Zuckerkonsum bei Erwachsenen und Kindern

Eine Einschätzung zum Richtlinienentwurf der WHO

Heftarchiv Gesellschaft
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) präsentierte im März 2014 einen neuen Richtlinienentwurf zum Zuckerkonsum. Demnach sollte die tägliche Aufnahme freier Zucker zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs pro Tag nicht überschreiten. Dr. Nele Kettler vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) bewertete diesen Entwurf.

Die neue Richtlinie entspricht den Empfehlungen von 2002. Darüber hinaus wird in dem neuen Entwurf festgehalten, dass eine weitere Reduktion freier Zucker auf unter fünf Prozent des Gesamtenergiebedarfs zusätzliche Vorteile habe.

2010 führte die WHO den Guideline Development Process ein. Dabei handelt es sich um ein Protokoll für den Ablauf eines Revisions- und Veröffentlichungsprozesses bei Ernährungsempfehlungen für die Bevölkerung. Im Rahmen dieses Prozesses gab sie zur Überarbeitung der Empfehlungen eine systematische Literaturrecherche in Auftrag. Moynihan und Kelly et al bewerteten alle randomisiert kontrollierten sowie Interventions- und Beobachtungsstudien, die seit 1950 zu diesem Thema veröffentlicht wurden, auf Grundlage des GRADE-Systems (Grading of Recommendations Assessment Development and Evaluation) und veröffentlichten die Ergebnisse Anfang 2014 im „Journal of Dental Research“ [Moynihan et al., 2014]. In dem Beitrag stellten Sie fest, dass eine Zuckeraufnahme von weniger als zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs pro Tag zu niedrigeren Kariesprävalenzen führt. Der Evidenzgrad ist von den Autoren aufgrund der Qualität der untersuchten Studien als moderat eingestuft worden. Reduziert man die Zuckeraufnahme auf fünf Prozent des gesamten Energiebedarfs pro Tag, ist der Zusammenhang zwischen niedrigerer Kariesprävalenz und reduzierter Zuckeraufnahme signifikant, der Evidenzgrad dieser Aussage wird als gering eingestuft. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine Zuckeraufnahme von unter zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs pro Tag das Kariesrisiko minimiert, jedoch die Kariesentstehung nicht vorbeugen kann.

Die Rolle des Zuckers bei der Kariesentstehung

Drei Hauptfaktoren tragen zur Entstehung einer Karies bei: Bakterien, der Zahn sowiedas Substrat [Keyes et al.,1962]. Diese drei Faktoren wurden später um einen vierten Faktor ergänzt: die Zeit.

Das Substrat besteht aus Zucker, beziehungsweise leicht fermentierbaren Kohlenhydraten, wie zum Beispiel Glukose, Fructose oder Maltose, die in der Nahrung enthalten sind [Shellis, 2012]. Die hauptsächlich für die Kariesentstehung verantwortlichen Streptococcus-Mutans-Bakterien gelangen über den Infektionsweg in die Mundhöhle und tragen gemeinsam mit anderen Bakterien, wie Streptococcus sobrinus oder Actinomyes-Bakterien zur Kariesentstehung bei. Diese Bakterien zeichnen sich vor allem durch ihre azidogenen (schnelle Umwandlung von Zucker in Säure) und azidurischen (bestehen bei niedrigen pH-Wert-Bedingungen) Fähigkeiten aus. Solange vor allem zuckerarme Kost verzehrt wird, bilden diese Bakterien zusammen mit weniger azidogenen und weniger azidurischen Bakterien eine zunächst nicht kariogene Mikroflora. Wird die Zuckeraufnahme erhöht, sinkt der pH-Wert der Plaque häufiger und auf niedrigere Werte. Es kommt zu einer Verschiebung der Mikroflora zugunsten der azidogenen und azidurischen Bakterien, wodurch die Mikroflora kariogen wird.

Bei der Aufnahme von Nahrung und dem anschließenden Abbau des Zuckers zu Säuren kommt es zu einem Abfall des pH-Wertes in der Mundhöhle unter den für den Zahnschmelz kritischen Wert von 5,2 – 5,5.

In dieser Phase kann es zur Demineralisation des Zahnschmelzes kommen. Steigt der pH-Wert über diesen kritischen Wert, ist eine Remineralisation des Zahnes möglich. Je größer die aufgenommene Zuckermenge ist, desto tiefer kann der pH-Wert sinken. Und je häufiger Zucker konsumiert wird, desto seltener treten Phasen auf, in denen der Zahn remineralisiert werden kann.

Nicht nur die aufgenommene Menge, sondern vor allem die Frequenz der Zuckeraufnahme zeigt einen Einfluss auf die Kariesentstehung. Die wohl bekannteste Studie, welche die Folgen einer erhöhten Menge aufgenommenen Zuckers mit einer gleichzeitig erhöhten Frequenz der Zuckeraufnahme verglich, wurde in den 1940er-Jahren in Schweden durchgeführt [Gustafsson 1954].

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Fazit

Bei der Kariesentstehung sind viele verschiedene Faktoren beteiligt, einer davon ist die Aufnahme von Zucker, welcher als Substrat für säureproduzierende Bakterien dient. Dabei ist nicht nur die Zuckerzufuhr an sich entscheidend, sondern auch die Frequenz und die aufgenommene Menge.

Die Empfehlung der WHO basiert auf einem Literaturreview, in welches Studien eingeschlossen wurden, die sich mit der aufgenommenen Zuckermenge beschäftigen. Auf dieser Basis erscheint die Forderung sinnvoll, die täglich aufgenommene Zuckermenge auf weniger als zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs pro Tag zu reduzieren. Die Empfehlung einer weiteren Reduktion auf unter fünf Prozent des Tagesbedarfs ist dagegen aus zahnmedizinischer Sicht nicht schlüssig, auch die Autoren des Reviews geben an, dass der Evidenzgrad an dieser Stelle gering sei.

Zu bedenken ist, dass in dem Review ausschließlich die täglich aufgenommene Zuckermenge betrachtet wurde, weder die Aufnahmefrequenz noch das Zusammenspiel mit anderen Faktoren wurde als Kriterium in die Bewertung einbezogen. Gerade vor dem Hintergrund des Rückgangs der Kariesprävalenzen in Deutschland in den letzten Jahren wird deutlich, dass nicht alleine eine Reduktion aufgenommener Zuckermengen zu dieser Entwicklung beigetragen hat [Micheelis et al., 2006].

Die Empfehlung fokussiert sich insbesondere auf einen ätiopathogenetischen Risikofaktor (Zucker). Neben Risikofaktoren rücken in der modernen (Zahn-)Medizin auch Schutzfaktoren zunehmend in den Vordergrund. Für die Kariesprävention ist hier besonders das Fluorid zu nennen. Grundsätzlich können sich Risikofaktoren durch Schutzfaktoren aufheben, wie dies beispielsweise für die Zahnkaries der Fall ist.

Dies wurde in den Deutschen Mundgesundheitsstudien dargestellt. Auch wenn der allgemeine Zuckerkonsum in den vergangenen Jahren nicht zurück gegangen ist, hat sich bei der jungen Bevölkerung ein dramatischer Kariesrückgang eingestellt von durchschnittlich mehr als sieben kariösen Zähnen in den 1980er-Jahren bis unter einem kariösen Zahn im Jahr 2005 (12-Jährige). Diese Zahlen zeigen ganz deutlich, dass der Zuckerkonsum ganz sicher nur eine Stellschraube ist, mit der die Zahnkaries beeinflusst werden kann. Insofern ist die Empfehlung der WHO aus zahnmedizinischer Sicht zwar nicht unbegründet und könnte zu einer weiteren Reduktion der Kariesprävalenzen beitragen, sollte jedoch vor dem Hintergrund, dass Karies eine multifaktorielle Erkrankung ist und viele dieser Faktoren, wie gerade die Aufnahmefrequenz des Zucker, nicht Basis der Empfehlung ist, mit Vorsicht interpretiert werden.

Dr. Nele KettlerInstitut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)Universitätsstraße 7350931 Köln

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