Eine empirische Untersuchung

Berufsperspektiven junger Zahnärztinnen

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Die Anzahl der Studienabgängerinnen im Studiengang Zahnmedizin in Deutschland ist nach Angaben des Statistischen Bundesamts (2009) in den letzten Jahren stetig gestiegen – die Quote beträgt aktuell rund 60 Prozent. Der klassische Beruf des Zahnarztes, einst eine Männerdomäne, entwickelt sich mehr und mehr zum Frauenberuf. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion um die zahnärztliche Versorgung und die sinkenden Zahlen für Praxisgründungen im ländlichen Raum ist es daher wichtig, die Gruppe der jungen Zahnärztinnen genauer zu betrachten.

Im Auftrag der Landeszahnärztekammer Hessen untersuchte eine empirische Studie der Hochschule RheinMain in Kooperation mit der Fachhochschule Koblenz daher die Berufsperspektiven von Zahnärztinnen. Die Studie betrachtet, von welchen Faktoren sich die Ärztinnen bei der Entscheidung zwischen der Niederlassung in einer Praxis oder der Berufsausübung im Angestelltenverhältnis leiten lassen.

Der ärztliche Direktor des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität Tübingen, Prof. Dr. Heiner Weber, bringt die Ausgangslage auf den Punkt: „Immer weniger Männer wollen Zahnarzt werden. Die Zahnmedizin entwickelt sich zunehmend zu einer Frauendomäne“ [DZW 47/2009]. Diese Entwicklung muss auch in der aktuellen Diskussion um die künftige zahnärztliche Versorgung im ländlichen Raum mitgedacht werden. Dr. Jürgen Fedderwitz, Vorstandsvorsitzender der KZBV, konstatierte in einem Interview im April 2010: „Um die jungen Zahnärzte in Zukunft aufs Land zu bekommen, wird es leider nicht ausreichen, die Voraussetzungen für den Einstieg in den Beruf durch eine Aufhebung des Numerus clausus oder Subventionen bei der Praxisgründung zu verbessern. […] Die jungen Kolleginnen und Kollegen brauchen Rahmenbedingungen, unter denen sich ihre Praxis dauerhaft und langfristig trägt. Sonst gehen sie nicht in die Niederlassung.“ Doch welche Rahmenbedingungen sind es, die insbesondere für die jungen Zahnärztinnen gegeben sein müssen, um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?

Mit dieser Frage beschäftigte sich eine empirische Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Bettina Fischer (Hochschule RheinMain) und Dr. Paulina Jedrzejczyk (Fachhochschule Koblenz). Ein schriftlicher Fragebogen wurde an 1 000 Probandinnen (aufgeteilt in Zahnmedizin-Studentinnen, Assistenzärztinnen, angestellte Zahnärztinnen und niedergelassene Zahnärztinnen) im Rhein-Main-Gebiet und in Koblenz versendet. 143 Frauen beantworteten den Fragebogen, was einer Rücklaufquote von 14,3 Prozent entspricht.

Die Mehrheit der Zahnärztinnen strebt eine Niederlassung an

Seit der Änderung der Bundesmantelverträge im Juli 2007 und der Präzisierung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) gibt es für Vertragsärzte grundsätzlich die Möglichkeit, eine unbeschränkte Anzahl von Zahnärzten einzustellen. Wie zu beobachten ist, nutzen insbesondere Frauen diese neue Möglichkeit der Berufsausübung im Angestelltenverhältnis. Wie der damalige Präsident der Bundeszahnärztekammer Dr. Dr. Jürgen Weitkamp auf dem deutschen Zahnärztinnenkongress Ende 2008 berichtete, gehen von den Hochschulabsolventinnen nur ein Drittel in die Niederlassung, die anderen wählen den Weg der Anstellung, oft in Teilzeitarbeit, um der Familienplanung gerecht zu werden (zm 21/2008,S. 66f.)

Auf die Frage „Welchen Berufsstand streben Sie langfristig an?“ gaben 75,5 Prozent der Befragten an, sich in einer Praxis niederlassen zu wollen. Nur 14,9 Prozent möchten langfristig als angestellte Zahnärztin arbeiten. 7,6 Prozent möchten nicht praktizieren und ihre Kenntnisse anderweitig nutzen (Gesundheitsberatung oder Pharmavertretung) und lediglich 2 Prozent sind bezüglich ihres langfristigen Ziels noch unentschlossen. Die Niederlassung in einer Praxis ist damit die mehrheitlich angestrebte Form der Berufsausübung.

Gemeinschaftspraxen als Berufsperspektive

Die Befragten, die sich langfristig in einer Praxis niederlassen möchten, sehen insbesondere die Gemeinschaftspraxis als geeignete Form an. So teilen sich die ermittelten 75,5 Prozent der Befragten, die eine Niederlassung gründen möchten, auf in 40,4 Prozent, die eine Gemeinschaftspraxis bevorzugen, in 28,7 Prozent, die alleine eine Praxis führen möchten, und in 6,4 Prozent, die sich beide Alternativen vorstellen können.

Während sich das Ergebnis bei den befragten Studentinnen nahe am aufgezeigten Durchschnitt orientiert, ist im Vergleich zwischen Assistenzärztinnen und angestellten Zahnärztinnen eine große Abweichung zu erkennen. Während 55 Prozent der Assistenzärztinnen eine Gemeinschaftspraxis bevorzugen und nur 20 Prozent eine eigene Praxis möchten, sieht es bei den angestellten Zahnärztinnen anders aus. Hier möchte die Mehrheit eine eigene Praxis gründen (42,1 Prozent) und nur 31,6 Prozent entscheiden sich für die Gemeinschaftspraxis.

Vor- und Nachteile bei beiden Optionen

Weiterhin wurden alle Probandinnen gebeten, die Vor- und Nachteile der Praxisniederlassung den Vor- und Nachteilen einer Berufsausübung im Angestelltenverhältnis gegenüberzustellen. Die nebenstehenden Tabellen zeigen die am häufigsten genannten Argumente.

Die Vermutungen der jeweiligen Untergruppen (Studentinnen, Assistenzärztinnen, angestellte Zahnärztinnen und niedergelassene Zahnärztinnen) bezüglich der Vorund Nachteile deckten sich im Wesentlichen mit den Erfahrungen der Kolleginnen, die bereits in der jeweiligen Form ihren Beruf ausüben. Lediglich zum Thema „Verdienstmöglichkeiten“ gab es eine Diskrepanz zwischen Vermutung und tatsächlichem Empfinden. Während Studentinnen, Assistenzärztinnen und angestellte Zahnärztinnen einen wesentlichen Vorteil der Niederlassung in den besseren Verdienstmöglichkeiten sehen, bestätigen die niedergelassenen Ärztinnen diesen Punkt nicht.

Schlechte Voraussetzungen zur Gründung einer Praxis

Die Mehrheit der befragten Zahnärztinnen beurteilt die Voraussetzungen zur Gründung einer Niederlassung als nicht optimal. So gaben insgesamt mehr als ein Drittel der Studentinnen, Assistenzärztinnen und angestellten Ärztinnen an, über die Voraussetzungen einer Praxisgründung nur mangelhaft informiert zu sein.

Dieser Anteil ist überraschenderweise bei den befragten Assistenzärztinnen mit 40 Prozent noch höher als der Anteil bei den befragten Studentinnen (38,5 Prozent). Lediglich bei den angestellten Ärztinnen sinkt der Prozentsatz auf 21,1 Prozent. Jedoch bewerten in dieser Gruppe 42,1 Prozent den Informationsstand zur Praxisgründung nur als befriedigend.

Auch die aktuellen Unterstützungsangebote zur Gründung einer Praxis werden von der Mehrheit der Probandinnen als nicht optimal empfunden. Nur 4,3 Prozent der Gruppe Studentinnen/Assistenzärztinnen/angestellte Ärztinnen bewerten diese mit sehr gut, 35,1 Prozent mit gut, 42,6 Prozent mit befriedigend und 4,3 Prozent mit mangelhaft.

Die bereits niedergelassenen Ärztinnen urteilen hier noch schlechter. Mit 49 Prozent beurteilt fast die Hälfte die (damalige) Unterstützung bei der Praxisgründung als mangelhaft. Befragt nach den hauptsächlichen Schwierigkeiten gaben die bereits niedergelassenen Zahnärztinnen ungenügende betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Probleme bei der Finanzierung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an.

Fehlende betriebswirtschaftliche Kenntnisse als Stolperstein auf dem Weg in die Selbstständigkeit – Hochschulen bereiten nicht ausreichend auf die Berufspraxis vor:

75,5 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen beurteilen ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse nach Abschluss des Studiums als mangelhaft. Nahezu das gleiche Bild zeigt sich in der Befragung der Studentinnen der Zahnmedizin. Hier gaben 72,7 Prozent der Studentinnen an, dass im Rahmen des Studiums keine ausreichenden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse vermittelt werden. Ebenso bemängeln 76,4 Prozent der Studentinnen, dass es während des Studiums keine Informationsveranstaltungen über die Berufsperspektiven von Zahnärztinnen gibt. Insgesamt kommen 81,8 Prozent zu dem Schluss, dass die Hochschule nicht ausreichend oder nur bedingt auf die spätere Berufspraxis vorbereitet. Aus der Perspektive der Studentinnen könnte das Studienangebot mit einer Erweiterung um betriebswirtschaftliche Fächer und der Aufnahme von Berufspraktika deutlich verbessert werden.

Die Frage, ob die Furcht vor unternehmerischem Druck gegen die Gründung einer Praxis spricht beantworteten 60,6 Prozent der befragten Studentinnen, Assistenzärztinnen und angestellten Ärztinnen mit „Ja“ beziehungsweise mit „Vielleicht“. Immerhin 36,2 Prozent lassen sich hiervon jedoch nicht abschrecken.

Vereinbarkeit von Familie und Berufsausübung als niedergelassene Zahnärztin teilweise problematisch – Gemeinschaftspraxis oder Anstellungsverhältnis schneiden deutlich besser ab

63 Prozent der niedergelassenen Zahnärztinnen haben bereits Kinder und auch die Gruppe der angestellten Ärztinnen, Assistenzzahnärztinnen und Studentinnen hat bereits Kinder beziehungsweise äußert den Wunsch nach Familie. Dieses Ergebnis bestätigt, dass die Berufsausübung – auch von Zahnärztinnen – grundsätzlich mit der Familie vereinbar sein muss. Innerhalb der einzelnen Gruppen zeigen die Umfrageergebnisse unterschiedliche Beurteilungen der Vereinbarkeit mit dem Status der niedergelassenen Zahnärztin (Abbildung 8).

Wie die Auswertung zeigt, beurteilen Studentinnen die Vereinbarkeit eher optimistisch. Immerhin sind über 40 Prozent der Meinung, dass sich eine Familie gut oder gar sehr gut mit dem Beruf der niedergelassenen Zahnärztin vereinbaren lässt. Ganz anders sehen es die erfahrenen Kolleginnen: Knapp 70 Prozent der angestellten Zahnärztinnen stufen die Vereinbarkeit lediglich als befriedigend ein, 50 Prozent der Assistenzärztinnen stellen sogar fest, dass Praxis mit Familie gar nicht zu vereinbaren ist.

In der Gruppe der niedergelassenen Ärztinnen urteilt knapp die Hälfte mit sehr gut beziehungsweise gut und die andere Hälfte mit befriedigend beziehungsweise mangelhaft (Abbildung 9). Ein Teil der Praxisinhaberinnen scheint somit die Doppelbelastung gut zu meistern, der andere Teil ist vergleichsweise unzufrieden. Die Gemeinschaftspraxis wird von den Praxisinhaberinnen hierbei als Form der Berufsausübung betrachtet, der besser mit familiären Verpflichtungen in Einklang zu bringen ist.

Zu diesem Ergebnis passt auch die Einschätzung der Studentinnen, Assistenzärztinnen und angestellten Ärztinnen zur Berufsausübung im Angestelltenverhältnis. Hier bewerteten über 74,5 Prozent der Befragten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit sehr gut beziehungsweise gut. Betrachtet man die Probandinnen, die sich bereits im Anstellungsverhältnis befinden, bewerten sogar 84 Prozent die Vereinbarkeit als sehr gut oder gut (siehe Abbildung 10).

Geregelte Arbeitszeiten im Anstellungsverhältnis

Zu einer positiven Bewertung der Vereinbarkeit zwischen Familie und der Berufsausübung im Anstellungsverhältnis tragen in erheblichem Maße die Arbeitszeiten bei. 32 Prozent der angestellten Zahnärztinnen geben an, nur 20 bis 30 Stunden in der Woche zu arbeiten. Nur 15 Prozent müssen 40 bis 50 Stunden in der Woche am Arbeitsplatz verbringen. Die meisten angestellten Zahnärztinnen, knapp 37 Prozent, arbeiten 30 bis 40 Stunden. Weniger Flexibilität haben die Assistenzärztinnen: 60 Prozent arbeiten 30 bis 40 Stunden pro Woche. Immerhin 30 Prozent müssen 40 bis 50 Stunden auf der Arbeit verbringen.

Auch die niedergelassenen Zahnärztinnen geben am häufigsten die Arbeitszeiten 30 bis 40 Stunden in der Woche an. Interessante Erkenntnisse bringt der Vergleich zwischen den Zahnärztinnen in der eigenen Praxis und in der Gemeinschaftspraxis. Wie Abbildung 11 zu entnehmen ist, bietet eine Gemeinschaftspraxis eine höhere Flexibilität und familienfreundlichere Arbeitszeiten als eine eigene Praxis. Etwa 23 Prozent der Niedergelassenen in eigener Praxis müssen mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten. Nur 3,8 Prozent können sich eine Teilzeitbeschäftigung mit weniger als 20 Stunden in der Woche erlauben.

Wunsch nach Ausbau der Kinderbetreuung

Befragt nach zusätzlichen Angeboten und Rahmenbedingungen, die die Entscheidung zur Praxisgründung positiv beeinflussen könnten, nannten die Probandinnen aller Gruppen neben dem bereits beschriebenen Wunsch nach betriebswirtschaftlicher Ausund Weiterbildung insbesondere den Ausbau des Kinderbetreuungsangebots (Ganztageskindergärten und -schulen sowie flexible Öffnungszeiten der Einrichtungen).

Fazit

Die Formen der Berufsausübung des zunehmend von Frauen gewählten Berufs der Zahnärztin orientieren sich in starkem Maße an der persönlichen Situation der Ärztinnen. Der Anspruch der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führt dazu, dass viele Ärztinnen das Angestelltenverhältnis einer Praxisgründung vorziehen. Verstärkt wird dieser Trend durch die mangelhafte Vorbereitung der Hochschulen auf die spätere Berufsausübung in der Niederlassung. Betriebswirtschaftliche Inhalte werden den späteren Praxisinhabern im Studium praktisch nicht vermittelt, was die Vorbehalte gegen diese Form der Berufsausübung noch verstärkt.

Die von den zuständigen Institutionen und der standespolitischen Vertretung angesprochenen Rahmenbedingungen zur Förderung der Praxisgründungen im ländlichen Raum sollten daher an diesen Stellen ansetzen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den Ausbau entsprechender Kinderbetreuung sowie die Vorbereitung der angehenden Praxisinhaberinnen durch eine adäquate medizinische und betriebswirtschaftliche Ausbildung gewährleisten.

Prof. Dr. Bettina FischerDr. Paulina JedrzejczykHochschule RheinMainbettina.fischer@hs-rm.de

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Vorteile der Niederlassung

Nachteile der Niederlassung

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Eigenständigkeit

hohes wirtschaftliches Risiko

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Unabhängigkeit

bürokratischer Aufwand

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Flexibilität

Erfolgsdruck

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Gestaltungsfreiheit

Verantwortung für Mitarbeiter

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(bessere Verdienstmöglichkeiten)

Vereinbarkeit mit Familienplanung

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Wegfall des Mutterschutzes

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Verdienstausfall bei Krankheit

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Vorteile der Anstellung

Nachteile der Anstellung

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geregelte Arbeitszeiten

Weisungsgebundenheit

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regelmäßiges Einkommen

kein Mitspracherecht

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Vereinbarkeit von Familie und Beruf

keine Entscheidungsfreiheit

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Austausch mit Kollegen

keine Verwirklichung eigener Vorstellungen

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