Noch ein weiter Weg
Gefördert wird das Projekt unter anderem vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg. Allein im vergangenen Jahr mussten sich die Mitarbeiter des Vereins mit über 400 Anfragen, Beschwerden und Schlichtungsfällen zum Thema Gesundheit und Patientenberatung auseinandersetzen. „In der Regel ging es dabei um Fragen zur Kostenerstattung bei grenzüberschreitenden Behandlungen oder um Probleme mit der Vorabgenehmigung eines Krankenhausaufenthalts im europäischen Ausland“, berichtet der Sprecher des Vereins, Christian Quiring. Aber auch bei der Notfallbehandlung und der Erstattung von Kosten für Medikamente und Heilmittel, wie Brillen und Prothesen, zeigt sich, dass eine grenzenlose Gesundheitsversorgung innerhalb der Europäischen Union (EU) nach wie vor vielerorts mehr Fiktion als Wirklichkeit ist.
Mehr noch: Eine mit finanzieller Unterstützung des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums geförderte Studie des Verbrauchervereins belegt, dass die Krankenkassen vieler EU-Länder die bereits seit acht Jahren gültige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ignorieren und die Patienten somit oft auf ihren Kosten sitzen bleiben – es sei denn, sie beschreiten den Klageweg oder bemühen sich mit Unterstützung des Verbraucherzentrums um eine außergerichtliche Einigung.
Denn die Schlichtung in Streitfällen ist neben der Information und Beratung einer der Schwerpunkte der Verbraucherschützer in Kehl. Das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland in Kehl wickelt die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen deutschen Verbrauchern und Anbietern von Waren und Dienstleistungen in der gesamten EU, einschließlich Norwegen und Island, ab. In dieser Funktion bildet das Zentrum zusammen mit 27 weiteren Europäischen Verbraucherzentren zudem ein Netzwerk, das von der EU-Kommission in Brüssel aus koordiniert wird, um den Verbraucherschutz in Europa zu verbessern.
Zwar liegt der Prozentsatz der Schlichtungsfälle im Gesundheitsbereich bislang bei lediglich rund zwei Prozent. Nach Ansicht des Vereins sind dies dennoch zwei Prozent zu viel. Deshalb ärgert es die Geschäftsführerin des Vereins, Dr. Martine Mérigeau, auch, dass das Europaparlament (EP) vor wenigen Wochen dafür gestimmt hat, die EuGH-Urteile zur Kostenerstattung nicht in der Dienstleistungsrichtlinie zu kodifizieren. „Das ist ein Rückschlag für die Patientenrechte, da damit die Chance vertan wurde, das Recht auf Kostenerstattung europaweit einheitlich zu regeln.“
Den Anspruch für Patienten festschreiben
Auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) kritisiert das Votum der Volksvertreter. „Der Artikel 23, so wie er im Richtlinienentwurf ursprünglich stand, würde das Recht von Patienten auf Kostenerstattung für grenzüberschreitend in Anspruch genommene Gesundheitsdienstleistungen gesetzlich festschreiben. Sie sollten sich im Streitfall mit ihrer Krankenkasse nicht nur auf Einzelfallentscheidungen des Europäischen Gerichtshofes berufen können“, erklärt der für Europapolitik zuständige Vizepräsident der BZÄK, Professor Dr. Wolfgang Sprekels.
Zugleich versprach er, sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren dafür einzusetzen, dass dieser Anspruch für die Patienten in Europa wieder in der Richtlinie festgeschrieben wird.
Zu den wenigen Ländern, die die EuGHRechtsprechung bereits in nationales Recht umgesetzt haben, gehören Deutschland und Frankreich. Während die Bundesregierung einen entsprechenden Passus bereits im Jahr 2004 ins Sozialgesetzbuch aufgenommen hat, gilt ein vergleichbares Dekret in Frankreich erst seit Ende April letzten Jahres.
Bis zu diesem Zeitpunkt habe es auf französischer Seite viele Probleme mit den Krankenkassen gegeben, bestätigt der französische Jurist von Euro-Info-Verbraucher in Kehl, Christian Tiriou. Manchmal seien die Schwierigkeiten auch nur aufgrund der Unwissenheit der Krankenkassenmitarbeiter über die Erstattungspflichten entstanden. Seit In-Kraft-Treten des Gesetzes und einer damit einhergehenden verstärkten Information der Kostenträger sei die Zahl der Beschwerden jedoch deutlich zurückgegangen, betont Tiriou.
Sein deutscher Kollege, Rechtsassessor Joachim A. Schulz, macht zudem darauf aufmerksam, dass die Initiative für eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen oft von Ärzten, Zahnärzten oder Kliniken ausgeht. Ein Beispiel sei die Kooperation zwischen deutschen und ungarischen Zahnärzten, die es Patienten ermöglicht, auch im Fall von Gewährleistungsansprüchen zahnärztliche Hilfe nach einer Behandlung im jeweils anderen Land im Inland in Anspruch zu nehmen.
Da solche Kooperationen bislang in Europa allerdings noch selten sind, raten die Verbraucherschützer Versicherten, sich im Vorfeld einer geplanten Behandlung darüber zu informieren, was im Haftungsfall zu tun ist. „Besser noch ist es, wenn der Versicherte einen schriftlichen Behandlungsvertrag mit dem ausländischen Leistungserbringer abschließt, aus dem hervorgeht, dass im Gewährleistungsfall der heimische Gerichtsstand gilt“, meint Schulz.
Petra SpielbergRue Colonel Van Gele 98B-1040 Brüssel