Differenzialdiagnose zervikaler Raumforderungen

Mediane Halszyste

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Eine 78-jährige Patientin wurde zur Abklärung einer langsam progredient entstandenen submentalen Raumforderung überwiesen. Die Patientin berichtete über eine spürbare Größenprogredienz im Verlauf eines Jahres. Bei akutem Verdacht auf das Vorliegen einer malignen Raumforderung war bereits durch einen niedergelassenen Kollegen in Lokalanästhesie eine Probeexzision (PE) durchgeführt worden, die den Nachweis einer gering entzündlich veränderten Zyste erbrachte. Einen Monat vor der stationären Aufnahme war bei Verdacht auf eine akute submentale Abszedierung ebenfalls bereits eine Punktion der Geschwulst durchgeführt worden, bei der sich 250 ml einer klaren Flüssigkeit entleerten, in der Streptococcus oralis nachgewiesen werden konnte. Zum Zeitpunkt der Aufnahme lag die Raumforderung nach Angaben der Patientin wieder in nahezu unveränderter Größe vor. Eine bereits alio loco angefertigte Magnetresonanztomographie (MRT) zeigte eine hantelförmige, die Unterkieferspange passierende Raumforderung mit deutlicher Verdrängung der benachbarten Mundboden- und Zungengrundmuskulatur. Die 7 cm große und gut abgrenzbare, abgekapselte Läsion präsentierte sich mit homogener Binnenstruktur. Die Dichtewertverteilung sprach für einen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum, wobei nicht alle Anteile flüssigkeitsäquivalente Hounsfield-Einheiten aufwiesen (Abbildung 1).

Bei der klinischen Untersuchung fand sich eine relativ derbe, rund 4 x 4 cm große, nicht druckdolente Schwellung im medianen Halsbereich. Zentral lag eine rötlich-ulzeröse mit Fibrin belegte Läsion als Folgezustand der PE (Abbildung 2) vor. Die Haut war gut über dem Befund verschiebbar, und es bestand keine Sensibilitätsstörung. Bei der enoralen Inspektion fiel ein deutlich angehobener Mundboden auf. Bei Palpation war die Läsion ohne Widerstand und Druckschmerz komprimierbar. Das angefertigte Orthopantomogramm erbrachte keinen Hinweis für einen dentogenen Fokus einer möglichen Infektion. Knöcherne Destruktionen lagen nicht vor (Abbildung 3). Durch die B-Mode-Sonographie des Halses ließ sich ebenfalls die Ausdehnung der gut abgekapselten zystischen Läsion (Abbildung 4) darstellen.

Bei Verdacht auf das Vorliegen einer medianen Halszyste wurde die Patientin hierauf in Intubationsnarkose operiert. Nach submentalem Zugang wurde die Kapsel zwischen den anterioren Muskelbäuchen des M. digastricus aufgesucht und nach stumpfer Präparation aus dem umgebenden Bindegewebe in toto reseziert (Abbildung 5). Nach Anschnitt des Zystenbalges entleerte sich erneut reichlich klare Flüssigkeit (Abbildung 6). In der anschließenden histopathologischen Untersuchung wurde die klinische Diagnose einer medianen Halszyste bestätigt. Es fand sich ein dicker fibröser Zystenbalg, der von einem orthokeratotisch verhornenden Plattenepithel ausgekleidet war. Das angrenzende Bindegewebe war als Zeichen der Entzündung von einem deutlichen Leukozyteninfiltrat umgeben (Abbildung 7). Zeichen der malignen Transformation existierten nicht.

Diskussion

Mit einer Häufigkeit von 70 Prozent stellt die mediane Halszyste die häufigste entwicklungsbedingte Zyste im Halsbereich dar. Sie wird als fehlerhaft obliteriertes Residuum des Ductus thyreoglossus angesehen, der die während der Embryogenese deszendierende Schilddrüse mit dem Zungenboden verbindet. Aus dem distalen Bereich des Ductus formt sich normalerweise der Lobus pyramidalis der Schilddrüse, während der ursprüngliche Gang zwischen der achten und zehnten Gestationswoche obliteriert. Bei unvollständigem Verschluss von Anteilen des Ductus kann es nach wiederholten entzündlichen Reaktionen zu einer Sekretion des auskleidenden Epithels mit dem Resultat einer zystischen Formation kommen [Allard, 1982]. Somit unterscheidet sich die mediane Halszyste ätiologisch maßgeblich von der lateralen Halszyste, für die eine rein embryonale Genese vermutet wird [Kämmerer, Klein et al., 2008].

In drei Viertel der Fälle findet sich die mediane Halszyste exakt in der zervikalen Mittellinie; eine geringe laterale Verlagerung liegt in den restlichen Fällen vor [Telander and Filston, 1992]. Der Großteil der Zysten ist auf Höhe des Hyoids (15 Prozent) oder leicht darunter (60 Prozent) zu finden. Etwa die Hälfte der Patienten, ohne geschlechtliche Prädilektion, wird bereits unter 20 Jahren symptomatisch. Allerdings sind in 15 Prozent auch Patienten in der Altersgruppe über 50 Jahren betroffen [Ahuja, Wong et al., 2005]. In den meisten Fällen kann durch die sorgfältige klinische und bildgebende Diagnostik (Sonographie, MRT) [Som, Smoker et al., 2003] eine valide Verdachtsdiagnose geäußert werden und wird durch die histologische Begutachtung des Resektates gesichert [Davenport, 1996].

Die häufigste klinische Präsentation ist das Vorliegen einer langsam progredient wachsenden Raumforderung, wobei Größe und Schmerzhaftigkeit je nach Infektionsstatus variieren können. Während der Untersuchung kommt es charakteristischerweise bei Zungenprotusion zu einer Bewegung der Zyste, was in der ursprünglichen Verbindung der Zunge mit der Schilddrüse begründet ist.

Für die bildgebende Diagnostik bietet sich die Ultraschalluntersuchung als Mittel der Wahl an, in der die Zyste typischerweise als echo-leere, gut umschriebene Raumforderung mit dorsaler Schallverstärkung imponiert. Im MRT stellt sich die Zyste als Läsion dar, deren niedrig homogenes T1- und hoch homogenes T2-gewichtetes Bild den jeweiligen Flüssigkeitsinhalt reflektieren [Koeller, Alamo et al., 1999]. Differenzialdiagnostisch ist an weitere zystische Läsionen, wie Dermoid- oder Epidermoidzysten, und Zysten ausgehend von den Branchialbögen zu denken. Bei Vorliegen deutlicher Entzündungszeichen kann eine infizierte mediane Halszyste einem Submentalabszess ähneln. Obwohl die Entartungstendenz der medianen Halszyste mit einem Prozent eher gering ist [Ahuja, Wong et al., 2005; Falvo, Giacomelli et al., 2006], sollte gerade bei kleinen medianen Halszysten beim älteren Patient eine histologische Abgrenzung zu zystischen Lymphknotenmtastasen erfolgen. Nicht zuletzt deshalb ist bei dieser Entität die chirurgische Entfernung mit histopathologischer Aufarbeitung das Mittel der Wahl. Selbst bei der Verwendung der richtigen Technik [Sistrunk, 1920] finden sich hierbei, bedingt durch die oft gewundene Konfiguration des Duktus thyreo glossus, Rezidive in bis zu vier Prozent der Fälle.

Dr. Dr. Maximilian MoergelDr. Peer W. KämmererDr. Dr. Christian WalterProf. Dr. Dr. Wilfried Wagner

Klinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainzmoergel@mkg.klinik.uni-mainz.de

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