterscheiden. Zum einen den Bereich der stationären Pflege, wo die Verletzungen durch Hohlnadeln im Vordergrund stehen und zum anderen den zahnmedizinisch/ chirurgisch-invasiven Bereich, wo die Verletzungen nicht so häufig mit Hohlnadeln geschehen, dafür aber die Anzahl der durch Gebrauch von spitzen, scharfen und rotierenden Instrumenten entstandenen Verletzungen insgesamt wesentlich höher ist als im Bereich der stationären Pflege.

Vorkommen

Zu Verletzungen kommt es sehr häufig bei der Durchführung von chirurgischen Eingriffen [1], in der Zahnmedizin [2] und bei der Blutentnahme [3]. Das Arbeiten unter Stress-Bedingungen (zum Beispiel im Rettungsdienst [4,5]) und in der Nacht [6] sowie die Unerfahrenheit bei Berufsanfängern [7] und eine hohe HIV-Durchseuchung bei Patienten [8] führen zu einer erheblichen Steigerung der NSTV-Rate. Die Häufigkeit von NSTV im Bereich der stationären Pflege wurde im Rahmen einer eigenen Untersuchung [9] mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt. Insgesamt wurden n=692 Personen befragt, die im Gesundheitsdienst tätig waren. Es konnte dabei eine Anzahl von 0,98 NSTV pro Jahr pro Mitarbeiter festgestellt werden; 51 Prozent aller Unfälle passierten erst nach Gebrauch des Instruments: Der größte Anteil der Unfälle geschieht beim Entsorgen (37 Prozent), weitere 14 Prozent werden durch Fremdverschulden (zum Beispiel herumliegende Spritzen, bei der Übergabe gebrauchter Spritzen und mehr) verursacht (Abbildung 1).

Von den 623 NSTV wurden lediglich 58 (9,3 Prozent) gemeldet. Die große Anzahl von Nichtmeldungen (n=92) kam aus dem Grund zustande, dass die Betroffenen angenommen hatten, bei der NTSV handele es sich um eine Bagatelle. Eine NSTV sollte aber immer gemeldet werden, da zum einen die postexpositionelle Prophylaxe (PEP) und Therapie so schnell wie möglich zu beginnen hat (Immunglobulin-Gabe, Impfung, Chemoprophylaxe), zum anderen die Meldung ein wichtiger Schritt im Hinblick auf ein eventuelles Anerkennungsverfahren zur Berufskrankheit ist.

Durch Blut übertragbare Infektionskrankheiten

Die durch Blutkontakt übertragbaren Infektionserreger, besonders Hepatitis-B-(HB), Hepatitis-C (HC)- und HI-Virus, stellen ein wichtiges berufliches Risiko bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst dar. Vor allem werden HB und HC häufiger als jede andere Infektionskrankheit bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege als beruflich erworbene Leiden angezeigt [10].

Die Daten, die durch die Beobachtung der Folgen von Nadelstichverletzungen (NSTV) mit infektiösem Blutkontakt bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst gewonnen werden konnten, zeigen, dass beim HB-, HC- und HI-Virus ein Infektiositätsgefälle (in dieser Reihenfolge) um jeweils den Faktor 10 besteht (Tabelle 1) [11].

Die Übertragbarkeit von HCV wurde bislang wesentlich besser untersucht als diejenige von HBV und HIV. Grund dafür ist die Unmöglichkeit der Verhütung einer HCVInfektion nach stattgefundener Verletzung. Das größte Risiko für eine HCV-Übertragung haben Angehörige der chirurgischen Fächer sowie Zahnärzte. Dies geht auch aus Studien zur anti-HCV-Seroprävalenz von Angehörigen verschiedener zahnmedizinischer Berufe hervor (Tabelle 2).

In einer Untersuchung in Freiburg [20] wurde bei 245 Probanden mit erhöhten Transaminasen der Anti-HCV-Serostatus erhoben (Abbildung 2). In 22 Fällen (neun Prozent) zeigte sich ein positives Ergebnis, wobei Angehörige des medizinischen Bereiches überwogen. Während unter den 163 Beschäftigten aus medizinischen Abteilungen 19 anti-HCV-positiv waren (11,6 Prozent), fand sich bei nur bei drei der 82 nicht im medizinischen Bereich tätigen Personen ein derartiges Ergebnis (3,6 Prozent). In dieser Studie wurde im Vergleich zu den Beschäftigten im nicht-medizinischen Bereich (Äquivalent für die „Allgemeinbevölkerung“) ein 3,2-fach erhöhtes Risiko für Anti-HCV-Seropositivität für Beschäftigte im medizinischen Bereich und ein 5,6fach erhöhtes Risiko für Beschäftigte in der Zahnmedizin ermittelt (p < 0,05).

Vorbeugung

Bei den Personen, die nach einer HBGrundimmunisierung keine oder ungenügende Menge schützender Antikörper (Non- und Lowresponder) entwickelt hatten [21] sowie bei der Prävention der durch Blutkontakt übertragbaren Infektionskrankheiten, bei denen zurzeit keine Impfprophylaxe möglich ist, stehen vor allem sicherheitstechnische und organisatorische Vorbeugungsmaßnahmen im Vordergrund [22]. Nur durch Maßnahmen des technischen Infektionsschutzes (wie sichere Instrumente, Abwurfbehälter, persönliche Schutzausrüstungen, vor allem Handschuhe und mehr) und organisatorische Verbesserungen (ergonomisch günstige Aufstellung von Abwurfbehältern, gute Arbeitsplatzbeleuchtung, exaktere Arbeitsanweisungen und Ähnliche) kann die Zahl der Unfälle mit kontaminierten scharfen oder spitzen Gegenständen um bis zu 70 Prozent gesenkt werden [23].

In einer Interventionsstudie, wo diese Maßnahmen zur Geltung gekommen waren, konnte die Anzahl von NSTV von 1,5 NSTV/10 000 intravenös erfolgten Eingriffen auf eine Zahl von 0,2/10 000 gesenkt werden [24]. Den Durchbruch bei der Senkung der Verletzungsrate in dieser Studie stellte jedoch die Einführung sicherer Instrumente dar: Innerhalb von vier Jahren konnte die Verletzungsrate von 1,0/10 000 auf 0,4/10 000 reduziert werden. Bei der Einführung sicherer Instrumente in die alltägliche Praxis sind sowohl die kontinuierliche Aufklärung und Schulung der Belegschaft [25] als auch die Einbindung des Personals in die Beschaffungsentscheidung von großer Bedeutung [26], da sichere aber unbequeme Instrumente nicht eingesetzt werden, weil sie angeblich die Arbeit „behindern“ [27]. Auch die Patientenaufklärung vor Eingriffen, mit dem Ziel, plötzlichen unvorhergesehenen Reaktionen des Patienten vorzubeugen, führt zur Senkung der NSTV-Rate. Die intakten medizinischen Handschuhe stellen eine sehr effektive Barriere gegen Erreger dar, werden aber bei Gebrauch sehr häufig beschädigt [29]. Da Handschuhe während operativer Eingriffe hohen Belastungen ausgesetzt sind und es daher häufig zu Perforationen kommt, sollten sie immer wenn möglich doppelt getragen, optisch regelmäßig auf die Leckagen geprüft und gegebenenfalls nach der Perforation ausgewechselt werden. Das Tragen doppelter Handschuhe mit regelmäßiger Auswechslung des äußeren Handschuhs kann das Blutkontaktrisiko auf ein Fünftel bis ein Zehntel reduzieren [30]. Als zusätzliche Hilfe zur rechtzeitigen Erkennung von Läsionen kann das Benutzen von Indikationshandschuhen dienen. Darüber hinaus sollte ein routinemäßiger Wechsel von (äußeren) Handschuhen (zum Beispiel alle 30 Minuten) diskutiert werden.

PD Dr. med. Nenad KraljBergische Universität – Gesamthochschule Wuppertal, Fachbereich 14, SicherheitstechnikFachgebiet Arbeitsphysiologie, Arbeitsmedizin und InfektionsschutzGauss-Straße 20, 42097 Wuppertal

\n

Erreger

Infektionsrisiko nach einer NSTV

\n

Hepatitis-B-Virus (HBV)

Bis 100 Prozent

\n

(in Abhängigkeit von Viruslast)

\n

Hepatitis-C-Virus (HCV)

2,7–10 Prozent

\n

Humane-Immundefizienz-Virus (HIV)

<0,3 Prozent

\n

\n

Land

Probanden

N

Seroprävalenz %

Kommentar

Lit.

\n

Deutschl.

Zahnärzte

1003

0.8

1.4

[12]

\n

USA

Chirurgen

770

0.9

[13]

\n

USA

Zahnärzte gesamt allg. Zahnärzte Kieferchirurgen Kontrollen

456 413

\n

43

\n

723

1.75

\n

0.97

\n

9.3

\n

0.14

12.9 (vs. Kontrollen)

\n

OR 10.5

\n

(Kieferchirurgen vs

\n

allg. Zahnärzte)

[14]

\n

USA

Zahnärzte Kieferchirurgen

305 343

0.7

\n

2.0

OR 3.2

[15]

\n

Taiwan

Zahnärzte Blutspender

461 0.9

0.65

Keine Kontrollgruppe

[16]

\n

USA

Zahnärzte

1437

<1.0

Keine Kontrollgruppe

[17]

\n

USA

Zahnärzte

291

<1.0

Keine Kontrollgruppe

[18]

\n

Nigeria

Zahnärzte

25

11.0

Kontrollgruppe 12.0 %

[19]

\n

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