Aus der Praxis

Außergewöhnliches Arzneimittelexanthem nach Amoxicillin-Gabe

Frank Halling
,
Ein 54-jähriger Patient wurde von seinem Hauszahnarzt ohne weitere Therapie in unsere Praxis überwiesen, um eine Schwellung im Unterkiefer abzuklären. Der Patient hatte aufgrund der akuten Beschwerden bisher keine Selbstmedikation vorgenommen. Eine Dauermedikation bestand ebenfalls nicht.

Kasuistik

Bei der klinischen Untersuchung sahen wir ein prothetisch und konservierend gut versorgtes Gebiss. Im Unterkiefervestibulum regio 46/47 fand sich bei der klinischen Untersuchung eine druckdolente, weiche Schwellung mit deutlicher Schleimhautrötung. Der devitale Zahn 47 war deutlich klopfempfindlich und zeigte Lockerungsgrad I. Im Orthopantomogramm waren beim vollständig wurzelgefüllten Zahn 47 eine deutliche interradikuläre Osteolyse sowie kleinere apikale Aufhellungen erkennbar (Abbildung 1). Die übrigen Zähne im vierten Quadranten reagierten im Kältetest positiv.

Da es sich um eine eher diffuse Schwellung im Sinne eines entzündlichen Infiltrats handelte, wurde zunächst eine systemische Antibiose mit Amoxicillin 3 x 1000 mg/Tag eingeleitet und lokale Kühlung empfohlen. Zur Schmerztherapie wurde Ibuprofen 400 mg verordnet. Eine Penicillinallergie konnte anamnestisch ausgeschlossen werden. Der Patient nahm noch in der Praxis die erste Tablette ein.

Anamnese und Therapie

Ungefähr vier Stunden nach der Behandlung meldete sich der Patient telefonisch in unserer Praxis und berichtete über einen Juckreiz in der Leistenregion mit ausgeprägter Hautrötung. Da der Patient sehr verunsichert war, wurde die Antibiotikatherapie sofort abgebrochen und eine intensive Kühlung des Unterkiefers empfohlen. An den beiden Folgetagen verstärkte sich die Hautsymptomatik weiter, während sich das Infiltrat des Unterkiefers langsam zurückbildete.

Aufgrund der deutlichen Hautsymptomatik wurde ein dermatologisches Konsil vereinbart. Bei der hautärztlichen Untersuchung fanden sich flächenhafte, teils erosive Erytheme mit scharfer Begrenzung im Bereich der Gluteal-, der Inguinal- und der Genitofemoralregion (Abbildungen 2 und 3). Zusätzlich hatten sich bei weiter zunehmendem Juckreiz Erytheme in den Armbeugen sowie in der Axillarregion entwickelt.

Die dermatologische Therapie umfasste eine lokale Behandlung mit einer 0,2-prozentigen Prednisolon-Creme im Bereich der Erosionen sowie einer Betamethason-Salbe für die erythematösen Hautareale. Zusätzlich erfolgte noch eine systemische Therapie mit 20 mg Prednisolon/die. Die Verdachtsdiagnose lautete: Arzneimittelexanthem nach Amoxicillin unter dem Bild eines sogenannten „Baboon-Syndroms“.

Bei der erneuten Vorstellung nach vier Tagen war das Hautbild deutlich verändert. Jetzt zeigte sich ein generalisiertes, diffuses, teils makulo-papulöses Exanthem, das im Bereich der Armbeuger und der Achselfalten rückläufig war (Abbildung 4), während in der Leistenregion eine exfoliative Schuppung vorlag. Weiterhin waren Unterschenkel- und Fußödeme erkennbar (Abbildung 5).

Die Steroiddosis wurde jetzt auf 40 mg Prednisolon/die unter Magenschutz mit Omeprazol erhöht und die Leistenregion mit Lotio alba behandelt. Unter dieser Behandlung kam es in den folgenden zwei Wochen zur vollständigen Remission der Hautbefunde. Der auslösende Zahn wurde zwischenzeitlich entfernt.

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Diskussion

Medikamenteninduzierte Reaktionen der Haut sind im klinischen Alltag keine Seltenheit. Die häufigsten unerwünschten Medikamentennebenwirkungen sind Arzneimittelexantheme, die eine große Vielfalt aufweisen können (polymorphe Exantheme) [Rassner G, 2000].

Man nimmt an, dass etwa 60 Prozent aller kutanen Arzneimittelreaktionen als Arzneimittelexanthem auftreten [Merk HF, 2000]. Im vorliegenden Fall handelte sich um ein seltenes, akut verlaufendes Arzneimittelexanthem der Gesäß- und Leistenregion, das an ein gerötetes „Affengesäß“ erinnert (Baboon = Pavian). Seit der Erstbeschreibung 1984 [Andersen KE, Hjort N, Menne T, 1984] sind bisher ungefähr 100 klinische Fälle beschrieben worden [Allain-Veyrac et al., 2011].

Allerdings ist der Begriff „Baboon-Syndrom“ heutzutage eher obsolet [Ziemer, 2014]. Mittlerweile bevorzugen zahlreiche Autoren für dieses Krankheitsbild das Akronym SDRIFE (symmetrical drug related intertriginous and flexural exanthema), das die klinische Morphologie genauer charakterisiert [Allain-Veyrac et al., 2011; Arnold et al., 2000; Häusermann et al., 2004; Ziemer, 2014].

Ungefähr die Hälfte aller SDRIFE-Fälle wird durch Betalaktam-Antibiotika ausgelöst [Häusermann et al., 2004; Ziemer, 2014]. Eine zweite Gruppe entsteht nach systemischer Aufnahme eines Allergens bei vorheriger Sensibilisierung im Rahmen einer topischen Exposition (zum Beispiel Quecksilber). Typischerweise tritt SDRIFE als kutane Arzneimittelreaktion vom Spättyp mit einer Latenz von wenigen Stunden bis Tagen nach Allergenzufuhr auf [Wurpts G, Merk HF, 2006; Ziemer, 2014]. Weitere systemische Symptome fehlen [Häusermann P, Harr T, Bircher AJ, 2004].

Der präzise immunologische und pathogenetische Mechanismus des Syndroms ist noch unklar. Möglicherweise handelt es sich um eine T-Zell-vermittelte, verzögerte Hypersensitivitätsreaktion [Arnold et al., 2007; Ziemer, 2014]. Die Diagnose basiert meist auf dem typischen klinischen Bild und der vorhergehenden Arzneimitteleinnahme [Tan SC, Tan JW, 2011]. Die histologische Untersuchung des Gewebes ist nicht wegweisend, sondern nur bestätigend. Die Heterogenität der Befunde lässt vermuten, dass sich unterschiedliche Krankheitsbilder hinter der Symptomatik verbergen [Ziemer, 2014]. Mittels einer allergologischen Diagnostik ist mitunter keine Sensibilisierung zu objektivieren [Wurpts G, Merk HF, 2006].

In unserem Fall entwickelte sich SDRIFE trotz lokaler und systemischer Glukokortikoidgabe nach drei bis vier Tagen zu einem diffusen, teils generalisierten makulopapulösen Exanthem, so dass die systemische  Dosis auf 40 mg Prednisolon/die verdoppelt werden musste. Hierbei ist ein zusätzlicher Magenschutz (wie Omeprazol) obligatorisch. Unter dieser Therapie kam es nach etwa zwei Wochen zu einer vollständigen Remission. Spätfolgen waren nicht zu beobachten.

Amoxicillin ist eines der Standardtherapeutika in der Zahnmedizin und gehört wie andere Betalaktam-Antibiotika zu den häufigsten Auslösern des SDRIFE beziehungsweise des Baboon-Syndroms [Wurpts G, Merk HF, 2006; Ziemer, 2014]. Somit kann der Zahnarzt auch im klinischen Alltag durchaus einmal mit dieser morphologisch sehr vielfältigen Hautreaktion konfrontiert werden.

In solchen Fällen ist die konsiliarische Einbindung eines Dermatologen unabdingbar, um eine adäquate Therapie einzuleiten und differenzialdiagnostisch die wesentlich schwerer verlaufenden, generalisiert-bullösen Arzneimittelexantheme wie zum Beispiel die toxisch epidermale Nekrolyse (TEN) auszuschließen [Rassner G, 2000]. Das Absetzen des verdächtigen Wirkstoffs und die zukünftige Allergenkarenz sind bei den polymorphen Arzneiexanthemen obligatorisch [Ziemer, 2014].

Dr. med. Dr. med. dent. Frank HallingArzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Gesundheitszentrum FuldaGerloser Weg 23a,

36039 FuldaDr.Halling@t-online.de

Dr. med. H. KramerArzt für Hautkrankheiten und AllergologieMarktstr. 8, 36037 Fulda

Abbildung 5: Exanthem mit Fuß- und Knöchelödemen

Foto: Kramer

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