Weichenstellung für die Pflegeversicherung

Verschiebebahnhof

Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten „Koordination und Qualität im Gesundheitswesen“ dazu geraten, die Pflegeversicherung wieder in die Krankenkassen zu integrieren. Dann wäre es nach rund zehn Jahren wieder vorbei mit ihrer Eigenständigkeit. Für die Parteien höchste Zeit, die Weichen neu zu stellen.

Fusionieren liegt seit langem im Trend. Auch bei den gesetzlichen Versicherungen wird die Fusion als Fortschritt gefeiert, etwa bei der Rentenversicherung. Wen will es wundern, wenn auch der Gesundheitssektor unter die Lupe kommt, Stichwort: (Re)Integration der sozialen Pflegeversicherung (SPV) in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). So lautet eine der Forderungen, die der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten unter Vorsitz von Prof. Dr. Eberhard Wille formuliert.

Mit ihrem Vorschlag, die Pflegeversicherung als eigenständigen Zweig der Sozialversicherung nach gerade zehn Jahren wieder abzuschaffen, stellten die Sachverständigen nicht etwa die Pflege als solche in Frage. Sie monierten vielmehr die Unwirtschaftlichkeit des dualen Systems von GKV und SPV. Unbeantwortet ließen sie die Frage nach der künftigen Finanzierung.

Trotz unterschiedlicher Strukturen – die eine als „Vollversicherung“, die andere als eine Art „Teilkasko“ – sicherten beide Systeme vergleichbare, vielfach überlappende Risiken ab, erklärte Wille. Aber anders als der zwangsläufig wettbewerblich orientierten GKV gehe der SPV jeglicher Anreiz zu effizientem und effektivem Handeln ab, weil die „ökonomischen Anreizstrukturen unzureichend“ seien. Mangels klarer Grenzen für die Zuständigkeit würden Krankenkassen auf die potentielle Beitragssenkung schielen und fragliche Leistungen – besonders für Prävention und Rehabilitation – gerne zur SPV verschieben, so die Kritik. Der Nutzer habe das Nachsehen, ihm bleibe nur noch ein geringer Restbetrag seiner „Teilkasko“.

Das fünfte Rad

Die Taktik der Leistungsverschiebung beklagt auch Rainer Brückers, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Die wehrt sich – obwohl sie den Verschiebebahnhof eingesteht –, mit anderen Organisationen im Pflegerat allerdings vehement gegen die vorgeschlagene Fusion, denn die SPV „darf nicht fünftes Rad am GKV-Wagen sein.“

Eine Reform der SPV scheint jedoch unausweichlich. Seit 1999 steigen deren Defizite; Dieter Hundt, Präsident des Bundes der Deutschen Arbeitgeber (BDA); sieht die Rücklagen sogar in Bälde aufgezehrt – und die Gefahr für die Gesamtwirtschaft, dass auch hier die Beitragssätze steigen. Er fordert aus konjunkturpolitischen Erwägungen als ersten Schritt, von der bisherigen Koppelung an das Arbeitsverhältnis auf einkommensabhängige Prämien umzustellen. Die Sachverständigen hatten zu dem Punkt der möglichen künftigen Finanzierung unterschiedliche Vorschläge geäußert – etwa ein Prämienmodell oder eine Grundabsicherung – ohne sich auf einen davon zu einigen. In die Kritik gerieten die Sachverständigen übrigens mit der Überlegung, ob private und gesetzliche Pflegekassen zusammengelegt werden sollten. Die SPD peilt nach Pressemeldungen an, über die Reform der Pflege die Bürgerversicherung zu installieren.

Bürokratie im Abmarsch

Bundesfamilienministerin Renate Schmidt legte Mitte Juli dem Bundeskabinett ein Zehnpunktepapier vor, wie sie die Pflege voranbringen will. Entrümpelung des Heimrechts und Vereinfachung der Pflegedokumentation waren zwei der Punkte auf dem Prüfstand, ein weiterer der Wunsch Betroffener, im Alter „normal“ zu wohnen.

Die FDP-Bundestagsfraktion forderte daraufhin in einem aktuellen Antrag an den Bundestag (BT-Drucksache 15/5732), einen weitergehenden, grundlegenden Paradigmenwechsel für die Pflegeversicherung. Auch sie will mehr Qualität und Transparenz in der Pflege in Deutschland, und diesen Sektor radikal „entbürokratisieren“. Die Liberalen setzen bei Lean-Management an: Zwei von fünf Arbeitsstunden müssten Pflegekräfte nach ihren Angaben zurzeit für Verwaltungsangelegenheiten aufwenden. Dieser Hemmschuh dürfte angestellten wie niedergelassenen Zahnärzten wohl bekannt vorkommen. 

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.