Zahnmedizinische Versorgung im Vergleich

Voneinander lernen

Aus Anlass der EURO-Z-II-Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (siehe S. 32) führten KZBV und BZÄK einen Workshop zur zahnmedizinischen Versorgung in Europa durch. Im Fokus stand der Ländervergleich zwischen Deutschland und Dänemark. Neben Systemfragen wurden vor allem die Versorgungssituation und die präventive Ausrichtung der Versorgung thematisiert. Das Fazit: Kein System ist besser als das andere, aber im Sinne von Best Practice lässt sich viel vom Nachbarn lernen.

Was kennzeichnet die zahnmedizinische Versorgung in anderen europäischen Ländern? Wo sind die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede? Den zahnärztlichen Spitzenorganisationen KZBV und BZÄK war vor allem der Blick über den Tellerrand wichtig. So gilt Dänemark, ähnlich wie die Niederlande oder die Schweiz, oft als ein El Dorado für Zahnärzte. Der bilaterale Vergleich zwischen Dänemark und Deutschland bietet daher aufschlussreiche Perspektiven. Der Präsident der BZÄK, Dr. Peter Engel, verwies auf den Einfluss der Europäischen Union auf die Gesundheitspolitik. Zwar habe Europa nur eingeschränkte Kompetenzen bei der Gesetzgebung im Gesundheits- bereich, jedoch lägen Organisation und Finanzierung der Gesundheitssysteme ausdrücklich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Aus der IDZ-Studie gehe hervor, dass in Europa sehr heterogene Gesundheitssysteme existierten, erläuterte Engel. So sei das deutsche System beitragsfinanziert (Bismarck-System), das dänische hingegen steuerfinanziert (Beveridge-System).

Engel appellierte an die Politik, System- vergleiche nicht an einzelnen Kennzahlen festzumachen, sondern das Gesamtsystem im Auge zu behalten. Engel: „Ob ein System besser oder effizienter ist, kann nicht an rein monetären Maßstäben ge-messen werden. Für mich ist Ausdruck eines guten Gesundheitssystems, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der an einer qualitativ hochwertigen Versorgung teilhaben kann.“

Spiegel des Sozialschutzes

Zahnärztliche Gebührenordnungen haben eine wichtige Steuerungsfunktion für das System, erklärte Dr. Markus Schneider, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft für angewandte Systemforschung (BASYS) und Mitautor der Studie. Die Gebühren-ordnungen seien sowohl Panorama der zahnmedizinischen Leistungen als auch ein Spiegel des Sozialschutzes des jeweiligen Landes. Spannend sei nicht nur, wie sich Preise verändert haben, sondern wie sich Leistungen und Sozialschutz insgesamt entwickelt haben.

Best Practice im Fokus

Dr. David Klingenberger, Stellvertretender Leiter des Instituts der Deutschen Zahnärzte und Autor der Studie, skizzierte die Reformtendenzen in Europa. Der Anteil der öffentlichen Finanzierung werde deutlich zurückgefahren, der Anteil der privaten Finanzierung durch Selbstbeteiligungen und private Zusatzversicherungen steige entsprechend an. Die private Leistungserbringung werde mehr Gewicht erhalten. Klingenberger ging auf den Vergleich des deutschen mit dem dänischen Gesund-heitswesen ein. In Dänemark existiere eine nationale Pflichtversicherung und keine private Zusatzvollversicherung. In Deutschland hingegen gebe es neben GKV und PKV weitere Sondersysteme (wie etwa die Beihilfe) und die PKV gelte auch als umfassender Ersatz für die GKV.

In Sachen Mundgesundheit stehe Dänemark als Musterland da, sowohl bei Kindern, bei Erwachsenen wie auch bei Senioren. Es existiere eine hohe Zahnarztdichte, die aber langsam abnehme. Es gebe weniger Zahnarztbesuche als in Deutschland. In Deutschland hingegen gebe es einen Rückstand bei der Versorgung von Senioren, die Zahnarztdichte nehme zu und im Gegensatz zu Dänemark gebe es eine hohe Parodontitislast. Nicht alle nationalen Erfahrungen seien ohne Weiteres übertragbar, schlussfolgerte Klingenberger. Gute Versorgungsergebnisse der europäischen Nachbarn in der zahnmedizinischen Versorgung könnten jedoch im Sinne eines „best practice“-Modells Anstöße zur Verbesserung des eigenen Versorgungssystems geben.

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Kein El Dorado

Einen Einblick in die zahnmedizinische Versorgung in Dänemark gab Dr. Freddie Sloth-Lisbjerg, Präsident der dänischen Zahnärztekammer, der lange Jahre als Zahnarzt in Deutschland praktiziert hat. Dänemark besitze einen staatlichen Gesundheitsdienst, Regierung und Parlament finanzierten den politischen und gesetzlichen Rahmen. Finanziert werde das System durch Steuereinnahmen. Die Versorgung sei in hohem Maße reguliert. Für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen seien die Gemeinden mit angestellten Zahnärzten verantwortlich, die Versorgung sei sehr engmaschig. Für die Erwachsenen seien Praxen in freier Niederlassung mit angestellten Zahnärzten zuständig, die Versorgung sei nicht so engmaschig. Es gebe einen hohen Frauenanteil. Präventive, konservierende und chirurgische Leistungen seien Vertragsleistungen mit Zuschuss. Prothetik sei keine Vertragsleistung, die Patienten müssten zu 100 Prozent selbst zahlen. Bei den Zahnärzten selbst, die ihre Preise im Internet veröffentlichen, existierten hohe Preisunterschiede. Über Geld werde in den Praxen häufig gesprochen. In Dänemark setze man auf Teamzahnpflege, außerdem gebe es eine starke Zentralisierung bei der Versorgung: „Der Bürger muss sich bewegen.“ In Dänemark fehlt Sloth-Lisbjerg zufolge ein sozial ausgewogenes Versicherungs- system wie in Deutschland. Die Frage, ob Dänemark ein El Dorado für Zahn- ärzte ist, könne er eindeutig mit „nein“ beantworten.

Ein unverkrampfter Blick

Die EURO-Z-II-Studie mache es möglich, auf einer fundierten Grundlage mit einer ausgefeilten Methodik über den Tellerrand zu schauen und Systeme zu vergleichen, unterstrich der Vorsitzende des Vorstands der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, in seinem Impulsstatement. In beiden Ländern stelle sich die Frage des demografischen Wandels, des medizinischen Fortschritts und nach den damit einhergehenden Finanzierungsfragen der sozialen Sicherungssysteme. In keinem anderen medizinischen Teilbereich gebe es eine so enge Verbindung zwischen präventivem Verhalten und dem Gesundheitszustand wie in der Zahnmedizin. Hier komme das Prinzip der Eigenverantwortung voll zum Tragen. Der zahnmedizinische Leistungskatalog in Deutschland sei vergleichsweise umfangreich und zeichne sich durch niedrige Zuzahlungen aus. Die Eigenbeteiligung beim Zahnersatz sei in anderen Staaten deutlich höher als in Deutschland.

Eßer verwies auf das Festzuschusssystem beim Zahnersatz, das auch sozial Schwächeren über die Härtefallregelung eine im europäischen Vergleich herausragende, zuzahlungsfreie Versorgung gewährleiste. Die umfangreiche Bezuschussung zum Zahnersatz im Festzuschusssystem trage dazu bei, dass in Deutschland nur gut ein Drittel der erbrachten Leistungen privat finanziert werde, während es in Dänemark rund zwei Drittel seien. Dies sei ein interessanter Befund vor dem Hintergrund, dass Skandinavien in deutschen Sozialstaatsdebatten als das „gelobte Land“ gelte.

Anders sehe es beim Thema PAR aus. Im Gegensatz zu Dänemark sei in Deutschland das Bewusstsein für das Krankheitsbild der Parodontitis immer noch nicht genug ausgeprägt. Auch bei der Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen sei Dänemark weiter als Deutschland. Eßer sprach sich dafür aus, sich in Sachen Prävention an Dänemark zu orientieren und weiter daran zu arbeiten, den Präventionsansatz auf den gesamten Lebensbogen auszudehnen.

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Wichtige Impulse

Andreas Brandhorst, Leiter des Referats Vertragszahnärztliche Versorgung im Bundesministerium für Gesundheit, betonte, dass Dänemark zu den Staaten gehöre, die in den 1980er-Jahren wichtige Anregungen für die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland gegeben hätten. Mit dem Ausbau der Prävention und dem erhöhten Stellenwert von Eigenverantwortung und Eigenvorsorge sei hierzulande der Grundstein für die inzwischen erfolgreiche Prävention vor allem bei Kindern und Jugendlichen gelegt worden. Brandhorst: „Gleichgültig, ob Bismarck oder Beveridge – Hauptsache Prävention.“ Für die deutsche zahnmedizinische Versorgung sah Brandhorst drei Bereiche, um Defizite auszugleichen: die Kariesprävention bei Kleinkindern, die Parodontitisprävention bei Erwachsenen und die Versorgung von Pflegebedürftigen und immobilen Patienten. In enger Zusammenarbeit mit BZÄK und KZBV habe der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren die Rahmenbedingungen für Pflegebedürftige und immobile Patienten verbessert, vor allem im stationären Bereich. Jedoch ergebe sich weiterer Handlungsbedarf bei der ambulanten Versorgung. Hier könne man vom Beispiel Dänemarks lernen.

Viele Herausforderungen

Anne-Kathrin Klemm, Abteilungsleiterin Politik im BKK-Bundesverband, gab Denkanstöße aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen. Sie verweis auf Unterschiede der medizinischen Versorgung in Dänemark im Vergleich zu Deutschland. So greife die freie Arztwahl dort erst ab dem 16. Lebensjahr, die Versorgung sei nicht überall flächendeckend und Patienten würden lange Fahrzeiten für den Weg zum Arzt in Kauf nehmen. Im Bereich Mundhygiene habe sich in Deutschland viel getan, dennoch gebe es weitere Herausforderungen. Dazu gehöre vor allem die die Frage, wie man Kleinkinder am besten erreiche.

Die anschließende Diskussionsrunde bot einen regen Austausch, die Argumente wurden noch einmal vertieft. Eßer betonte, dass je stärker ein System steuerfinanziert ausgerichtet sei, umso mehr ergebe sich eine Versorgung nach Kassenlage. Die Versorgung in Deutschland sei gut, die Zahnärzteschaft habe sich hier als innovativer Geber von Konzepten aufgestellt. Engel unterstrich die Vorteile des in Deutschland sozial ausgewogenen Systems, es bedürfe aber neuer Strukturen bei den Körperschaften, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Brandhorst hob die Vorzüge des Festzuschusssystems beim Zahnersatz hervor, die Versorgung sei sehr engmaschig. Klemm zeigte sich kritisch in Bezug auf Datenmonitoring im Gesundheitswesen, man wolle nicht gläsern und transparent werden. Sloth-Lisbjerg betonte, dass Deutschland in Sachen Prävention gut aufgestellt sei, auch bei Erwachsenen und Senioren würden man in den nächsten Jahren an die Erfolge in Dänemark anknüpfen.

„Wissen die Patienten in Deutschland, dass es ihnen gut geht?“, fragte der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz in seinem Schlusswort. In Deutschland existiere im europäischen Vergleich der beste Sozialschutz, die „Nulltarif-Mentalität“ hierzulande werde durch Modelle aus dem Ausland relativiert. Dennoch, so sein Fazit, gehe es jetzt darum, in Problembereichen seine „Hausaufgaben“ zu machen, vor allem bei der Versorgung der frühkindlichen Karies und bei Pflegebedürftigen.

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