Transorale Speichelsteinentfernung
Im Januar 2016 stellte sich eine 71-jährige Patientin in der Klinik und Poliklinik für Mund,- Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock nach Überweisung mit Verdacht auf einen submandibulär rechts lokalisierten Speichelstein vor, der im Rahmen der Routineuntersuchung als Zufallsbefund detektiert wurde (Abbildung 1).
Bei der Anamneseerhebung verneinte die Patientin die Frage nach aktuell bestehenden oder chronischen Symptomen. Aus der Krankengeschichte der Patientin ging eine einzige schmerzhafte, nahrungsabhängige Schwellungsepisode submandibulär rechts in der Vergangenheit hervor. Da es sich hierbei um ein einmaliges Ereignis mit schnell rückläufiger Beschwerdesymptomatik handelte, wurde dem Befund damals nicht weiter nachgegangen.
Aufgrund des ausgeprägten Lokalbefunds (Abbildung 2) konnte die Verdachtsdiagnose klinisch durch die bimanuelle Palpation des Mundbodens bestätigt werden. Die Bildgebung mittels Sonografie komplettierte das diagnostische Procedere (Abbildung 3). Nebenbefundlich nahm die Patientin aufgrund von anamnestisch rezidivierenden, tiefen Beinvenenthrombosen Rivaroxaban (Xarelto®, 20 mg, 1–0–0) zur Antikoagulation ein.
Bei klinischem, sonografischem und radiologischem Verdacht auf einen im Ausführungsgang der Glandula submandibularis rechts gelegenen und im hinteren Mundboden lokalisierten Speichelstein, erfolgte nach ausführlicher Aufklärung der Patientin die operative Steinentfernung.
Wegen eines – zuvor durch die Patientin beschriebenen – extremen Angstverhaltens bei medizinischen Eingriffen zusammen mit einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit und aufgrund der oralen Antikoagulation mit der Gefahr einer (Nach-)Blutung ergab sich die Indikation zum ambulant operativen Vorgehen in Intubationsnarkose.
Die Antikoagulation wurde unverändert weitergeführt, wobei der Eingriff am Morgen vor der Einnahme der nächsten Tablette stattfand. Nach Schienung des Warthon-Gangs via Kunststoffröhrchen zur Identifikation desselben erfolgten die Eröffnung des Ganges sowie die Darstellung und Bergung des Speichelsteins (Abbildungen 4 und 5) bei einer Größe von 2 cm x 1,3 cm. Das intraoperativ geborgene Konkrement (Abbildung 6) konnte eindeutig als Speichelstein (Sialolith) identifiziert werden. Eine weiterführende histopathologische Dignitätsklärung war nicht erforderlich. Der eröffnete Ausführungsgang wurde über nicht resorbierbare Nähte im Sinne einer Marsupialisation an den Mundboden angesteppt und so die neue Mündung nach proximal verlegt.
Eine Stunde postoperativ erfolgte eine Wundkontrolle und die Patientin nahm bei trockenen Wundverhältnissen und fehlenden Schluckbeschwerden ihre nächste Tablette Rivaroxaban ein. Ein stationärer Aufenthalt zur Überwachung erwies sich als nicht erforderlich, wobei die Patientin und ihre Angehörigen instruiert wurden, sich bei beginnenden Beschwerden sofort an die Klinik zu wenden.
Unter Einhaltung der empfohlenen Verhaltensregeln – wie dem anfänglichen Meiden von fester und heißer Nahrung – verlief die Wundheilung zeitgerecht und komplikationslos. Bei der abschließenden Nachuntersuchung zwei Wochen nach dem operativen Eingriff war die Patientin bei intraoral reizfreien Verhältnissen vollkommen beschwerdefrei (Abbildung 7). Aus der proximalen Mündung des Wharton-Gangs ließ sich schmerzfrei Speichel exprimieren. Der Nervus lingualis war zu keiner Zeit beeinträchtigt.
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Diskussion
Bei Speichelsteinen (Sialolithen) handelt es sich um kalzifizierte Gebilde, die zum Großteil aus Kalziumphosphat, Hydroxyapatitkristallen und Substanzen wie Magnesium, Natrium und Ammoniak bestehen [Rai und Burman, 2009; Franco et al., 2014]. Hinsichtlich ihrer Zusammensetzung bestehen Sialolithen der Ohrspeicheldrüse vornehmlich aus organischem (51 Prozent) und zu 49 Prozent aus anorganischem Material, wohingegen Konkremente der Glandula submandibularis einen zu 82 Prozent anorganischen und zu 18 Prozent organischen Aufbau besitzen. Der Kalziumgehalt beträgt 46 Prozent [Schwenzer N und Ehrenfeld M, 2010].
Studien konnten bei Untersuchungen von Speichelsteinen via Röntgendiffraktion zeigen, dass Hydroxyapatit den mineralischen Hauptanteil darstellt [Grases et al., 2003; Kasaboglu et al., 2004]. Die Speichelsteinbildung (Sialolithiasis) macht 50 Prozent der Speicheldrüsenerkrankungen aus und betrifft jährlich bis zu 60 Millionen Menschen weltweit [Rai und Burman, 2009].
Im Gegensatz zum präsentierten Fall ist das männliche Geschlecht im dritten und im vierten Lebensjahrzehnt bevorzugt betroffen [Austin et al., 2004]. Hierbei ist in 80 bis 90 Prozent der Fälle die Glandula submandibularis oder ihr Gangsystem involviert [Epker, 1972; Haubrich, 1976; Bodner, 2002; Combes et al., 2009]. Die Steine sind dabei meistens im distalen Gangdrittel lokalisiert.
Obwohl der Entstehungsmechanismus bis heute nicht abschließend geklärt werden konnte, wird vermutet, dass das gehäufte Auftreten von Speichelsteinen im Bereich der Glandula submandibularis durch den aufsteigenden und gewundenen Verlauf des Ausführungsgangs sowie durch die höhere Viskosität des produzierten Speichelsekrets gefördert wird [Schwenzer und Ehrenfeld, 2010; Pandarakalam et al., 2013; Zheng et al., 2013; Franco et al., 2014].
Hierbei wird speziell ein Bereich des hinteren Mundbodens, die sogenannte „comma region“, die einen knieähnlichen Verlauf hat, als vornehmlicher Entstehungsort betrachtet [Schwenzer und Ehrenfeld, 2010; Pandarakalam et al., 2013; Zheng et al., 2013; Franco et al., 2014]. Als weitere Risikofaktoren der Krankheitsentstehung gelten unter anderem schlechte Mundhygiene, Mangelernährung sowie Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts [Grases et al., 2003].
Klinisch zeigt die Erkrankung sowohl asym- ptomatische als auch akut schmerzhafte Verläufe. Die Symptome werden vor allem dann manifest, wenn der Speichelstein eine bestimmte Größe erreicht hat und dadurch das Gangsystem verlegt [Seldin et al., 1953]. Dabei kommt es häufig zu einer akut schmerzhaften Entzündung der nachgeschalteten Speicheldrüse, die bei Chronifizierung gelegentlich im Untergang des Drüsengewebes enden kann.
Weitere Symptome sind ein eingeschränkter Speichelfluss, eine lokale Rötung, eine Schwellung und eine Druckschmerzhaftigkeit im Bereich des Drüsenkörpers, insbesondere bei Nahrungsaufnahme im Rahmen der vegetativ gesteuerten Speichelsekretion.
Im vorgestellten Fall bestanden trotz der beachtlichen Größe des Steins keine akuten Symptome. Äthiopathogenetisch wird für die Entstehung der Entzündung entweder der Sekretrückstau bei Gangobstruktion oder ein Aszendieren von Infektionen bei deszendiertem Ganglumen verantwortlich gemacht. Meistens sind jedoch beide Mechanismen simultan an der Entstehung beteiligt [Combes et al., 2009; Zheng et al., 2013].
Neben der klinischen bimanuellen Tastuntersuchung des Mundbodens beinhaltet die traditionelle diagnostische Vorgehensweise die Sonografie als Goldstandard [Yoshimura et al., 1989] sowie die Röntgenbildgebung zur genauen Lokalisationsbestimmung bei unklaren Befunden [Yoshimura et al., 1989; Yuasa et al., 1997; Iro und Zenk, 2003; Capaccio et al., 2007]. Die früher regelmäßig durchgeführte Sialografie ist im Zeitalter der hochauflösenden Sonografie in den Hintergrund geraten und wird nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt.
Als therapeutische Maßnahmen stehen vornehmlich die Gangdilatation, die operative Steinentfernung bei distaler sowie die Glandulektomie bei proximaler oder intraglandulärer Steinlage zur Verfügung. Rein konservative Therapieverfahren im Sinne einer Steinmobilisation durch Anregung des Speichelflusses oder die Stoßwellenlithotripsie bleiben kleineren Befunden vorbehalten.
Lange Zeit ging man davon aus, dass es im Rahmen der chronischen Sialadenitis zu einem irreversiblen Untergang des Drüsenparenchyms kommt [Capaccio et al., 2007]. Diese Annahme wurde in verschiedenen Arbeiten wiederlegt: Gezeigt werden konnte, dass es nach der Rekanalisierung des Ganglumens in fast allen Fällen zu einer Wiederherstellung der sekretorischen Drüsenfunktion kam [Yoshimura et al., 1989; Marchal et al., 2001; Makdissi et al., 2004].
Im hier vorliegenden Fall wurde aufgrund der ausgedehnten Größe des Steines die Indikation zur chirurgischen, transoralen Sialolithektomie gestellt. Das Verfahren wurde erstmals 1968 von Seward et al. beschrieben und galt lange Zeit im Vergleich zur traditionellen Submandibulektomie als unzureichend erfolgreich [Seward et al., 1968]. Neuere Studien konnten jedoch die Überlegenheit der selektiven Steinentfernung nachweisen [Paul und Chauhan, 1995; McGurk et al., 2004; McGurk, 2005].
Hierbei zeigte sich, dass die intra- und die postoperative Komplikationsrate bei der drüsenerhaltenden Vorgehensweise mit transoralem Zugang erheblich gesenkt werden konnten. Insbesondere Langzeitschäden durch Verletzungen des Nervus lingualis und des Hypoglossus sowie postoperative Nachblutungen und Infektionen traten deutlich seltener auf [McGurk et al., 2004].
Ein weiterer Vorteil des transoralen Zugangswegs besteht in der Vermeidung sichtbarer Narbenbildung. In den meisten Fällen kann die operativ transorale Steinentfernung unter ambulanten Bedingungen in Lokalanästhesie durchgeführt werden.
In dem hier geschilderten Patientenfall wurde der operative Eingriff aufgrund der oralen Dauerantikoagulation mit Rivaroxaban sowie dem ausgeprägten Angstverhalten der Patientin bei medizinischen Eingriffen in Vollnarkose durchgeführt. Der Eingriff konnte hierbei unter sorgfältiger Blutstillung gewebeschonend durchgeführt werden.
Dr. Daniel G. E. Thiem, Arzt, cand. med. dent., PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MAKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgieder Universitätsmedizin RostockSchillingallee 35, 18057 Rostock