Die Zahnheilkunde ist neu beschrieben: Prävention als gemeinsames Ziel
Schon bevor der Paragraf 87 Abs. 2 b des SGB V den Auftrag lieferte, begannen die für Berufspolitik und Wissenschaft zuständigen Organisationen Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) sowie die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) ihre Arbeit. In vielen Kleinarbeitsgruppen, unter Mitwirkung diverser fachkompetenter Gutachter, Berater und Wissenschaftler aus allen zahnmedizinischen Fachgebieten, ist nun ein Papier entstanden, das in der Zahnheilkunde bislang einzigartig ist. Eine einhundert Seiten starke „Bulle“, die in allen Fachbereichen die Zahnheilkunde beschreibt, und zwar unter Berücksichtigung aller aktueller wissenschaftlicher fachübergreifender Parameter.
Wissenschaftlicher Fortschritt für die Praxis
Ganz unterschiedliche Fachgebiete, nicht nur die Zahnerhaltung, sondern Parameter der gesamten umfassenden Mundgesundheit, standen auf dem Programm, wobei, wie Prof. Wagner deutlich machte, die systematische Befunderhebung und Diagnostik die Basis für eine ursachengerechte Therapie bildete. Professor Dr. Elmar Hellwig, Freiburg, erklärte in seinem Beitrag, nach welchen Kriterien die Arbeitsgruppen vorgegangen sind und wie immer wieder einzelne Behandlungsschritte evaluiert und abgeglichen wurden. Er erläuterte das Prinzip an einigen Beispielen aus dem Bereich der Zahnerhaltung, deren Therapieziel heute ausschließlich minimalinvasive und damit substanzschonende Verfahren sind.
Professor Dr. Peter T. Sawicki stellte aus der Sicht seines „Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ eine Nutzenbewertung auf. Die Grundlage für jeglichen Fortschritt, so der Sozialwissenschaftler, sind aufgeschriebenes Regelwissen sowie eine konstruktive Kritik. Er stellte die Arbeitsweise seines Instituts vor, das sich als Mittlerfunktion zwischen reiner Wissenschaft und „Gesellschaft“ sieht.
Synergismus zwischen allen Organisationen
Prof. Dr. Jörg Meyle, Gießen, stellte aus der Sicht des Parodontologen alle erforderlichen Diagnoseschritte auf. Für ihn gilt die Erhebung des PSI (Parodontal Screening Index) mit der WHO-Sonde als erste Voraussetzung für eine präventiv orientierte Eingangsuntersuchung. Sollten sich hier bereits Merkmale einer Erkrankung zeigen, so ist nach entsprechenden Kriterien zu verfahren. Aus dem Fachbereich der Prothetik und Implantologie referierte Prof. Dr. Hans-Christof Lauer, Frankfurt, einzelne Befunde und ihre unterschiedlich möglichen Therapieverfahren. Er kam bei seiner Darstellung auf das politisch aktuelle Modell der Festzuschüsse, das seiner Ansicht nach dem Patienten sowie dem Zahnarzt wesentlich mehr Handlungs- und Therapiefreiheit lässt als bisherige Modelle. Auf diese Weise sei, so der Wissenschaftler, auch der medizinische Fortschritt in der Praxis umsetzbar.
Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZÄK, betonte ausdrücklich, dass nach einer strukturierten Diagnostik die wissenschaftlich abgesicherten Methoden und Maßnahmen der gesamten ZahnMedizin unter besonderer Berücksichtigung der Prävention beschrieben worden sind und diese allein dem Wohle der Patienten dienen.
ZahnMedizin im Wandel
Oesterreich wies auf die Herausforderungen der zukünftigen zahnmedizinischen Versorgung hin, die letztendlich die professionspolitische Grundlage für das umfangreiche Projekt der Neubeschreibung vorgeben.
Insbesondere erwähnte er aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse über Wechselwirkungen von Erkrankungen des Mundraums mit denen des Gesamtorganismus. So kann etwa eine schwere Parodontitis, an der in Deutschland rund 15 Prozent der Erwachsenen leiden, nachweislich das Herz-/Kreislaufsystem schädigen, Diabetes verstärken, zu Frühgeburten führen oder Atemwegserkrankungen auslösen. Prophylaxemaßnahmen oder die frühzeitige Behandlung solcher Zahnfleischerkrankungen können also dazu beitragen, wesentlich schlimmere Schäden zu verhindern.
Das Prinzip der Schadensvermeidung, frühzeitigen Erkennung sowie einer minimalinvasiven und ursachengerechten Restauration als Basis des neuen Konzepts muss nach Auffassung der drei Organisationen auch Eingang in den Leistungskatalog einer neu zu gestaltenden Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) finden. Seit die für die Privatpatienten maßgebliche GOZ Ende der 80er Jahre das letzte Mal aktualisiert wurde, hat die ZahnMedizin ihr Gesicht grundlegend verändert. Denn, so auch Dr. Jürgen Fedderwitz, Vorsitzender der KZBV, in seinem Statement: „In der GKV ist wissenschaftliche Innovation nicht zu implementieren, weil sie sich nicht an dem maximalen Fortschritt orientiert. Präventive Zahnheilkunde ist in der GKV nur eingeschränkt umsetzbar!”