Gesundheitsförderung bei Jugendlichen

Wenn der Rausch ruft

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Kleine Kinder machen kleine Sorgen, große Kinder größere, heißt es. Eltern und Lehrer können davon ein Lied singen. Die jungen Erwachsenen neigen zu riskantem Verhalten, das sich negativ auf ihre Gesundheit auswirkt. Besonders auffällig ist der exzessive Alkoholkonsum. Durch die Medien wandern Begriffe wie „Flatrate-Party“ oder „Komasaufen“. Fest steht: In Deutschland werden immer mehr Kinder und Jugendliche mit der Diagnose „Akute Alkoholintoxikation“ stationär behandelt. Die Zahl der Notfälle stieg vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2008 um 170 Prozent.

Dem Archiv des Statistische Bundesamtes in Wiesbaden (Destatis) ist zu entnehmen: „Im Jahr 2008 wurden rund 25 700 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen zehn und 20 Jahren aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs stationär im Krankenhaus behandelt.“ Weit mehr Menschen, als eine Kleinstadt Einwohner hat. Und ein Anstieg von elf Prozent gegenüber 2007. Im Milleniumsjahr waren es „lediglich“ 9 500 Patienten. Auffällig ist: Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 15 bis unter 20 Jahren wurden mehr Männer (64 Prozent) behandelt. Dagegen dominierten bei den Patienten im Alter von 10 bis unter 15 Jahren die Mädchen (53 Prozent), obwohl ihr entsprechender Anteil an der Bevölkerung nur 49 Prozent beträgt.

Das Zeitfenster vom ersten Konsum, bis zum ersten Rausch ist kurz. Während der bundesdeutsche Durchschnitt mit 13,2 Jahren zum ersten Mal am alkoholischen Getränk nippt, findet der erste Rausch bereits sieben Monate später statt (13,9 Jahre). Heidi Kuttler ist Diplompädagogin und Geschäftsführerin der Villa Schöpflin, einem Zentrum für Suchtprävention im badenwürttembergischen Lörrach. Sie warnte beim Symposium zur Vorstellung des neuen „Weißbuches Prävention“ in Hannover vor einer Stigmatisierung der Heranwachsenden. „Es handelt sich nicht um eine Generation von Komatrinkern, sondern um eine Teilgruppe“, betonte Kuttler. Zudem sei es aus ihrer Sicht grundsätzlich positiv, auch mal Risiken einzugehen: „Es geht nicht darum, Wagnisse zu verdammen.“

Jedoch berge die Unerfahrenheit im Umgang mit Alkohol, kombiniert mit einer jugendtypischen hohen Risikobereitschaft Gefahren. Kuttler wies darauf hin, dass jede vierte Gewalttat unter Alkoholeinfluss geschieht. Bei 28,7 Prozent aller Vergewaltigungen, ist der Täter alkoholisiert. Und: Die Wahrscheinlichkeit von Unfällenetwa im Freien zu erfrierennehme unter Alkoholeinfluss dramatisch zu. Erstaunlich ist: Jugendliche überschätzen in der Regel den Alkoholkonsum ihrer peers (Gleichaltrigen). In entsprechenden Studien sind die Befragten der Meinung, dass 80 bis 90 Prozent aller Jugendlichen jeden Monat einen Rausch haben. In Wirklichkeit sind es weniger.

Um zu verhindern, dass Jugendliche durch Alkohol zu Schaden kommen, führt Heidi Kuttler mit ihrem Team den Workshop „Tom & Lisa“ zur Alkoholprävention in Schulklassen durch. Das Projekt richtet sich an 14- bis 16-Jährige und gezielt gegen das komatöse Rauschtrinken. Den roten Faden bilden die Vorbereitung und Durchführung einer Party. Unter Berücksichtigung des Jugendschutzgesetzes wird der Einkauf von Getränken geplant. Die Stimmung soll mit Spielen ohne Alkohol erzeugt werden. Eine simulierte Eskalation durch eine schwere Alkoholvergiftung bildet den tragischen Höhepunkt.

Auf Grundlage der frischen Erfahrungen werden Regeln für künftige Partys besprochen. Die Entwicklung, Herstellung und Evaluation von „Tom & Lisa“ wurden von der KKH-Allianz gefördert. „Die pädagogische Arbeit mit den Klassen zielt nicht in erster Linie auf Abstinenz, sondern auf einen altersgemäßen, verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol“, erklärt die Diplompädagogin, die auch Initiatorin des Bundesmodellprojektes „HaLT - Hart am Limit“ ist (siehe Info-Kasten). Kuttler erklärt: „Nach allem, was wir aus der Präventionsforschung wissen, reicht es nicht aus, Jugendliche über die Gefahren aufzuklären. Vielmehr braucht es ein umfassendes Gesamtkonzept.“

Risikogruppen im Fokus

In diese Kerbe stieß in Hannover auch der KKH-Vorstandsvorsitzende Ingo Kailuweit: „Die Weichen für die Prävention müssen von den politisch Verantwortlichen gestellt werden.“ Gleichzeitig monierte er: „Wenn ich mir die Landschaft meiner Kollegen ansehe, wird gespart, wo es geht. Auch an den falschen Stellen. So wurden Präventionsmodelle gestoppt.“ Mit Sorge blicke er auf die steigende Zahl der jungen Leute, die mehr als einmal im Jahr wegen Alkoholmissbrauches ins Krankenhaus müssen. „Das Jugendalter ist auch Ausgangspunkt für gesundheitliches Risikoverhalten. Gerade weil in dieser Lebensphase die Weichen für das spätere Verhaltensrepertoire gestellt werden, müssen präventive Maßnahmen möglichst alle Lebensbereiche tangieren“, betonte er. Elementar sei die Stärkung von Elternkompetenz und die Etablierung von Gesundheitsförderung und Prävention als feste Bestandteile des Schulunterrichts. Auch auf gesundheitspolitischer Ebene müsse die Bedeutung der Prävention gestärkt werden, gerade in Zeiten des Gesundheitsfonds. „Deshalb fordern wir seit längerem, dass der Gesundheitsfonds zweckgebundene Mittel für die Prävention ausweisen muss“, erklärte der Kassenchef. Bisher komme Prävention in der Konstruktion des Fonds praktisch nicht vor. „Wir haben einen riesigen Datenfundus – übertragbar auf die Bundesrepublik. Sprich, wir können Grundlagenmaterial für eine Diskussion stellen“, bot Kailuweit an.

„Prävention bei Jugendlichen geht uns alle an“, erklärte in Hannover Mechthild Dyckmans, Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Aus ihrer Sicht zeige das Weißbuch besorgniserregende Befunde: Eine Verschiebung von akuten zu chronischen Erkrankungen bei Allergien, psychischen Erkrankungen, Adipositas, sowie problematischem Rauchund Trinkverhalten. „Die Sitten verändern sich. Früher völlig unüblich, trifft man sich jetzt gezielt zum Rauschtrinken in der Öffentlichkeit“, stellte sie fest. Das „Binge-Drinking“ („Komasaufen“) nehme zu. Dieser Trend zeichne sich im gesamten europäischen Raum ab. Dyckmans: „Auch wenn diese Gruppe nur eine Minderheit unter den Kinder und Jugendlichen darstellt, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Alkohol nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen gehört“ Dazu sollte zum einen der Jugendschutz konsequent durchgesetzt werden. Zum anderen aber muss die Alkoholprävention spezifisch auf diese Risikogruppe abzielen.“

Aus der Vogelperspektive präsentiert sich die Jugend 2010 „sehr erwachsen, kontrolliert und vernünftig“. Dieses Ergebnis der Jugendstudie des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold basiert auf längeren Tiefeninterviews.

In den Lebensentwürfen der 18- bis 24- Jährigen scheint immer mehr eine Biedermeierwelt durch. Sie streben nach Erfolg, einem sicheren Job, treuer Partnerschaft und familiärer Heimeligkeit. Aufhorchen lässt, dass die Teenagerzeit vieler Befragter von Komasaufen und Drogenexzessen geprägt gewesen sei. Mit 16 oder 17 seien sie dann an einen Wendepunkt gekommen. Der Lust auf den Rausch überdrüssig, folgte ein Umschwung hin zu Selbst-Kontrolle, Anpassung und Vernunft. Die Ergebnissse der Studie lassen alle Akteure hoffen.

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