Medizin mit Symbolkraft
Dem Studienkreis gehören Medizinhistoriker, Ärzte, Apotheker, pharmazeutische Biologen und einige Studenten und Dozenten des Seminars „Grundlagen der Phytotherapie“ und „Phytotherapie und traditionelle Medizin“ an. Die Wahl der Arzneipflanze des Jahres soll die Öffentlichkeit anregen, sich mit den Anwendungsmöglichkeiten von Phytopharmaka zu beschäftigen. Auswahlkriterien sind eine interessante medizinische und kulturelle Geschichte der Pflanze und deren in pharmakologischen und klinischen Studien überzeugend nachgewiesener medizinischer Nutzen.
Oftmals erhielten unbekannte Pflanzen wie der Ruscus vom Studienkreis den Zuschlag, um der Öffentlichkeit das große Spektrum der Phytotherapie zu zeigen. Oder es wurden aus der Flora Gewächse ausgewählt, die zwar recht beliebt sind, wie die Pfefferminze, über deren medizinische Anwendung und Wirkung dagegen nicht so viel bekannt ist.
Verschiedene Formen
Efeu kommt in verschieden Formen vor. Der botanische Name des Efeus lautet Hedera helix. Dieser lateinische Name leitet sich wiederum vom griechischen Wort hédra (das Sitzen) und helissein (winden) her. Das deutsche Wort Efeu hat seinen Ursprung wahrscheinlich in dem altsächsischen Wortstamm ebah oder ifig, was so viel wie „Kletterer“ heißt. Dieser Wortstamm wurde mit „Heu“ verbunden, woraus im Althochdeutschen dann ebe-höu oder ebehöu wurde, was in etwa „Kletterlaub“ bedeutet.
Die immergrüne holzige Pflanze klettert mit Hilfe von Luftwurzeln. In ihrer Jugendform weisen die Blätter des Efeus die typische Zackenform auf. Erst in der Altersform blüht die Pflanze und die Blätter sind rundlicher. Das Gewächs hat dann kugelartige Blütenstände und blauschwarze Früchte. Die Blätter und der Saft des Efeus können Allergien der Haut bewirken und der Verzehr der Früchte kann giftig sein.
Ein Arzneimittel
In der Medizin wurde der Efeu bereits in der Antike und dem Mittelalter als Arznei verwendet. Auch heute wird der Efeu in Arzneien genutzt. Die Pflanze enthält vor allem die sogenannten Saponine. Die Inhaltsstoffe des Efeus helfen unter anderem bei Atemwegserkrankungen, wie Husten, Keuchhusten, spastischer Bronchitis und chronischem Atemwegskatarrh. Um die Wirkstoffe des Efeus zum Beispiel für Hustensäfte, aber auch für Tabletten oder Tropfen zu gewinnen, werden die getrockneten Blätter mit Alkohol und Wasser gespült. Der so entstandene Extrakt wird anschließend wieder vom Alkohol befreit und das Konzentrat wird getrocknet. Präparate mit Efeuinhaltsstoffen sind auch gut für Kinder verträglich. Hedera helix findet auch in der Homöopathie Anwendung, wobei die frischen unverholzten Triebe gebraucht werden.
In einem Kräuterbuch aus dem 15. Jahrhundert stehen Rezepte mit Efeu des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos in Kilikien. Der griechische Arzt wirkte um 60 nach Christus, stand im Dienst der römischen Kaiser Claudius und Nero und verfasste unter anderem ein fünfbändiges Werk (peri hyles iatrikes) über die Arzneimittellehre. In seiner Schrift behandelte er neben Medikamenten aus tierischen Substanzen und Mineralien, vor allem solche aus Pflanzen, die er nach seinen äußeren Merkmalen und ihrer Wirkung ordnete. Dioskurides spricht in seinem Werk davon, dass der Saft von Efeu in die Nase eingelassen das Haupt von bösen Flüssen (= Schnupfen) reinige. Efeu mit Öl gekocht und in die Ohren eingelassen, nehme die Schmerzen heraus. Die Blätter mit Wein gekocht und den Wein dann getrunken, nehme die Hitze, die den Menschen bisweilen anfällt (leichte Fieber, Wechseljahre der Frau).
Hildegard von Bingen
Auch das Mittelalter kannte die Anwendung der Efeupflanze in der Medizin. Die berühmte Hildegard von Bingen (1098 – 1179) benutze in einigen aufwändigen Rezepten Efeu als Bestandteil. Oft wurde der Efeu mit Beinwell kombiniert, um Verletzungen zu heilen. Aus ihrem Werk „Physica“ ist aus Kapitel 140 folgender medizinischer Gebrauch des Efeus überliefert: „Eine Frau, die zur unrechten Zeit unter einer starken Menstruation leidet, koche Efeu in Wasser und lege ihn sich auf Schenkel und Nabel und seine Kälte widersetzt sich dem verkehrten Blutfluss.“
Der in Straßburg praktizierende deutsche Arzt Hieronymus Brunschwig nennt in seinem „Kleinen Destillierbuch“ aus dem Jahr 1500 folgende Rezepturen mit Efeu: „Efeu-Wasser [Destillat aus Blättern und Früchten] ist gut bei Kopfschmerz, wenn man oft und in größerer Menge den Kopf damit bestreicht.“ Und weiter: „Efeu-Wasser, morgens und abends zwei Lot mit anderem Getränk vermischt getrunken, reinigt die Därme und die Blase, ist aber nicht gut für die Frauen. Denn es zerstört den Samen und fügt den Frauen Schaden zu. Deshalb sollen sich die Schwangeren vor diesem Wasser hüten und es weder trinken noch sonst anwenden.“
Symbol der Treue
Die Efeupflanze hat neben ihrer medizinischen Bedeutung auch eine hohe Symbolik, wurde in der antiken Mythologie verehrt und diente als Stilelement in der Kunst. Bereits seit der Antike symbolisierte der Efeu Treue und Freundschaft und das ewige Leben. Im alten Griechenland wurde Brautpaaren ein Efeuzweig als Sinnbild für stetige Treue überreicht. Der Efeu galt als heilige Pflanze der Musen und Dichter wurden mit ihm bekränzt.
Auch Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) widmete dem Efeu lyrische Zeilen:
„Efeu und ein zärtlich Gemüt,heftet sich an und grünt und blüht,kann es weder Stamm noch Mauer finden,es muß verdorren, es muß verschwinden.“
Im alten Ägypten galt die immergrüne Efeupflanze als Symbol der Unsterblichkeit und Regeneration. Dadurch wurde der Wille der Verstorbenen ausgedrückt, das ewige Leben zu erlangen. Vor allem in Privatgräbern von Theben-West schmücken Efeudekorationen Särge und Beigaben. So zeigt ein Uschebtikasten einen Verstorbenen mit einer Efeuranke in der Hand, der vor dem Gott Osiris betet. Uschebtis sind kleine meist mumienförmige Figuren, die den Toten mit ins Grab gegeben wurden.
In der antiken Mythologie der Griechen und Römer war der Efeu neben der Weinrebe die Pflanze des Dionysos, des Gottes der Vegetation, des Weins und der unkontrollierten Gefühle. Die Statuen des Dionysos wurden mit Efeublättern geschmückt. In dem mythischen Kampf zwischen Dionysos, dem Sohn des Zeus und der Semele, und der Göttin Hera, der Gemahlin des Zeus, kommt dem Efeu große Bedeutung zu. Hera war der Seitensprung ihres Gatten Zeus nicht verborgen geblieben und aus Eifersucht übte sie zunächst Rache an Semele und dann an Dionysos.
So heißt es in der Mythologie: „Als Hera Dionysos erneut entdeckte, ließ sie ihn von Piraten entführen. Doch das Schiff der Seeräuber blieb während der Fahrt plötzlich reglos auf den Wellen liegen, Flötenmusik erklang, um die Ruder rankten sich Efeu und Wein, Schlangen ringelten sich um den Mast, und Löwen und Panther gingen auf Deck spazieren. […] Nun griff Hera zu einem letzten Mittel: Sie schlug Dionysos selbst mit Wahnsinn. Doch was eine Strafe für ihn sein sollte, erwies sich als Triumph: Von seinem göttlichen Wahn beseelt, stürmte er mit seinem Gefolge aus wilden blutrünstigen Mänaden und lüsternen bocksbeinigen Satyrn von Land zu Land, um die Welt seinem neuen Kult des Rausches zu unterwerfen. Das Feldzeichen dieses Heerzuges war ein mit Efeu umwickelter und von einem Pinienzapfen bekrönter Stab [Thyrsosstab / Anm.: K. Lutze]. In Ägypten griff das Gefolge des Dionysos in den Kampf der Götter gegen die Titanen ein, dann wandte sich das ekstatische Heer nach Osten. Auf einer Brücke aus Efeu und Weinreben überquerte es den Euphrat und zog, gewaltig und siegreich, bis nach Indien.“ (aus: Mythen, Die bekanntesten Mythen der griechischen Antike, dargestellt von Gerold Dommermuth-Gudrich, Hildesheim 2000, S. 86/87)
In einen anderen mythischen Wettstreit, der in den Metamorphosen des Ovid (6, 127–8) wiedergegeben wird, spielt der Efeu eine Rolle. Die von der Webkunst der Arachne herausgeforderte Göttin Pallas Athene wählte für ihren Stoff einen Rand aus Ölbaumzweigen. Arachne dagegen schmückte den Saum ihres Gewebes mit Blumen und Efeu. Verärgert über die Kunstfertigkeit der sterblichen Arachne zerstörte die Göttin Athene das Kunstwerk und verwandelte die Arachne für alle Zeiten in eine Webspinne.
Dekorativ
Seit der Antike ist der Efeu ein beliebtes Stilelement in der Kunst. Efeudekorationen wurden in der minoischen Kultur auf Kreta verwendet. Als Symbol für das ewige Leben finden sich Efeuranken auf frühchristlichen Sarkophagen und auf Fresken in Katakomben. Auch die mittelalterliche Kunst nutzte das Efeugewächs als dekoratives Element. So schmücken die Grisaille-Fenster des Altenberger Domes im Bergischen Land Ornamente aus der mitteleuropäischen Flora. Vielfältiges Laubwerk ziert auch die Säulen des Chorraumes, die Konsolen und Maßwerkkapitelle sowie die Schlusssteine des Langhauses. Neben den Blättern von Eiche, Ahorn, Weinrebe, Hopfen, Flieder, Weißdorn, Rose und Klee findet sich der Efeu.
Auch spätere Stilepochen verwendeten die Efeuranke gerne als floralen Schmuck. Vor allem im verspielten Dekor des Barock und des Rokoko bis hin zum Jugendstil rankt der Efeu.
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