„Ziel ist die Dental Fitness der Soldaten“
Der zahnärztlicher Dienst bei der Bundeswehr wird 60. Markiert dieses Jubiläum den Anfang der militärzahnmedizinischen Versorgung? Und was zeichnete die Anfangsjahre aus?
Flottenarzt Dr. Helfried Bieber: Eine geregelte zahnmedizinische Versorgung von Soldaten gibt es seit mehr als hundert Jahren. Zur damaligen Zeit beschränkte sich die Militärzahnmedizin im Wesentlichen auf das Herstellen der Einsatzfähigkeit von Soldaten – und dies zumeist mit sehr eingeschränkten Mitteln. Dies entspricht selbstverständlich nicht unserem heutigen Anspruch – der dem zivilen Standard insgesamt in nichts nachsteht.
Die Aufbauphase des zahnärztlichen Dienstes war geprägt von den ersten Inspizienten Zahnmedizin, Oberstarzt Prof. Dr. Werner Holler und den Generalärzten Dr. Wilhelm Stelter, Dr. Walter Wackersreuther, Dr. Günther Popp und Dr. Claus-Dieter Schulz, die nach anfänglicher Tätigkeit in zivilen Praxen – oder in Praxen der Alliierten – in die neuen deutschen Streitkräfte eintraten, um buchstäblich aus dem Nichts eine zahnärztliche Versorgung der Soldaten aufzubauen. Eine häufig schlechte Infrastruktur, fehlende Mittel für modernes Gerät, zu wenig Personal und später viele, zwar meist motivierte, aber unerfahrene grundwehrdienstleistende Sanitätsoffiziere Zahnarzt – bei einem hohen Anteil nicht besetzter zahnärztlicher Dienstposten – prägten den zahnärztlichen Dienst bis in die Mitte der 1980er-Jahre.
Hinzu kam ein gegen die Bundeswehr oftmals kritisches, ja sogar abwehrendes ziviles Umfeld, das auch im medizinischen Bereich zu Problemen führte: Während zivile Ärzte und Zahnärzte der Behandlung von Soldaten teilweise ablehnend gegenüber standen, hatten die Soldaten-Patienten zum Teil wenig Vertrauen zu den Sanitätsoffizieren der Bundeswehr. Hinzu kam eine gewisse, zumindest so wahrgenommene Isolation der Sanitätsoffiziere der Bundeswehr durch die zivile Kollegenschaft. Die materiellen – und damit auch die fachlichen Möglichkeiten waren – gerade im Vergleich zum zivilen Gesundheitssystem – limitiert.
Wie konnte diese anfängliche Kluft zwischen militärischem und zivilem Bereich überwunden werden?
Mitte der 1980er-Jahre begann die Zahnmedizin in der Bundeswehr schließlich den Anschluss an den zivilen Bereich zu finden: Der Inspizient Zahnmedizin, Admiralarzt Dr. Dieter Nordholz, stellte seine – grundsätzlich noch heute gültige – „Prioritätenliste für die zahnärztliche Behandlung von Soldaten“ auf. Die Hygiene in den zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen wurde auf einen vorbildlichen Stand gebracht und die ersten regelmäßigen Parodontologiekurse wurden an der Akademie des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr durchgeführt, um exemplarisch nur einige Bausteine zu nennen.
Unter Generalarzt Dr. Wilfried Möckel gelang nach der deutschen Wiedervereinigung im zahnärztlichen Bereich die Integration der ehemaligen NVA-Angehörigen in die Bundeswehr und eine Modernisierung von Material und Infrastruktur in den neuen Bundesländern. Wir haben sowohl die Weiterbildung zum Fachzahnarzt für Oralchirurgie als auch zum Fachzahnarzt für Parodontologie in die Bundeswehr eingeführt und es erfolgte eine weitere Anpassung der materiellen Ausstattung an den Stand der Technik.
Die Inspizienten Admiralarzt Dr. Bernd Merkel und Generalarzt Dr. Jürgen Macheleidt trugen durch ihre Präsenz in den zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen im Rahmen regelmäßiger Inspizierungen wesentlich zur kontinuierlichen fachlichen und infrastrukturellen Weiterentwicklung bei und konnten bei den Strukturverhandlungen 1997 ein Ergebnis für die Zahnmedizin erreichen, das eine sehr gute Basis für die Weiterentwicklung der personellen und materiellen Ausstattung ist.
Bis etwa ins Jahr 2002 existierte in den Teilstreitkräften Herr, Luftwaffe und Marine organisatorisch getrennt jeweils ein eigener zahnärztlicher Dienst. Diese wurden nun unter dem Inspizienten Admiralarzt Dr. Günther Brassel in den neu geschaffenen Organisationsbereich „Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr“ (ZSanDstBw) über- und zusammengeführt. Im Zuge dessen erfolgte auch der Aufbau einer neuen Abteilung Zahnmedizin im Sanitätsamt der Bundeswehr in München. Insgesamt kann diese Zusammenführung im ZSanDstBw sozusagen als Geburtsstunde eines personell, materiell und infrastrukturell äußerst leistungsfähigen Fachbereichs Zahnmedizin angesehen werden.
In diesem Zusammenhang haben meine Vorgänger Admiralarzt Dr. Günther Brassel und Admiralarzt Dr. Wolfgang Barth in einer Zeit zahlreicher struktureller Veränderungen und Paradigmenwechsel in der Zahnmedizin sowie im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung die Beziehungen zu den zivilen Standesorganisationen vertieft, in deren Tradition ich mich nun sehe und die ich weiter ausbauen werde.
Der Inspizient Zahnmedizin
Der „Inspizient Zahnmedizin der Bundeswehr“ wurde nicht gleich bei Aufstellung des zahnärztlichen Dienstes etabliert, vielmehr wurde dieser Spitzendienstposten erst im Jahr 1965 eingerichtet und schließlich 1969 mit dem Dienstgrad Generalarzt oder Admiralarzt versehen. Die Hauptaufgaben bestanden in der Inspizierung der zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen, also der Fachaufsicht, der Repräsentation des Fachbereichs nach innen und außen und in der Beratung des Inspekteurs des Sanitäts- und Gesundheitswesens (heute Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr) in zahnärztlichen Angelegenheiten. Im Jahr 2015 wurde dieses Amt durch den Dienstposten des „Leitenden Zahnarztes der Bundeswehr“ (nunmehr im Dienstgrad Flottenarzt/Oberstarzt) ersetzt. Amtsinhaber ist derzeit Flottenarzt Dr. Helfried Bieber.
Oberstarzt Prof. Dr. med. dent. Ralf Vollmuth
Sie haben vom Anspruch an die zahnärztliche Versorgung der Soldaten gesprochen. Wie manifestiert der sich?
Unser Anspruch besteht darin, jedem Soldaten zu jedem Zeitpunkt, also in der Heimatkaserne genauso wie im Auslandseinsatz, eine fachlich hochwertige zahnmedizinische Versorgung zu bieten, die dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Hier verweise ich gerne auf die Maxime des Sanitätsdienstes (siehe Kasten), die für die Einsätze in der Ergebnisqualität genau diesen Anspruch an die gesamte medizinische Versorgung unserer Soldaten erhebt.
Um dem zu genüge, ermöglichen (und erwarten) wir eine intensive Fortbildung unserer Sanitätsoffiziere auf allen Gebieten der Zahnmedizin, wobei die tiefe Integration in die zivile Zahnärzteschaft sehr hilfreich ist. Natürlich ist gut ausgebildetes und motiviertes Assistenzpersonal ebenso unabdingbar, wie eine moderne materielle Ausstattung.
Derzeit versorgen wir unsere Soldaten-Patienten in rund 140 zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen, die über ganz Deutschland verteilt sind. Darüber hinaus sind wir mit eigenen zahnärztlichen Fachabteilungen in den fünf Bundeswehrkrankenhäusern vertreten und bringen zahnärztliche Expertise im Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine sowie am Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe ein. Zusätzlich sind wir im Auslandeinsatz und an Bord von Marineschiffen mit entsprechenden zahnärztlichen Behandlungsmöglichkeiten für unsere Soldaten da und können so dem eingangs beschriebenen umfassenden Versorgungsanspruch gerecht werden.
Und welche Bedeutung spielt die Zahnmedizin in der Bundeswehr für das Fach insgesamt?
Insgesamt fallen wir in der zahnmedizinischen Versorgung in Deutschland zunächst auf den ersten Blick wenig ins Gewicht. Es gibt jedoch ein paar Besonderheiten, die sowohl für die Standespolitik als auch für die zahnmedizinische Wissenschaft von Interesse sein könnten.
So haben wir bestimmte Anforderungen an die zahnärztliche Therapie und an Material und Gerät für die Versorgung unserer Soldaten in den zum Teil sehr herausfordernden Einsatzgebieten oder an Bord unserer Schiffe. Um unter anderem dies immer wieder deutlich zu machen, wurde 2010 der Arbeitskreis Wehrmedizin auf Anregung meines Vorgängers unter dem Dach der DGZMK gegründet, der sich mit genau solchen Fragestellungen befasst.
Welche Rolle spielt die orale Gesundheit bei der Einsatzverwendungsfähigkeit („deployment readiness“) von Soldaten?
Einige Nationen haben eine regelmäßige zahnärztliche Untersuchung der Soldaten, in der Regel einmal pro Jahr, verbindlich vorgeschrieben. In der Bundeswehr ist dies aus rechtlichen Gründen nicht der Fall, natürlich bieten wir den Soldaten an, sich regelmäßig untersuchen zu lassen, was auch auf Basis der Freiwilligkeit gut angenommen wird. Allerdings ist die zahnärztliche Befundung vor einem Auslandseinsatz im Rahmen der gesamten wehrmedizinischen Begutachtung vorgeschrieben. Diese Begutachtungen sollten so rechtzeitig erfolgen, dass eine gegebenenfalls notwendige Behandlung noch vor dem Einsatz abgeschlossen werden kann. Ziel ist dann die (Wieder-)Herstellung einer sogenannten Dental Fitness, die die „deployment readyness“ bescheinigt.
Die Geburtsstunde des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr wurde durch einen Beschluss des Verteidigungsausschusses vom 11. April 1956 formal begründet. Die Planungs- und Aufbauphase wurde von der zivilen Ärzteschaft aktiv begleitet. Forderungen waren unter anderem ein suffizientes Sanitätswesen für die neuen deutschen Streitkräfte, ein eigener Sanitätschef und eine eigene Abteilung im Verteidigungsministerium. Debatten gab es auch um den Status der Militärärzte: Die Frage, ob diese als Beamte, Angestellte, Vertragsärzte oder Sanitätsoffiziere ihren Dienst versehen sollten, wurde in jener Sitzung des Verteidigungsausschusses zugunsten der Dienststellung als Sanitätsoffizier entschieden. Mehr als ein Jahr später, am 10. Juli 1957, wurde dieser Status auch für die Zahnärzte, Apotheker und Veterinäre festgelegt. Dieses Datum, das sich nun zum 60. Male gejährt hat, gilt als Geburtsstunde des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr, der im März 1958 mit den ersten Zahnstationen die Arbeit aufnehmen konnte.
Oberstarzt Prof. Dr. med. dent. Ralf Vollmuth
Diese Dental Fitness (DFC) ist NATO-Standard. Es wird eine Einstufung nach konkret bestehendem Behandlungsbedarf und der Eintrittswahrscheinlichkeit eines zahnärztlichen Notfalls innerhalb der nächsten zwölf Monate vorgenommen: Class 1 beschreibt ein naturgesundes oder vollständig saniertes Gebiss ohne Behandlungsbedarf. Class 2 bedeutet, dass zwar Behandlungsbedarf besteht, der Eintritt eines zahnärztlichen Notfalls in den kommenden zwölf Monaten aber unwahrscheinlich ist. Class 3 bedeutet, dass ein zahnärztlicher Notfall innerhalb eines Jahres wahrscheinlich ist. Mit einer DFC 3 ist der Soldat vorübergehend bis zum Abschluss der notwendigen zahnärztlichen Behandlung nicht auslandsdienstverwendungsfähig.
In der Verteidigungspolitik spricht man von „Verbündeten“ – wer ist das für Sie?
Der Fachbereich unterstützt und gestaltet bereits seit Jahren die internationale Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen und genießt innerhalb der Bundeswehr, bei unseren Partnernationen, in laufenden Auslandseinsätzen und nicht zuletzt bei unseren Patienten eine exzellente Reputation. Diesen guten Ruf gilt es zu bestätigen und auszubauen.
Die Wahrnehmung von Koordinations- und Führungsaufgaben in der SDFDS (FDI) und im NATO COMEDS Dental Service Panel sowie die Teilnahme von Sanitätsoffizieren Zahnarzt an internationalen Kongressen unterstreicht unsere Rolle im Rahmen der internationalen Kooperation. Es gibt eine Reihe von Nationen, zu denen wir nicht nur in diesen Gremien in einem regelmäßigen fachlichen Kontakt stehen. Hierzu zählen insbesondere die NATO-Partner-Nationen, wie USA, Kanada, die Niederlande, die skandinavischen Staaten und andere europäische Nationen, Australien und Neuseeland, aber eben auch Malaysia, Indonesien und China. Sehr eng „verbündet“ sind wir mit den zahnärztlichen Diensten der Niederländer, Belgier, Österreicher und Schweizer, die zum Teil in unseren zahnärztlichen Einrichtungen im Einsatz mitbehandelten und sehr ähnliche Behandlungskonzepte verfolgen.
Im Heimatland finden wir unsere „Verbündeten“ idealerweise in der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den anderen medizinischen Fachdisziplinen. Seit Jahren besteht eine enge Zusammenarbeit von Sanitätsoffizieren Zahnarzt mit der zivilen zahnärztlichen Kollegenschaft. Insbesondere beim Aspekt der wissenschaftlichen Kooperation hat diese in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen, beispielhaft möchte ich auf den eingangs beschriebenen Arbeitskreis Wehrmedizin hinweisen. Es freut mich ganz besonders, dass sich der AK Wehrmedizin mittlerweile als allseits anerkannter Bestandteil der wissenschaftlichen zahnärztlichen Gesellschaft etabliert hat und beispielsweise durch ein eigenes Symposium auf dem Deutschen Zahnärztetag alljährlich große Beachtung auch unter den zivilen zahnärztlichen Kollegen findet. Auch im AK Ethik sind wir aktiv und prominent vertreten.
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von konkreten Forschungsprojekten, die derzeit von Sanitätsoffizieren Zahnarzt mit verschiedenen deutschen Hochschulen durchgeführt werden. Der Schwerpunkt dieser Forschungsprojekte liegt naturgemäß auf der Bearbeitung wehrmedizinischer Fragestellungen, da diese in der zivilen wissenschaftlichen Forschung aus verschiedenen Gründen zunächst keine oder nur eine unzureichende Beachtung finden können. Deshalb ist die Bundeswehr mit dem Fachbereich Zahnmedizin auch für die Hochschulen ein gefragter Kooperationspartner. Aufgrund der von den Hochschulen eingebrachten wissenschaftlichen Expertise haben wir es hier mit einer klassischen Win-win-Situation für beide Seiten zu tun, die letztlich dem Erkenntnisgewinn bei der Beantwortung wehrmedizinischer Fragestellungen dienen kann.
Der wichtigste Baustein in der „militär-zivilen Bündnispolitik“ ist die Zusammenarbeit mit den Standesorganisationen. Als ständiger Gast des Vorstands der Bundeszahnärztekammer kann ich die Interessen des Sanitätsdienstes in dieser strategisch ausgerichteten Institution einbringen. Zudem arbeiten Sanitätsoffiziere in verschiedenen Ausschüssen der Bundeszahnärztekammer mit. Auf der Ebene der Landeszahnärztekammern stehen Beauftragte des Leitenden Zahnarztes als deren Ansprechpartner zur Verfügung.
Maxime für die Versorgung im Auslandseinsatz
Zwar war der Sanitätsdienst der Bundeswehr schon seit den 1960er-Jahren international in humanitäre Hilfsaktionen eingebunden. Dennoch stellte das neue Aufgabenspektrum der deutschen Streitkräfte nach der Wiedervereinigung und der Erlangung der vollen staatlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland auch den Sanitätsdienst vor neue Herausforderungen. Die sanitätsdienstlich-medizinische Versorgung weltweit agierender, hochmobiler Einsatzverbände im Rahmen der Bündnisverpflichtungen und der internationalen Friedenssicherung verlangte einen vollständig neuen Ansatz bei der medizinischen Betreuung der Soldaten.Am 27. September 1995 wurde eine „Fachliche Leitlinie für die sanitätsdienstliche Versorgung von Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz“ erlassen, in der die unverändert gültige Maxime des Sanitätsdienstes der Bundeswehr formuliert ist: „Maxime der sanitätsdienstlichen Auftragserfüllung ist es, den Soldaten im Falle einer Erkrankung, eines Unfalls oder einer Verwundung eine medizinische Versorgung zuteil werden zu lassen, die im Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht.“
Oberstarzt Prof. Dr. med. dent. Ralf Vollmuth