Wer alles bewahren will, muss alles verändern
Sehr verehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,
„Wenn wir alles bewahren wollen, müssen wir alles verändern“ – diese Worte von Marcel Proust treffen, was die derzeitige Situation unserer Profession angeht, den Nagel auf den Kopf. Die Gesellschaft befindet sich im Wandel, der Berufsstand des Zahnarztes ebenfalls. Demografische Entwicklung, technischer und medizinischer Fortschritt, neue Formen der Praxisausübung – all dies sind Aspekte, denen wir uns stellen müssen. Das geht nur dadurch, dass wir uns als Heilberuf weiter professionalisieren.
Moment mal, mag sich so mancher Kollege fragen, mit der Erteilung der Approbation ist der Zahnarzt doch Profi, um die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde auszuüben! Ja, das ist er, doch genau genommen ist er dies nur einen einzigen Tag. Denn danach beginnt die dauerhafte Aufgabe, sich diese Befähigung zu erhalten und auszubauen.
Ein hochkarätiges Symposium der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung in Karlsruhe hat Vordenkerarbeit geleistet und eindrucksvoll gezeigt, welche neuen Wege wir beschreiten müssen (siehe auch den Bericht in diesem Heft).
Entscheidend ist, dass wir als Berufsstand die Dinge eigenverantwortlich aufgreifen. Dabei vestehen wir uns als Freiberufler, und zwar nicht in uneingeschränkter Freiheit handelnd, sondern stets mit einem Augenmerk auf unsere gesellschaftliche Verantwortung. Unsere Tätigkeit ist und bleibt individuell schöpferisch, in fachlicher wie wirtschaftlicher Unabhängigkeit und als Sachwalter unserer Patienten.
Aus diesem Selbstverständnis heraus gestaltet sich die Weiterentwicklung unseres Berufsstandes. Der Zahnarzt der Zukunft ist der klassische Hauszahnarzt. Implantologie und Parodontologie gehören in jede Praxis. Darüber hinaus hat sich der Kollege besondere Kenntnisse und Fähigkeiten auf ein bis drei Teilgebieten erworben. Daneben wird es eine Anzahl von „Spezialisten“ geben (Weiterbildung, Postgraduate etc). Prävention – die Grundlage jeder heilberuflichen Tätigkeit – ist die ethische Begründung unseres Tuns und Handelns. Dazu zählt neben der Primär- vor allem auch die Sekundärund Tertiär-Prävention.
Wir werden nicht umhin können, eine neue Approbationsordnung einzufordern. Die Vorarbeit ist geleistet. Basis ist die Medizin. Einzelne zahnmedizinische Disziplinen sollen zur Förderung des Wettbewerbs als Fächerkanon an den Hochschulen integriert werden. Ziel der akademischen Ausbildung ist es, nach dem Examen in der Lage zu sein, den Beruf vollwertig auszuüben. Danach ist Dreh- und Angelpunkt die zahnärztliche Fortbildung, deren Ziel darin besteht, die erworbene Kompetenz ein Leben lang zu erhalten. Und hier setzt der eigentliche Prozess der Professionalisierung an.
Mit dem Zahnheilkundegesetz von 1952, der Magna Charta unseres Berufsstandes, haben wir Zahnärzte im Vergleich zu den Ärzten, deren Verantwortlichkeiten durch weitere Hilfsberufe eingeschränkt sind, ein großes Privileg. Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde darf nur von approbierten Zahnärzten ausgeübt werden. Die Organisation unseres Berufsstandes wurde uns vom Staat übertragen. Das Modell des Korporatismus stellt den Inbegriff von Subsidiarität und Deregulierung dar. Wir werden diese Unabhängigkeit der Berufsausübung verteidigen und die Ordnungsmäßigkeit garantieren, getreu dem Motto, wenn wir es selbst nicht tun, dann wird der Staat uns das Heft aus der Hand nehmen. Damit haben wir gesellschaftlich bedeutende Aufgaben übernommen, wie zum Beispiel den Patienten- und Verbraucherschutz oder die Gewährleistung der Freizügigkeit der Berufsausübung, ein Aspekt, der gerade auch in Bezug auf ein zusammenwachsendes Europa immer relevanter wird.
Wir werden uns mit gestalterischer Aktivität in die gesellschaftlichen Prozesse einbringen und dabei mit Selbstbewusstsein, nicht aber mit Selbstüberschätzung agieren. Unsere Kompetenz beruht auf unangreifbarer Fachlichkeit und Unabhängigkeit. Und unsere Kompetenz beruht auf einer lebenslangen Professionalisierung durch Fortbildung auf allen Ebenen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer