Die Gefahr lauert auf jeder Türklinke
Vielleicht haben wir uns schon daran gewöhnt, dass vor allem in der kalten Jahreszeit das Infektionsrisiko und die Erkrankungsrate steil ansteigen. Doch die Betroffenen sehen das ganz bestimmt mit anderen Augen. Bei einer Norovirus-Infektion kommt es nämlich plötzlich zu schwallartigem Erbrechen und wässriger Diarrhö. Nach zwölf bis 72 Stunden ist meistens der Spuk so schnell wieder vorbei, wie er gekommen ist, und die Erkrankung heilt in der Regel ohne Folgen aus. Die Infektionserkrankung grassiert überwiegend im Winter, wenn das Immunsystem vieler Menschen geschwächt ist. Bis Anfang Februar meldeten Gesundheitsämter fast 70 000 Infektionen an das RKI.
Der Erreger
Schon 1968 wurde das Virus zum ersten Mal nachgewiesen, als in Norwalk, einer amerikanischen Kleinstadt viele Bewohner an einer infektiösen Magen-Darm-Grippe erkrankten. Vier Jahre später identifizierten elektronenmikroskopische Untersuchungen es genau, und es bekam den Namen Norwalk-Virus, 2002 wurde es in Norovirus umbenannt. Es gehört zur Familie der Caliciviridae. Gemäß einer Festsetzung des „International Committee on Taxonomy of Viruses“ (ICTV) erfolgt eine Unterteilung der humanen Caliciviren in die beiden Genera „Norovirus“ (NV) und „Sapovirus“ (SV). Das Virus ist viermal kleiner als das Grippevirus, aber hoch ansteckend – es reichen bereits zehn Partikel für eine Übertragung aus. Dann dauert es zwischen sechs Stunden und zwei Tagen bis die Krankheit ausbricht. Bisher sind mehr als 25 verschiedene genetische Typen bekannt und ständig finden Wissenschaftler neue. Auch innerhalb des Genomtyps sind die Viren extrem variabel.
Sie bestehen aus einem einzelnen kugelförmig gefalteten Strang des Erbmoleküls RNA. Wie die meisten RNA-Viren treten bei der Vermehrung verstärkt Mutationen auf. Zudem können die Erreger untereinander genetisches Material austauschen, was das Genom noch flexibler macht. Dadurch ist es kaum möglich, eine Immunität gegen den Erreger aufzubauen. Wer einmal eine Norovirus-Infektion hatte, kann sich jederzeit an einer anderen Variante des Virus erneut anstecken.
Auch Hausmittelchen, die das Immunsystem ankurbeln sollen, helfen hier nicht weiter: „Man kann sich nicht spezifisch gegen das Virus stärken“, sagt Virologe Klaus Ritter. Er rät vor allem Menschen mit geschwächtem Immunsystem, sich prophylaktisch zu schützen. Noroviren sind weltweit verbreitet und zählen auch in Deutschland zu den häufigsten Erregern infektiöser Gastroenteritiden.
Die Infektion
Tausende Deutsche haben im letzten Jahr aufgrund einer akuten Norovirus-Infektion zwei Tage oder mehr auf der Toilette verbracht. Doch weitaus gravierender als dieses vorübergehende Ereignis ist die Zahl von 75 Menschen, die in Folge der Erkrankung verstarben. „56 der Betroffenen waren über 79 Jahre alt“, sagt die Expertin Judith Koch vom Robert Koch-Institut und weist damit auf die Gefährlichkeit der Infektion für Kinder unter fünf Jahren und alte Menschen hin. „Eigentlich ist jeder Arzt verpflichtet, den Nachweis von Noroviren zu melden. Dennoch glauben wir, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Denn bevor Betroffene einen Arzt aufsuchen, ist die Krankheit meist schon vorüber.“ Außerdem erfasst die Statistik nur Fälle, die labordiagnostisch durch eine Stuhlanalyse belegt wurden.
Gefahr besteht vor allem durch massiven Flüssigkeitsverlust. Dies trägt dazu bei, dass Norovirus-Erkrankungen die überwiegende Ursache von akuten Gastroenteritis-Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen, Krankenhäusern und Altenheimen sind. Bei Säuglingen und Kleinkindern stellen sie nach den Rotaviren die zweithäufigste Ursache akuter Gastroenteritiden dar.
Der Infektionsweg
Der neue Viren-Superstar ist besonders schwer zu entfernen, weil er eine hohe Umweltstabilität hat. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral oder durch die orale Aufnahme virushaltiger Tröpfchen, die im Rahmen des schwallartigen Erbrechens entstehen. Das erklärt auch die sehr rasche Infektionsausbreitung innerhalb von Altenheimen, Krankenhäusern und Gemeinschaftseinrichtungen. Der Mensch ist das einzige bekannte epidemiologisch relevante Erregerreservoir.
Die direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist in erster Linie die Ursache für die hohe Zahl an Norovirus-Infektionen. Diese können aber auch von kontaminierten Speisen oder Getränken ausgehen. In Deutschland spielt diese Form der Übertragung aber keine große Rolle. „Das Virus verbreitet sich leicht, weil die Infektionsdosis sehr gering ist", sagt Susanne Glasmacher vom Robert Koch-Institut in Berlin. „Gerade wenn Menschen auf engem Raum zusammen sind und sich Toiletten teilen, wie es in Kindertagesstätten, Schulen, Großraumbüros, Krankenhäusern, Altenheimen, aber auch auf Kreuzfahrtschiffen der Fall ist, setzen sich die Viren auf Türgriffen, Treppengeländern, Toiletten und Stühlen fest. Wir haben es hier mit einem klassischen Fall von Schmierinfektion zu tun“, so die Biologin. Wer mit Ausscheidungen oder Speichel von Patienten in Kontakt kommt, kann innerhalb von zwei Tagen krank werden. Noch bis zu 14 Tage nach der Erkrankung können die Viren übertragen werden.
Die hohe Infektionsrate ist durch die hohe Viruskonzentration im Stuhl und im Erbrochenen von Erkrankten, die niedrige infektiöse Dosis, die relative Umweltstabilität des Erregers und durch die nur kurz bestehende Immunität zu erklären.
Eine Kreuzfahrt, die ist lustig, so lautet die Regel. Doch oft reicht schon ein kranker Passagier, der den Keim mit an Bord bringt, um den erwarteten Glücksin einen Horrortrip zu verwandeln. Da dieser Erreger auch außerhalb des Körpers resistent ist, überlebt er oft sogar das desinfizierende Schrubben der Putzkolonnen. Vor allem in den Wintermonaten macht sich das Norovirus auf Kreuzfahrtschiffen breit. Nach Auskunft der CDC (Centers for Disease Control) sind weltweit schon in diesem Jahr 700 von insgesamt 9 274 Passagieren auf sechs Schiffen daran erkrankt. Im Vorjahr grassierte das Virus auf mindestens 13 Schiffen. Auf einigen Kreuzfahrtschiffen kam es sogar zu einem mehrmaligen Ausbruch.
Meist verläuft die Krankheit unangenehm, aber harmlos. Wen es erwischt hat, dem bleibt im wahrsten Sinne des Wortes nichts anderes übrig, als abzuwarten und Tee zu trinken. Tee oder salzhaltige Brühe, am besten gleich literweise konsumiert, gleichen dabei den Flüssigkeits- und Salzverlust aus. Symptomatisch können Antiemetika aus der Reiseapotheke – wie Vomex A – den unangenehmen Brechreiz dämpfen. Ansonsten helfen keine Pillen. Bettruhe ist in jedem Fall sinnvoll, damit der Patient schnell wieder zu Kräften kommt. Damit die Erreger sich nicht weiter ausbreiten können, ist das gründliche Waschen der Hände nach jedem Toilettengang und vor jedem Essen eine conditio sine qua non. Auch Bettwäsche, Handtücher und Kleidung sind nach der Ansteckung mit Noroviren befallen. Diese müssen deshalb mit mindestens 60 Grad gewaschen werden. Durch die lang anhaltende Ansteckungsgefahr sollte man auch zwei Wochen nach der Erkrankung nicht auf akribisches Händewaschen verzichten. Wer erst einmal Erbrechen und Durchfall hinter sich hat, kann nach und nach wieder anfangen zu essen – klare Suppen, Haferschleim, Zwieback, Toast. Wichtig: Erst mal keine Süßigkeiten und nichts Fettes essen.
Die Prophylaxe
Verstärkt auf Sauberkeit zu achten ist die einzige Möglichkeit, das Virus einzudämmen. Gerade nach dem Toilettengang ist Händewaschen mit entsprechenden Desinfektionsmitteln oder zumindest Flüssigseife Pflicht. Auch, wenn man mit vielen Menschen zusammen oder mit Bus und Bahn unterwegs war, kann Händewaschen vorbeugen. Das gilt besonders nach Benutzung öffentlicher Toiletten oder Räumlichkeiten. Auch der Verzicht auf Händeschütteln hilft in diesen besonderen Zeiten mehr, als man denkt.
Die Folgen für die Zahnarztpraxis
Da eine Impfung nicht zur Verfügung steht, ist die konsequente Einhaltung der allgemeinen und besonderen Hygieneregeln, auch über den Hygieneplan hinaus – insbesondere in der symptomatischen Phase – wichtig. Zahnärzte und zahnärztliches Personal sind nämlich nicht nur Empfänger von pathogenen Mikroorganismen, sondern auch potenzielle Verteiler dieser Keime. Um diesen wechselseitigen Möglichkeiten von Keimübertragungen an möglichst vielen Stellen einen Riegel vorzuschieben, werden die geforderten Hygienemaßnahmen im Sinne sowohl des Patienten als auch des Personalschutzes durchgeführt.
Das Tragen von Einmalhandschuhen, langärmeligen Schutzkitteln, eines mehrlagigen, nicht durchfeuchteten Mund-Nasen-Schutzes, ist nicht nur in diesen Fällen eine conditio sine qua non.
Konsequente Desinfektion
Eine konsequente Händedesinfektion und eine erhöhte Reinigungs-/Desinfektionsfrequenz von patientennahen Flächen im Wartebereich und in den Behandlungsräumen sowie von Toiletten, Waschbecken, Türgriffen, Bedienelementen, Tastaturen und mehr hilft, die Infektionsgefahr für Patient und Praxispersonal wirksam zu reduzieren. Bei sichtbarer Kontamination ist – um eine Antrocknung zu verhindern – eine sofortige Reinigung und Desinfektion durchzuführen. Zur Desinfektion sind nur Präparate mit nachgewiesener viruzider Wirksamkeit geeignet, denn Noroviren sind gegen viele Desinfektionsmittel resistent!
Erkrankte Praxismitglieder dürfen ihren Dienst erst wieder aufnehmen, wenn nach Ausbleiben der Symptome 48 Stunden verstrichen sind. Patienten mit einer Verdachtsdiagnose sollten den Wartebereich erst gar nicht betreten und in einem gesonderten Raum auf eine Notfallbehandlung warten. Ist keine Sofortmaßnahme notwendig, werden sie gebeten, sich zur Weiterbehandlung erst zwei Tage nach dem Abklingen der klinischen Symptome zu melden. Auch sollten sie auf die notwendige Händedesinfektion hingewiesen werden. Wie so oft gilt auch innerhalb und außerhalb der Praxisräume: Weniger ist mehr! Vermeiden Sie deshalb unbedingt die gebräuchliche Begrüßungsform des „Händeschüttelns“ – auch wenn es schwerfällt!
Dr. Gerd BastingGiesebrechtstr. 810629 Berling.basting@gmx.de