Behandlungskomplikationen, Diagnostik und Management
Wenn eine Behandlungskomplikation auftritt, stellt sich unter anderem die Frage: wurde der Patient darüber aufgeklärt? Spätestens zu diesem Zeitpunkt erweist sich eine ausführliche präoperative Patientenaufklärung als gute Basis für eine weitere Behandlung. Die präoperative Patientenaufklärung soll eine Erklärung des Krankheitsbildes, Art, Umfang und die Notwendigkeit des Eingriffes beinhalten. Unerlässlich ist die Aufklärung über mögliche Komplikationen und alternative Behandlungsmöglichkeiten.
Als Zwischenfall-Prophylaxe gilt die ausführliche Anamnesenerhebung über die Erkrankungen des Patienten, seine Medikamenteneinnahme und die Verläufe früherer Eingriffe. Für eine zwischenfallarme Behandlung ist ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patienten besonders wichtig. Hier bewahrt zum Beispiel eine therapieorientierte psychische Führung vor ernsten Komplikationen und Zwischenfällen und trägt zum Therapieerfolg bei. Dabei können die Arbeitsschritte der Therapie als Kommunikation mit dem Patient dienen. Eine bequeme Sitzposition oder gegebenenfalls Liegeposition mit der Aufforderung zur ruhigen Atmung stellt bei aufgeregten Patienten die beste Prophylaxe einer Hyperventilation dar.
Als akute Komplikationen der zahnärztlichen Behandlung gelten folgende Situationen als häufig:• Blutung beziehungsweise Nachblutung• Schädigung benachbarter Zähne• Zahnfraktur• Tuberabriss• Wurzel- und Fremdkörperluxation• Kieferhöhleneröffnung• Nervenverletzung• Unterkieferfraktur
Eine intraoperativ auftretende Blutung kann arteriell oder venös sein. Bei einer arteriellen Blutung besteht die Gefahr der Verblutung. Deshalb ist eine sofortige Behandlung notwendig. Dabei können die Kompression und die Tamponade des Blutungsbereiches als erste Maßnahmen zur Anwendung kommen. Die Blutungsquelle muss danach identifiziert und gestillt werden. Während dies relativ problemlos im Falle einer venösen Blutung gelingt, ist eine arterielle Blutung häufig nur durch einen operativen Eingriff in einer klinischen Einrichtung unter Kontrolle zu bringen.
Ausgedehnte postoperative Hämatome sind im Regelfall venösen Ursprungs und könnten durch Medikamenteneinnahme oder Behandlungstrauma (Abbildung 1) bedingt sein. Im letzteren Fall sollte eine angeborene (zum Beispiel Faktor VIII- und IXMangel) oder erworbene Koagulopathie (wie schweres Leberleiden mit Mangel an den Faktoren II,V,VI, X) oder Thrombopathien (wie bei Leukämie oder als Folge der Einnahme von Acethylsalicylsäure oder Pyrazolonderivaten) in einer hämatologischen Einrichtung abgeklärt werden (Abbildung 2). Durch eine präoperative Befragung können Gerinnungsstörungen häufig erfasst werden, was den Wert einer sorgfältig erhobenen Anamnese unterstreicht. Im Falle der Nachblutung bei einer therapeutischen Einnahme von Antikoagulantien der Cumarinreihe (zum Beispiel Marcumar, Falithrom) ist eine gezielte Wundbehandlung mit resorbierbaren Tamponaden, Hämostyptikum und Fibrinkleber sowie Verschluss mit Nähten meist der sicherste Weg, rezidivierende Blutungen zu vermeiden. Das gleiche Vorgehen führt normalerweise bei einer arteriellen Blutung aus dem Knochenbereich zur Blutungsstillung. Patienten mit stärkeren Blutungen sind nach dem Einleiten der ersten Maßnahmen zur Blutungsstillung (Kompression, Druckverband) in eine Fachklinik einzuweisen .
Zahnfraktur
Die Zahnfraktur ist die häufigste lokale Komplikation bei der Durchführung einer Zahnextraktion. Die Gründe hierfür sind unter anderem die Brüchigkeit des Zahnes, ungünstige anatomische Verhältnisse und brüske Extraktionsbewegungen. Die Benutzung der richtigen Instrumente sowie „dosierte“ Extraktionsbewegungen sind gute prophylaktische Maßnahmen, um diese Komplikation zu vermeiden. Bei einer Kronen- oder Wurzelfraktur sollte der Patient informiert, die Arbeitsschritte genau dokumentiert und ein Röntgenbild angefertigt werden. Wurzeln oder Wurzelteile dürfen nicht belassen werden.
Tuberabriss
Eine Fraktur des Tuber maxillae kann bei der Extraktion der Zähne 18 und 28 vorkommen, wenn eine massive knöcherne Verankerung vorliegt oder wenn die Kraftrichtung bei der Extraktion hauptsächlich transversal angelegt wird. Im Falle eines Tuberabrisses entsteht eine breite Eröffnung der Kieferhöhle und dadurch eine große Blutungs- und Infektionsquelle. Sollte diese Komplikation während der Behandlung bemerkt werden, empfiehlt es sich, die Extraktion abzubrechen und entsprechende Maßnahmen zur Stabilisierung durchzuführen. Wenn der extrahierte Molar samt dem Tuber entfernt wurde, muss eine plastische Defektdeckung mit dem umliegenden Weichteilüberschuss einschließlich lückenlosem Wundverschluss durchgeführt werden (Abbildungen 4 a,b).
Mund-Antrum-Perforation
Die enge anatomische Beziehung der Oberkiefermolaren zur Kieferhöhle und die dünne von der Kieferhöhle trennende Knochenschicht sind prädisponierende Faktoren für die Eröffnung der Kieferhöhle. Die Häufigkeit dieser lokalen Behandlungskomplikation liegt bei 30 bis 55 Prozent im Bereich des ersten und zweiten Oberkiefermolaren. Nach der diagnostischen Sicherung der Mund-Antrum-Perforation (klinisch und röntgenologisch) muss ihre Ausdehnung bestimmt werden, da die Therapieform davon abhängt. Bei einem Perforationsdurchmesser von mehr als drei Millimetern wird die Entwicklung einer Sinusitis wahrscheinlich, und nach sechs Stunden kann von einer Infektion der Kieferhöhle ausgegangen werden. Daher ist eine frische Kieferhöhleneröffnung so bald wie möglich zu verschließen. Das am weitesten verbreitete Verfahren zum Verschluss der Kieferhöhlenperforationen stellt die operative Defektdeckung durch Mukoperiostlappen aus den vestibulären oder palatinalen Weichteilen dar.
Nicht selten kann sich die Kieferhöhleneröffnung als Behandlungskomplikation zusätzlich durch eine Luxation einer Zahnwurzel oder eines Fremdkörpers ungünstig entwickeln. Hier gilt die rasche Entfernung der luxierten Wurzel oder des Fremdkörpers. Nach der diagnostischen Sicherung durch die Auswertung der röntgenologischen Aufnahmen (Panorama-Schichtaufnahme und Nasennebenhöhlenaufnahme) wird die verlagerte Wurzel oder der Fremdkörper durch eine „hohe Aufklappung“ oder über die Fossa canina entfernt, wobei die anschließende Defektdeckung durch einen Trapezlappen erfolgen soll.
Bei der Luxation einer Wurzel, eines Zahnes oder eines Fremdkörpers in die Weichteile im Oberkiefer (wie retromolar) oder im Unterkiefer (wie lingual) gelingt die Entfernung unter Praxisbedingungen in den meisten Fällen nicht. Hier ist eine genaue diagnostische Lokalisation zum Beispiel durch die Computertomographie notwendig (Abbildungen 5 a,b).
Eine seltene lokale Komplikation ist die Luxation einer Wurzel oder eines Fremdkörpers in den Mandibularkanal. Die Entfernung der luxierten Wurzel oder des Fremdkörpers stellt den Behandler vor eine große Herausforderung, um den Patienten von den Schmerzen beziehungsweise Sensibilitätsstörungen durch die Irritation des Nervus alveolaris inferior zu befreien (Abbildungen 6 und 7 a, b).
In allen Fällen der Kieferhöhleneröffnung empfiehlt sich die Verordnung von Nasentropfen und je nach Situation eine kurze antibiotische Therapie.
Schleimhautverletzungen
Eine häufig vermeidbare lokale Komplikation der zahnärztlichen Behandlung ist die Verletzung der Wangen- und Mundbodenschleimhaut sowie der Nachbarstrukturen von Zähnen durch zahnärztliche Instrumente (Abbildung 8). Im Falle einer Verletzung oder einer Schädigung von Weichteilen sind rekonstruktive Therapiemöglichkeiten mit dem Patienten zu besprechen und einzuleiten. Bei einfacher Schleimhautverletzung kann die Kontinuität nach Ausschluss von tiefen Schädigungen durch Nähte rekonstruiert werden. Verletzungen der tiefen Strukturen bedürfen in den meisten Fällen einer Überweisung in die Fachklinik zur weiteren Diagnostik und Therapie.
Zu den Schädigungen der Nachbarstrukturen gehören auch die Verletzungen von Nerven. In der Literatur findet man unterschiedliche Angaben über operativ bedingte Verletzungen des Nervus alveolaris inferior und Nervus lingualis (Abbildung 9). Als Folge der zahnärztlichen Behandlung liegt die Verletzungshäufigkeit des N. alveolaris inferior im Durchschnitt bei zwei bis fünf Prozent, und des N. lingualis bei 0,6 bis 1,5 Prozent. Dysästhesien des N. alveolaris inferior bilden sich in 96,5 Prozent, des N. lingualis in 87 Prozent zurück. Bei sicherer Durchtrennung des N. lingualis sollte die sofortige oder frühe sekundäre Wiederherstellung des Nerven innerhalb von drei Wochen nach der Verletzung vorgenommen werden. Bei fraglicher Durchtrennung ist eine Wartezeit von bis zu sechs Monaten zu vertreten. Hierfür ist eine Überweisung an eine klinische Einrichtung notwendig.
Kieferbruch nach 8er Ex
Die Häufigkeit der durch Zahnextraktionen beziehungsweise operative Weisheitszahnentfernungen verursachten Kieferbrüche liegt bei 0,5 bis zwei Prozent. Diese Therapiekomplikation unterstreicht die Notwendigkeit der präoperativen Anfertigung einer Röntgenaufnahme, die nicht nur zu Dokumentations- und Diagnostikzwecken nötig ist, sondern auch zur Planung der individuellen Therapie. Eine behandlungsbedingte Unterkieferfraktur macht die Einweisung in eine Fachklinik notwendig. Die Therapie besteht darin, den Unterkiefer konservativ zu immobilisieren (Drahtschienenverbände) oder operativ zu stabilisieren (Miniplattenosteosynthese) (Abbildungen 10 a, b).
Aspiration
Eine seltene Komplikation ist das Verschlucken oder die Aspiration von Zähnen, Behandlungsmaterialien oder Instrumenten. Beim Verdacht auf eine solche Komplikation sind die Rekonstruktion der Behandlungsschritte und die konsequente Suche nach dem vermissten Gegenstand sowie eine Röntgenaufnahme des Thorax beziehungsweise Abdomen unerlässlich. Auch wenn der vermisste Gegenstand nicht gefunden werden kann, muss der Patient in eine Fachklinik überwiesen werden, um die Bestätigung oder den sicheren Ausschluss der Komplikation herbeizuführen. Im Falle einer Aspiration darf keine Zeit verloren werden. Hier gelten die Richtlinien zum Management eines Notfalles (Abbildung 11).
Kondylus-Luxation
Weitere mögliche akute Komplikationen der zahnärztlichen Behandlung sind die während der Therapie oder sofort danach auftretenden temporomandibulären Beschwerden. Die Kondylus-Luxation zeigt sich durch die Unfähigkeit des Patienten den Mund zu schließen, während eine Einschränkung bei erneuter Mundöffnung mit Begleitschmerz auf eine Diskusverlagerung hinweist. Bei einer Kondylus-Luxation können die Kondylen in Lokalanästhesie oder in Narkose durch den Esmarchschen Handgriff in die Fossa articularis reponiert werden. Eine Diskus-Verlagerung bedarf zunächst der genauen diagnostischen Abklärung, zum Beispiel durch manuelle Funktionsanalyse und/oder MRT-Untersuchung. Eine Weiterführung der Behandlung ist in den meisten Fällen nicht möglich. Die Therapieverfahren sind hierfür nicht einheitlich und variieren entsprechend den lokalen Möglichkeiten. Im Allgemeinen ist die Eingliederung von Behelfsschienen (Relaxations- und Repositionsschienen) als eine weit verbreite und anerkannte Therapiemaßnahme zu empfehlen. Nicht zuletzt ist die Irrtumsbehandlung als zahnärztliche Behandlungskomplikation zu erwähnen. Die Extraktion eines falschen Zahnes und die Injektion einer falschen Lösung kommen meist durch Verwechslungen der Kieferseite oder falsche Eintragungen in den Krankenunterlagen zu Stande. In diesem Fall gilt der Grundsatz der Schadensbegrenzung, wie durch Replantation des falsch extrahierten Zahnes oder Schienung des irrtümlich luxierten Zahnes.
Fazit
Viele akute Komplikationen der zahnärztlichen Behandlung sind vorhersehbar oder kündigen sich während der Behandlung an. Eine komplikationslose Behandlung soll angestrebt werden, kann jedoch nicht immer gelingen. Beim Auftreten einer Komplikation gelten folgende Grundsätze: Ruhe bewahren, Information des Patienten, Einleitung der entsprechenden Therapie und genaue Dokumentation des Zwischenfalles.
Dr. med. Dr. med. dent. B. Saka,Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgieder Universität RostockStrempelstraße 1318057 Rostockbassam.saka@med.uni-rostock.de