Ein Gelöbnis auch für Zahnärzte
Ein Gelöbnis auch für Zahnärzte? Allein die Thematisierung und damit verbundene Fragestellung überrascht aus der Sicht des ärztlichen Grundverständnisses eines Zahnarztes. Sie überrascht nicht so sehr, kennt man die historische Differenzierung zwischen Ärzteschaft, Zahnärzten und vorgehenden Berufsbildern. Professor Dr. Dr. H. J. Staehle hat in zwei Veröffentlichungen (DZZ / 2008; 63 (11) und in ZM 99, 11 A, 1.6.2009, (1490)) das Thema aus seiner Sicht als Universitätsprofessor beschrieben.
Zur Ausübung unseres Berufs und zum Außenbild des Zahnärztestandes ergeben sich durchaus diskussionswürdige Sichtweisen, wenn wir die Historie unseres Berufs, die fachliche und die sozialpolitische Entwicklung einbeziehen.
In seinem Buch „Beiträge zur Geschichte und Ethik der Zahnheilkunde“ (Königshausen & Neumann 2006) beschreiben Dominik Groß und andere sehr umfassend die Versuche, die Zahnheilkunde als ein der gesamten Medizin zugehörendes Fachgebiet zu etablieren.
Seit der Gründung des Zentralvereins der Deutschen Zahnärzte 1859 kann man die standesinterne Auseinandersetzung um das Berufsbild unter den Termini „Zahnarzt mehr Arzt oder mehr technischer Dentist“ verfolgen. Flankierend dazu verhinderte die Abgrenzungspolitik der Ärzte zu unserem Beruf die verdiente akademische Etablierung. (Offizielles, ordentliches siebensemestriges Zahnmedizinstudium an einer Medizinischen Fakultät in Deutschland erst seit 1909, Promotionsmöglichkeit zum Dr. med. dent. seit 1919).
Aus medizinischer Sicht ist man über diese zeitliche Verzögerung verwundert, denkt man beispielsweise an die seit Jahrtausenden bekannten, erfolgreichen zahnmedizinischen Rehabilitationsmaßnahmen oder an die vor circa 150 Jahren durch Zahnärzte eingeführten Narkosemaßnahmen, die die Medizin revolutionierten.
Analysiert man die standespolitische Literatur der vergangenen Jahrzehnte, fühlt man sich nicht allzu weit von den Diskussionen der Jahre zwischen 1850 und 1952 entfernt. Einerseits wird um die Anerkennung der Zahnmedizin als wichtiges Teilgebiet der Medizin gerungen, andererseits wird für eine verquere Darstellung unseres Berufsbildes als Wellness- und Ästhetikbetrieb geworben, der wie ein handwerkliches Gewerbe-Unternehmen die Gewinnmaximierung zum Ziel hat.
Hier bietet sich an, den „Eid des Hippokrates“ durch die zeitgemäßere „Genfer Deklaration“ (häufig auch als „Genfer Gelöbnis“ bezeichnet) abzulösen und zur Grundlage der beruflichen Orientierung zu machen.
Es soll versucht werden, durch eine Kurzkommentierung der einzelnen Gelöbnissätze, zur Diskussion anzuregen.
Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand : Ich gelobe feierlich mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.
Im Zentrum unseres Handelns stehen der Mensch, der Patient, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Das beinhaltet die neutral-sachliche Sichtweise für alles, was Menschen zugehörig oder eigen ist. Zum anderen sind subjektivwertend die tradierten Wertvorstellungen unseres Gemeinwesens eingeschlossen.
Wann, wo und wie werden die Wertvorstellungen dem angehenden Arzt vermittelt? Im Elternhaus und in der Schule meist nicht. An der Universität aber müssen den Studenten der Medizin / Zahnmedizin die berufsspezifischen Werte während des Studiums vermittelt werden.
Ich werde meinen Lehrern die Achtung und Dankbarkeit erweisen, die ihnen gebührt.
Zulassungszahlen, Lehrinhalte, Assistenten/Studenten-Betreuungsrelation, finanzielle Ausstattung der Universitäten und Forschungsaufträge generieren zahlreiche, zum Teil ungelöste Probleme, die den Lehrauftrag unter Umständen behindern.
Das Zahnmedizin-Studium muss im ersten Studienabschnitt am Medizinstudium ausgerichtet werden, ein wichtiger Schritt in Richtung ärztlichen Grundverständnisses.
Fachlich präformierend, aber auch prägend für den späteren interkollegialen Umgang ist die Vorbildfunktion der Assistenten und Oberärzte, die die Studenten ausbilden.
Ich werde meinen Beruf in Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.
Gewissenhaftigkeit erschließt sich aus dem persönlichen Wertegefüge und der fachlichen Kompetenz. Beide Parameter wiederum bestimmen die Qualität des persönlichen und fachlichen Handelns. Hier sei im Besonderen auf die öffentliche Wirkung des Auftretens des einzelnen Zahnarztes hingewiesen.
Der ärztliche Berufsstand behauptete jahrzehntelang die erste Stelle der Ansehensskala in Deutschland. Geändert haben das jahrelange Medienkampagnen bezüglich des Einkommens, die ihre öffentliche Wirkung nicht verfehlten. Gesteuert wurden diese von Politikern, Krankenkassen und fachfremden, aber auch von berufsinternen Ideologen. Umso wichtiger ist es, dass der einzelne Zahnarzt durch sein Verhalten in der Gesellschaft möglichst vorbildlich wirkt.
Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.
Dieser Anspruch ist zweifellos sehr gewichtig. Er bestimmt immer mehr nicht nur unser ärztliches Gewissen, unser ärztliches Handeln, sondern auch, gerade für uns Zahnärzte, unser Tun und Auftreten als freiberufliche Unternehmer.
Es können hier nicht sämtliche standespolitischen Detailprobleme diskutiert werden. Nur soviel: Das Konzept einer Grund-, Zusatzversorgung und einer Öffnung der Privatgebührenordnung zur Umsetzung neuer zahnärztlicher/ärztlicher Methoden ist human, sozial, gemeinwohl-verträglich, finanzierbar und in keinem anderen medizinischen Teilgebiet so gut umsetzbar wie in der zahnmedizinischen Versorgung unserer Bevölkerung.
Weil aber die zahnärztlichen therapeutischen Möglichkeiten qua Krankheitsfall mehrere Arten der Versorgung zulassen, ist vom Zahnarzt ein hohes Maß an ethischer Ausrichtung bei der Auswahl der Therapie gefordert.
Die individuelle morphologische Situation ist die Richtschnur zur Beseitigung krankheitsbedingter Veränderungen. Das Prinzip „nil nocere“ hat Vorrang. Die soziale Situation des Patienten und seine persönlichen Ansprüche sind nachgeordnete, aber zu beachtende Parameter, wie auch die fachlichen Ambitionen des Arztes / Zahnarztes.
Aus der Gesamtsicht der Medizin ist es geradezu paradox, dass die überwiegende Zahl der Erkrankungen der Zähne, des Parodonts, des gesamten stomatognathen Systems in der Hauptsache auf fehlende Prophylaxe, mangelnde Patientenmitarbeit und somit fehlende Eigenverantwortung zurück zu führen sind.
Die Genese von Erkrankungen wird weitgehend bestimmt durch soziale, bildungsrelevante, psychische, genetische Einflüsse und Ernährungsfehler. Die Erkrankungen der Mundhöhle mit all ihren einzelnen morphologischen Strukturen auf fehlende Prophylaxe zurückzuführen, offenbart entweder erhebliche medizinische Kenntnisdefizite oder eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit.
Gerade die zunehmende Spezialisierung in der Zahnmedizin lässt vermehrt die Zusammenhänge somatischer Erkrankungen und Erkrankungen der Mundhöhle offenkundig werden (zum Beispiel Erkrankungen des Parodonts und multiple, vom Erkrankungsort ferne Gefäßveränderungen).
Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten.
Das öffentliche Auftreten (siehe auch unter Würde) des einzelnen Zahnarztes in seinem persönlichen Umkreis / Gemeinwesen bestimmt neben der fachlichen Eignung das Ansehen seiner Person und damit des Standes.
Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein.
Diese zugegebenermaßen etwas schwulstige Formulierung soll zu einem vorurteilsfreien, kollegialen Miteinander auffordern, ohne Neid und abwertende Äußerungen.
In einer Zeit zunehmender Spezialisierung ist interkollegial ein offener Umgang unabdingbar. Dieser betrifft sowohl gegenseitig fördernde, wie auch fachlich strittige Fragen und etwaige Fehlbehandlungen.
Neue Praxisstrukturen, überörtliche Sozietäten, Lockerung des Werbegebotes und EU-weite Dienstleistungen werden erhebliche Anstrengungen erfordern, die Kollegialität in erträglichem Rahmen zu erhalten.
Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientie
Sämtliche oben genannte Fakten im Kontext mit dem „Genfer Gelöbnis“ sind eine unabdingbare Orientierungs-Leitschiene für die jetzige und für künftige Generationen von Zahnärzten.
Ein starkes Zentrum Zahnmedizin
Die ständige Zunahme an älter werdenden Menschen, der technische Fortschritt, die abnehmende Zahl von Beitragszahlern in den Krankenversicherungen, die Multimorbidität zahlreicher Menschen, die Entdeckung neuer Krankheitszusammenhänge und die zunehmende Spezialisierung darf die Zahnmedizin nicht auf ein kosmetischästhetisches Handwerk reduzieren, sondern muss sie als integralen Teil der Medizin weiterhin etablieren und bewahren.
Die für die Medizin nicht passende Lockerung des früheren Werbeverbotes gebar neben anderem auch die sogenannte „Moderne Zahnheilkunde“, die nur „Wellness“ und „gutes Aussehen“ kennt.
Die Standespolitik ist aufgerufen, diese Tendenzen zurück zu weisen, da sie geeignet sind, Tendenzen zu unterstützen, die Zahnmedizin als Fachhochschulausbildung abzustrukturieren.
Das Gegenteil tut not, wie es der derzeitige Präsident der DGZMK, Professor Dr. Hoffmann, ausdrückt: „ Da die Zahnmedizin sich als integraler Bestandteil der Medizin verstehen muss, ist es notwendig, Partikularinteressen zurückzustellen und als ein starkes Zentrum Zahnmedizin aufzutreten.“
In der Pflichtvorlesung für Zahnmedizinstudierende „Geschichte der Medizin, im speziellen Zahnmedizin, zahnärztliche Berufskunde“ im vierten und fünften klinischen Semester, wird das „Genfer Gelöbnis“ üblicherweise besprochen.
Dabei wird immer wieder der Wunsch der Studierenden laut, zum Ende des Studiums in einem feierlichen Akt aus dem Studium mit dieser oder einer ähnlichen Gelöbnisformel verabschiedet zu werden.
Somit ist es eine wichtige Aufgabe der Universitäten, die Studentinnen und Studenten im Sinn des “Genfer Gelöbnis“ zu orientieren und an die Realisierung des Wunsches einer feierlichen Entlassung in das Berufsleben, in Zusammenarbeit mit den Kammern, zu denken.
Es ist unabdingbar, dass die Bundeszahnärztekammer und die Landeszahnärztekammern das Gelöbnis als Präambel der Kammersatzung und den berufsrechtlichen Ausführungen voranstellen, um die hohe Verantwortung der Kammermitglieder für ihren Beruf deutlich zu machen.
Dr. Dr. Joseph R. Kastenbauer(Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer1990 – 2001)Bahnhofstr. 14,D-84503 Altötting