Die Myasthenia gravis
Der Begriff Myasthenie, medizinisch Myasthenia gravis, beschreibt eine neuromuskuläre Autoimmunerkrankung, bei der Autoantikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR) gebildet werden. Es kommt als Folge zu einer Störung der Reizübertragung zwischen Nerven und Muskeln in der neuromuskulären Endplatte und dadurch bedingt als zentrales Symptom zu einer sich unter Belastung verstärkenden Muskelschwäche.
Denn die polyklonalen IgG-Antikörper binden an den nikotinischen Acetylcholinrezeptor, so dass das Aktionspotenzial nicht auf die Muskelzelle weitergeleitet wird. Durch das Fehlen des elektrischen Impulses wird der Muskel nicht erregt. Es kann zudem durch die immunologische Reaktion auch zu einer Reduktion der Zahl an AChR kommen und damit zu strukturellen Veränderungen im synaptischen Spalt, was die Erregungsleitung weiter behindert.
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Betroffen ist nur die quergestreifte Muskulatur. Das erklärt, dass Muskelfunktionen, die auf die glattgestreifte Muskulatur zurückgehen, von der Erkrankung unbeeinträchtigt sind. Auch die Funktion des Herzmuskels wird nicht geschwächt.
Häufig sind zugleich Veränderungen des Thymus festzustellen, dem offenbar eine Rolle bei der Pathogenese der Myasthenie zukommt.
Eine sehr seltene Autoimmunerkrankung
Die Myasthenie gehört zu den seltenen Erkrankungen: Die Zahl der Patienten wird für Deutschland auf 8 000 bis maximal 12 000 geschätzt, wobei die Mehrzahl der Betroffenen erst jenseits des 50. Lebensjahres erkrankt. Dies erklärt die zunehmende Inzidenz der Autoimmunerkrankung, die wegen der Manifestation im höheren Lebensalter vor allem der demografischen Entwicklung zugeschrieben wird.
Die Myasthenie wurde nach derzeitiger Kenntnis im 17. Jahrhundert erstmals am Fall eines Indianerhäuptlings beschrieben. In Deutschland fand die Erkrankung im 19. Jahrhundert in die Literatur Eingang und wird seitdem als Myasthenia gravis bezeichnet.
###more### ###title### Erkrankungsalter bei Mann und Frau differiert ###title### ###more###
Erkrankungsalter bei Mann und Frau differiert
Beim typischen Erkrankungsalter zeigt sich bei der Myasthenie ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen. So sind Frauen häufig schon in jungen Jahren betroffen, während sich die Symptome bei Männern eher im höheren Lebensalter manifestieren. Die Ursache dieses Unterschieds ist noch unklar.
Bei Frauen wird die Störung zudem oft deutlich später erkannt. Schon bei Männern aber dauert es im Durchschnitt weit mehr als zwei Jahre, bis nach dem Auftreten der Symptome die Diagnose steht. „Frauen werden im Mittel erst ein Jahr später einem Neurologen vorgestellt“, erklärte Professor Dr. Jörg Sieb aus Stralsund beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Hamburg. Die auftretenden Symptome werden bei Frauen offensichtlich länger noch als bei Männern als depressive Störung, vegetative Dysregulation oder als psychosomatisch bedingt fehl gedeutet.
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Myasthenie-Patienten haben daher oft eine Odyssee durch Kliniken und Praxen hinter sich, ehe die richtige Diagnose gestellt wird. Sie erleben die Erkrankung infolge der Schwächegefühle meist als äußert belastend.
Symptomatik ist vielgestaltig
Besonders groß ist die Gefahr einer Fehldiagnose, wenn unspezifische Symptome, wie eine sich gegen Abend verstärkende Müdigkeit und eine allgemeine Schwäche, im Vordergrund stehen. Die Schwächegefühle betreffen häufig die Arme und/oder Beine. Nicht wenige Patienten geben an, dass ihnen zuerst eine gewisse Kraftlosigkeit aufgefallen ist. Das kann zum Beispiel zur Folge haben, dass ungewohnt häufig Gegenstände aus der Hand fallen.
Die belastungsabhängige Muskelschwäche bessert sich typischerweise in Ruhe. Kommen charakteristische Beschwerden wie das Herabhängen eines Augenlides und/oder das Sehen von Doppelbildern hinzu, so wird die Diagnose nach Sieb rascher gestellt. Das Herabhängen des Oberlids, das Folge einer Schwäche des Lidhebermuskels ist, kann allerdings in sich auch unterschiedlich sein. Die Ptose kann als fast unmerkliches Symptom auftreten oder so ausgeprägt sein, dass der betroffene Patient regelrecht seinen Kopf nach hinten legen muss, um unter den Unterlidern hindurch sehen zu können. Sie kann, muss aber nicht mit dem Sehen von Doppelbildern, also einer Diplopie, verbunden sein, und die Schwäche der Augenmuskulatur kann sogar so stark sein, dass die Patienten ihre Augen praktisch nicht mehr richtig schließen können.
Neben Ptose und Doppelbildern können auch Schluck- und Sprechstörungen auftreten aufgrund einer Schwäche der Mundund/oder Zungenmuskulatur und/oder der Kau- und Rachenmuskulatur. Auch die Gesichtsmuskulatur kann betroffen sein, was mimische Veränderungen zur Folge haben kann.
###more### ###title### Stark gefürchtet: die myasthene Krise ###title### ###more###
Stark gefürchtet: die myasthene Krise
Gefürchtet ist insbesondere die myasthene Krise, die mit einer rasch zunehmenden Schwäche der Muskulatur einher geht, zur Schlucklähmung sowie zur Lähmung der Atemmuskulatur führen kann und damit potenziell lebensbedrohlich ist. Die myasthene Krise macht in der Regel eine intensivmedizinische Behandlung notwendig, unter Umständen mit Beatmung des Patienten. Da es sich aber bei der Myasthenie um eine in aller Regel gut behandelbare Erkrankung handelt, steht der stetig zunehmenden Inzidenz doch eine deutlich abnehmende Mortalität gegenüber.
Die Symptomatik ist insgesamt vielgestaltig und vor allem auch individuell im Krankheitsverlauf variabel. Das Krankheitsbild kann leicht verlaufen, mit diskreten Ausfällen, oder auch schwer bis hin zu Lähmungen von Muskeln oder sogar Muskelgruppen.
Symptomverstärkung auch durch Medikamente
Es gibt eine Vielzahl von Situationen, in denen die Myasthenie sich verstärken kann, unter Umständen tatsächlich bis in eine myasthene Krise. Beschrieben ist dies zum Beispiel für Infektionskrankheiten, aber auch für seelische oder körperliche Belastungssituationen sowie hormonelle Schwankungen.
Auch können zahlreiche Medikamente das Krankheitsbild forcieren. Dazu gehören verschiedene Antibiotika, Schmerzmittel, Psychopharmaka und vor allem Magnesium-Präparate, ein Aspekt, über den die Betroffenen unbedingt aufgeklärt sein sollten.
Diagnosesicherung oft schwierig
Bei der Diagnosestellung helfen nach Sieb oftmals schon einfache Fragen. So ist es richtungsweisend, wenn Schwächegefühle unter körperlicher Belastung auftreten und wenn ganz allgemein die Beschwerden gegen Abend zunehmen.
Das Sichern der Diagnose erfolgt üblicherweise über den Nachweis der AChR-Antikörper, kann aber schwierig sein. Denn obwohl es sich um eine Autoimmunerkrankung der neuromuskulären Endplatte handelt, ist das Ergebnis der Antikörpertests nicht immer eindeutig. So ist bei jedem zweiten Patienten, bei dem aufgrund des Sehens von Doppelbildern die Verdachtsdiagnose Myasthenie erhoben wird, der Antikörpertest negativ. Hilfreich bei der Diagnostik sind neurologische Untersuchungen, zum Beispiel der Simpson-Test, bei dem der Patient nach oben blicken muss und geprüft wird, wie rasch die Augenmuskulatur ermüdet. Elektrophysiologische Untersuchungen ergänzen die Diagnostik. Wegweisend kann außerdem eine probatorische Behandlung mit einem Acetylcholinesterasehemmer sein.
Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen gehören die Multiple Sklerose und eine Amyothrophe Lateralsklerose sowie Hirnerkrankungen.
###more### ###title### Kein einheitliches Krankheitsbild ###title### ###more###
Kein einheitliches Krankheitsbild
Die Myasthenia gravis ist kein einheitliches Krankheitsbild. Es gibt besondere Krankheitsformen wie die sogenannte okuläre Myasthenie, bei der praktisch nur die Augenmuskulatur betroffen ist und folglich die Ptose sowie das Sehen von Doppelbildern stark im Vordergrund stehen.
Betrifft die Symptomatik jedoch nahezu den gesamten Körper, so wird von einer generalisierten Myasthenie gesprochen. Abzugrenzen hiervon ist allerdings die seronegative Myasthenie, bei der keine Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor nachweisbar sind. Sie macht rund 10 bis 20 Prozent der Krankheitsfälle aus. Etwa 40 Prozent der Patienten ohne Antikörper gegen den AChR bilden allerdings Antikörper gegen eine muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase, die selektiv in der motorischen Endplatte vorkommt und dem AChR angegliedert ist. Diese Krankheitsform wird deshalb auch als MuSK bezeichnet.
Zu beachten ist, dass eine strenge Abgrenzung oft schwierig ist. So beginnt die Erkrankung bei 50 bis 60 Prozent der Patienten zunächst mit nur okulären Symptomen, entwickelt sich im weiteren Verlauf dann aber doch zu einer generalisierten Störung. Bei 25 bis 30 Prozent der Fälle sind die Veränderungen asymmetrisch, zum Teil mit nur einseitiger Ptosis. Bei 15 Prozent der Patienten bleibt die Myasthenie auf die okuläre Symptomatik beschränkt. Es handelt sich überproportional häufig um Patienten mit seronegativer Krankheitsform. Es treten zudem bei dieser Patientengruppe auffallend wenig Thymusveränderungen auf.
Spezielle Krankheitsformen
Weitere spezielle Krankheitsformen stellen die medikamenten-induzierte Myasthenie dar, bei der es lediglich aufgrund einer medikamentösen Behandlung – meist durch D-Penicillamin – zum Auftreten von Symptomen kommt und die nach Absetzen der Arzneimittel voll reversibel ist sowie die paraneoplastische Myasthenie, bei der sich ein Tumor der Thymusdrüse (Thymom) oder sogar ein hoch differenziertes Thymus-Karzinom ausbildet. Ein Thymom entwickeln rund 10 bis 15 Prozent der Myasthenie-Patienten. Meist handelt es sich um ältere Patienten. Es ist bei ihnen von einem schwerwiegenderen Krankheitsverlauf mit einem erhöhten Risiko für myasthene Krisen auszugehen.
Die Erkrankung kann ferner in der Folge einer Knochenmarkstransplantation quasi als Graft-versus-Host-Reaktion auftreten und sie kann im Falle einer Schwangerschaft einer Frau mit Myasthenie auf das Kind übergehen durch die passive Übertragung der AChR-Antikörper. In einem solchen Fall wird von einer neonatalen Myasthenie gesprochen. Mit ihr ist in rund zehn Prozent der Schwangerschaften bei Frauen mit Myasthenie zu rechnen. Auch beim Stillen ist mit dem Übergang von Autoantikörpern von der Mutter auf das Kind zu rechnen. Innerhalb von drei Wochen nach der Geburt kommt es bei den betroffenen Kindern im Normalfall zu einem Abfall der Antikörpertiter. Eine Sonderform stellt das Lambert-Eaton-Syndrom dar, bei dem die Acetylcholin-Freisetzung präsynaptisch gestört ist. Leitsymptome der Erkrankung sind neben der Muskelschwäche vegetative Symptome wie Mundtrockenheit, Verschwommensehen, Impotenz und eine Sphinkterschwäche. Das Lambert-Eaton-Syndrom tritt häufig im Zusammenhang mit Karzinomen auf, und zwar vor allem mit einem Bronchialkarzinom
###more### ###title### Behandlungsmöglichkeiten ###title### ###more###
Behandlungsmöglichkeiten
Als Basistherapeutika kommen Cholinesterasehemmer zum Einsatz. Vor allem der Wirkstoff Pyridostigmin, der den Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin hemmt. Dadurch erhöht sich dessen Konzentration im synaptischen Spalt, was die Erregungsübertragung bessert und den Nervenimpuls verstärkt. Es handelt sich dabei aber um eine rein symptomatische Behandlung.
Üblicherweise wird daher gleichzeitig eine immunsuppressive Therapie durchgeführt. Diese ist ebenfalls nicht kausal wirksam, richtet sich aber direkt an der Pathophysiologie aus. Behandelt werden kann mit Glukokortikoiden oder speziellen Immunsuppressiva wie dem Azathioprin. In schweren Fällen ist zudem eine Plasmapherese als Therapieoption zu erwägen. Dabei werden die Autoantikörper regelrecht aus dem Blut herausgewaschen, wodurch sich die Immunreaktion rasch reduziert.
Eine weitere Behandlungsoption ist die Thymektomie, da der Thymusdrüse eine pathogenetische Beteiligung zugesprochen wird. Patienten unter 60 Jahren, bei denen keine entsprechende Kontraindikation vorliegt, wird deshalb häufig zur chirurgischen Entfernung des Thymus geraten. Bei frühzeitiger Thymektomie sind sogar Heilungen beschrieben und das bei bis zu 30 Prozent der Patienten. Bei einem weiteren Drittel stellt sich eine nachhaltige Besserung der Autoimmunerkrankung nach der Operation ein, während die Erkrankung wie auch der Krankheitsverlauf bei den übrigen Patienten unbeeinflusst bleibt.
Hoch variabler Krankheitsverlauf
Die Prognose der Myasthenie ist in aller Regel gut, wobei die Betroffenen sogar realistischerweise darauf hoffen dürfen, dass sich die Beschwerden im weiteren Verlauf eher abschwächen als verstärken. In aller Regel lässt sich die Störung zudem gut behandeln und die Patienten können ein weitestgehend normales Leben führen und die Mehrzahl von ihnen bleibt durchaus berufsfähig. Adäquat behandelt ist die Myasthenie heutzutage im Normalfall nicht mehr mit einer eingeschränkten Lebenserwartung assoziiert. Allerdings sind die Symptome meist nicht vollständig zu beheben, sodass gewisse Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit bestehen bleiben.
Häufig ist dazu eine lebenslange medikamentöse Behandlung notwendig. Andererseits kann bei nachlassender Krankheitsaktivitäten, wie sie oft nach einer Thymektomie zu sehen ist, auch eine Reduktion der Therapie möglich werden. Diese sollte immer nur mit höchster Vorsicht erfolgen, wegen der Gefahr der Induktion einer myasthenen Krise. Umgekehrt ist jedoch auch eine Überdosierung problematisch, da diese den Patienten in eine cholinerge Krise treiben kann, die ebenso wie die myasthene Krise einen Notfall darstellt und eine intensivmedizinische Behandlung erfordert. Eine gute neurologische Überwachung ist deshalb unverzichtbar.
Die Autorin der Rubrik „Repetitorium“ ist gerne bereit, Fragen zu ihren Beiträgen zu beantwortenChristine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln