Die Macht der suggestiven Kommunikation
Über 3.000 Kollegen haben in den vergangenen 20 Jahren Ausbildungsangebote für zahnärztliche Hypnose wahrgenommen, etwa 1.600 sind aktuell in der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose, DGZH e.V. (siehe Kasten) engagiert. Zahnärztekammern und die Regionalstellen der DGZH bieten das „Curriculum Zahnärztliche Hypnose und Kommunikation“ an, und an einigen Universitäten finden regelmäßig Lehrveranstaltungen zum Thema Hypnose statt.
Wir verstehen moderne Hypnose nicht mehr als einen exotischen Randbereich der Zahnmedizin. Sie hat sich seitdem in vielen Praxen als unverzichtbarer und in alle Behandlungsabläufe integrierter Bestandteil moderner Zahnheilkunde bewährt. Eine an Prophylaxe, Komfort, Effizienz und Qualität orientierte Zahnmedizin setzt auf intensive Zusammenarbeit. Mithilfe suggestiver Kommunikation erreichen wir diese Ziele leichter und schneller: Mit freundlicher Hinführung der Patienten zu mehr Gesundheitsbewusstsein durch Seeding (Ideen einpflanzen), positives Formulieren und angstfreies Behandeln.
Was aber ist moderne Hypnose? Hypnose ist das Hineinführen eines Menschen in einen nach innen gerichteten Konzentrationszustand – die hypnotische Trance. Diesen Vorgang nennt man Tranceinduktion.
Alle Beiträge der Titelgeschichte „Mildert Kopfkino die Angst?“
Mit Trance gegen den Würgereiz
Vor allem Angstpatienten schaffen den Weg in die Praxis nur, wenn sie akute und meist starke Schmerzen haben. Sie sind ein enormer Stressfaktor für alle Beteiligten. Diese Patienten befinden sich schon in einer Trance, aber in einem sehr unangenehmen Zustand – Dystrance genannt. Der Zugang zu ihnen kann in den meisten Fällen mit „Rapiden Hypnosetechniken“ sogar schon in der ersten Sitzung gefunden werden.
Kopfkino gegen die Dental-Angst
Eignet sich Hypnose bei Dentalphobikern? Eine neurowissenschaftliche Studie zeigt: Ja, denn nach einer Hypnose verändert sich die funktionelle Hirnaktivität. Ein Plädoyer für den verstärkten Einsatz in der zahnärztlichen Praxis.
Tranceinduktion
Umgebung, Zeit – alle Außenreize treten in den Hintergrund. Man kennt vielleicht diesen angenehmen Trancezustand, der sich zum Beispiel beim Lesen einer interessanten Lektüre ganz natürlich und von selbst einstellt. Moderne Hypnose arbeitet häufig indirekt, mit beiläufig induzierten natürlichen Trancezuständen, bei denen sich der Patient nicht klassisch „hypnotisiert“ fühlt, sondern aus einem guten inneren Zustand heraus neugierig feststellt, dass er seine gewohnte Angstreaktion durch interessante innere Erfahrungen ersetzt. Moderne Hypnose ist ressourcenorientiert, individuell auf den Einzelfall angepasst, positiv, angstfrei und einfach. Das Arbeiten mit Hypnose fördert die Kreativität, erweitert die (Re)Aktions- und Wahlmöglichkeiten und trainiert das ganze Team in geistiger Flexibilität. Natürliche Trancezustände werden mithilfe von liebevoller Zuwendung, Einfühlungsvermögen, Humor und Konfusion hergestellt. Das Orientieren des Patienten nach Innen, auf schöne Vorstellungen, gelingt in den meisten Fällen ganz einfach: durch Dissoziation – weg von aversiven Vorstellungen – und durch Fokussierung – hin auf angenehme Wahrnehmungen durch Konzentration auf angenehme Empfindungen, frei von Zeit und Raum.
Natürliche Trancezustände stellen sich beim entspannt-konzentrierten Genuss (etwa beim Hören schöner Musik, beim Joggen, bei Alltagsträumen, bei zufriedener Arbeit) ganz von alleine ein. Die Situation beim Zahnarzt macht es den Patienten leicht, sich in ein schönes inneres Erleben sinken zu lassen und „den Mund zur Reparatur abzugeben“. Bei sorgfältiger Gestaltung des Rahmens und offenen Angeboten für einen inneren Rückzug gelingt es in der Praxis dann auch leicht, natürliche Trancezustände zu induzieren.
Indikationen und Kontraindikationen
Indikationen | Kontraindikationen |
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Angstabbau | ungeklärte medizinische Diagnose |
Stressabbau | psychiatrische Krankheitsbilder |
Entspannung | unzureichende Konzentrationsfähigkeit |
Langzeitbehandlungen | unzureichendes Vorstellungsvermögen |
Blutungskontrolle | unzureichende Intelligenz |
Speichelkontrolle | mangelnde Ausbildung |
Reduktion/Verzicht auf Medikamente | zu wenig Zeit |
Würgereizkontrolle | |
Schmerztherapie | |
CMD (craniomandibuläre Dysfunktion) und Bruxismus | |
Bissnahme | |
zahnärztliche Therapie von Allergikern | |
Kinderbehandlung | |
Therapie von Gewohnheiten | |
Therapie von Schleim/-Hautveränderungen | |
Motivation | |
Posthypnose | |
suggestive Kommunikation | |
Selbsthypnose |
Moderne Hypnose verzichtet bewusst auf Angst machende, Abhängigkeit verursachende Techniken. Nicht der willenlose, sondern der selbstbestimmte, sichere und angstfreie Patient ist unser Ziel. Patienten, die mit moderner Hypnose behandelt werden, bleiben der Praxis aufgrund ihrer guten Erfahrung treu und kommen gerne wieder.
„Aber der Aufwand“
Ausbildung
Viele Kollegen erleben die Hypnoseausbildung als einen wichtigen Teil ihrer Fortbildung, in dem sowohl die eigene Erfahrung, die Sicherheit im Umgang mit Menschen und mehr Klarheit in der Zielfindung als auch die Fähigkeit, sich selbst zu entspannen und zu konzentrieren angenehm erlebt werden. Immerhin 90 Prozent der Kollegen schließen die Hypnoseausbildung mit dem Zertifikat „Zahnärztliche Hypnose der DGZH“ ab. Für sie besteht dann die Möglichkeit, sich auf der Liste der Hypnosezahnärzte der DGZH eintragen zu lassen.
Zeitaufwand
Nicht wenige Kollegen befürchten für die Hypnose einen hohen Zeitaufwand. Am Beginn der Ausbildung braucht man tatsächlich auch eine Weile, um die Sprache der Hypnose zu erlernen und sicher anzuwenden. Aber nach einiger Übung und bei Einbeziehung des ganzen Teams für die Vorbereitung und Aufklärung der Patienten spart Hypnose letztlich Zeit, weil die Behandlung ohne störende Unterbrechungen an einem völlig entspannten Patienten sehr viel konzentrierter, präziser und schneller durchgeführt werden kann. Viele Seminarteilnehmer berichten, dass sie sich eine Behandlung ohne Hypnose nicht mehr vorstellen können. Für die alltägliche Behandlung mit Anästhesie genügt bereits ein leichter Trancezustand des Patienten, der entweder mit schnellen Induktionstechniken in zwei bis fünf Minuten hergestellt werden kann oder durch Hypnose-CDs innerhalb weniger Sekunden.
Induktionstechniken
Mit indirekten Suggestionen von allen Mitarbeiterinnen der Praxis, durch eine angstabbauende, positiv verstärkende Kommunikation und durch Vermeiden von Angstauslösern (wie zum Beispiel konventioneller Praxiseinrichtung und typischem Zahnarztgeruch) wird beim Patienten eine positive Erwartungshaltung ausgelöst. Er ist neugierig, wie in dieser Praxis ganz besonders auf seine individuellen Wünsche und Ängste eingegangen wird und wie ihm geholfen wird, in einen guten inneren Zustand zu kommen.
Indirekte Induktionstechniken
• Seeding: Bereits beim ersten Kontakt am Telefon wird eingestreut, dass die Praxis verschiedene Methoden zur Angst-, Schmerz- und Stressreduktion anbietet. So kann der Patient sich schon vorher überlegen, ob er entspannende Musik, eine Anleitung zur Selbsthypnose, Hypnose oder (im Extremfall) eine Vollnarkose für eine angenehme Zahnbehandlung wählen möchte.
• Der Rahmen: Das Vermeiden aversiver Reize (wie typischer Zahnarztgeruch, typische Geräusche, eine „sterile“ weiße Einrichtung, Mahnplakate) verblüfft den neuen Patienten. Ein gutes Betriebsklima und ein freundlicher, kompetenter Service schaffen Vertrauen. Das Angebot, schon im Wartezimmer spezielle Entspannungs-CDs anzuhören und sich über die Möglichkeiten einer entspannten Zahnbehandlung zu informieren, schafft zudem eine positive Erwartungshaltung.
• Nonverbale Techniken: Auch wenn der Patient sagt, dass er „keine Angst hat“ und die Behandlung ganz normal ablaufen kann, sind mit nonverbalen Techniken (Monotonie im Arbeitsrhythmus, indirektes Vertiefen der Atmung, beruhigende Hintergrundmusik) Trancezustände möglich. So ist der Patient während der Behandlung in einem guten Zustand und vergisst die Zeit und die Arbeit im Mund. Menschen mit Kontrollbedürfnis kann man das Angebot machen, die Behandlung im Spiegel zu „überwachen“. Das führt bei ihnen zu dissoziativen Zuständen. Momentan ist die Induktion im Wandel. Gerade in den vergangenen Jahren wurden moderne Induktionstechniken entwickelt und verfeinert.
• Dabei wird zur indirekten Hypnose die Drei-Worte-Induktion nach Prior und Fiedler in drei bis fünf Minuten durchgeführt. Hierbei wird der Patient nicht im klassischen Sinn hypnotisiert, er fühlt sich jedoch entspannt, sicher und wohl. Konkret geht das so: Er wird nach einer schönen Erinnerung aus seinem Leben gefragt und soll dann für diese Erinnerung drei Wörter finden, die ihm dieses Erlebnis genau memorieren. Dann wird der Patient aufgefordert, seine drei Wörter für die Dauer der Behandlung ständig mental zu wiederholen. Der Behandler und die Helferin sagen anfangs zur Induktion von beiden Seiten lächelnd und mit suggestiver Betonung die drei Wörter und arbeiten dann schweigend weiter.
• CDs: Sie sind ohne Zeitaufwand einsetzbar und leiten mit Selbsthypnose zur Bewältigung von Angst, Schmerz und Stress an – vor, während und nach der Zahnbehandlung. Schon während der Mundhygiene nutzen immer mehr Patienten das Angebot, eine entsprechende CD zu hören, um sich während und nach der Behandlung entspannt und gut zu fühlen. Patienten, die keine Lokalanästhesie wünschen – etwa Schwangere, Stillende oder Patienten mit einer entsprechenden Medikamentenunverträglichkeit – können mit der CD „Beim Zahnarzt ohne Spritze“ sehr gut ohne oder mit gering dosierter Anästhesie behandelt werden. Die positiven „Nebenwirkungen“ sind: weniger Schwellungen und eine raschere Wundheilung.
Behandlungsunwillige Kinder sind wohl in jeder Zahnarztpraxis bekannt. Jeder erfolglose Behandlungsversuch steigert bei allen Beteiligten das Frustrationsgefühl. Auch für diese Gruppe gibt es spezielle CDs. CMD-Patienten erreichen eine Schmerzkontrolle und eine Reduktion des Bruxismus über eine speziell konzipierte CDs.
Curriculum Hypnose
Das Konzept der DGZH
In ganz Deutschland wird das Curriculum „Zahnärztliche Hypnose und Kommunikation“ (mit 96 Stunden Ausbildung und 32 Stunden Supervision) angeboten. Die Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose (DGZH) vertritt das Konzept der Einbindung des ganzen Praxisteams in die Vorbereitung und Durchführung.
Der Patient erfährt dabei schon beim ersten Kontakt über Angebote zur Entspannung und zum Angstabbau; jede Mitarbeiterin ist im Übertragen von Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit geschult. Sie unterstützt durch suggestive Kommunikation das Entstehen von natürlichen Trancezuständen. Sie erkennt darüber hinaus Ressourcen und Abneigungen des Patienten und dokumentiert diese auf dem Anamnesebogen. Weil das ganze Team mitwirkt, reduziert sich der Zeitaufwand für die Induktion der Hypnose für die Behandler ganz erheblich. Es ist letztlich wie bei der Parodontalbehandlung: je besser die Vorbehandlung, umso effektiver die Therapie.
Direkte Induktionstechniken
Wenn die Hypnose individuell, ohne CD durchgeführt werden soll, ist beim Arbeiten ohne Spritze eine rasche und wirksame Induktion erforderlich. Bei allen Patienten, die eine „richtige Hypnose“ wünschen, besonders bei heftiger Symptomatik wie phobischer Reaktion, starkem Würgereiz, Prothesenintoleranz, Mundbrennen oder Aphthosis des ganzen Mundes ist oft die direkte Einleitung der Hypnose mit der „Turboinduktion“ nach Thomas Stöcker oder der „rapid induction“ nach Victor Rausch angezeigt. Dabei wird der Patient innerhalb von drei bis zehn Minuten in eine tiefe Hypnose versetzt, in der dann die Behandlung durchgeführt werden kann. Die Einleitung kann auch als Doppelinduktion durchgeführt werden, bei der zwei Personen gleichzeitig sprechen und der Patient häufig einen sehr tiefen Trancezustand erreicht. Für gewöhnlich sitzt ein Behandler auf der linken Seite des Patienten und der andere ihm gegenüber rechts.
„Wirklich schmerzfrei ohne Spritze?“
Viele Patienten (und Zahnärzte) gehen heute noch davon aus, dass eine Zahnbehandlung ohne chemische Anästhesie einem Rückschritt ins Mittelalter gleichkommt und dass dies in jedem Fall mit Schmerzen und Quälerei einhergehen müsse. Mit Hypnose können jedoch alle Eingriffe in der Zahnmedizin ohne Trauma und Schmerzerleben bei jenem Teil der Patienten durchgeführt werden, der sich freiwillig für eine Behandlung in Hypnose entschließt. Dies ist das beste Auswahlkriterium. Falls die Analgesie nicht ausreichend ist (bei etwa 20 Prozent der Patienten, die sich für eine Behandlung ohne Spritze entschieden haben), kann mit wenig chemischer Anästhesie meist sofort völlige Schmerzfreiheit erreicht werden.
Fazit
Letztlich besteht das von der DGZH verfolgte Ziel darin, durch eine möglichst weite Verbreitung von Hypnose und Entspannungstechniken, Patienten eine sanfte Zahnheilkunde anzubieten. Je mehr von ihnen völlig entspannt behandelt werden und je weniger (zurzeit noch 70 Prozent!) Angst vor dem Zahnarzt haben, umso weniger wird der Berufsstand attackiert werden. Die gelegentliche Aggression gegenüber Zahnärzten kann reduziert werden, wenn mehr Patienten sagen: „Ich gehe gern zu meinem Zahnarzt!“
Dr. Albrecht Schmierer
Gründer und von 1994 bis 2012 Präsidentder Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose (DGZH) e.V.
Esslingerstr. 40, 70182 Stuttgart
Schmierer@hypnose.de
Interview mit Dr. Gerhard Schütz
„Ein hypnotischer Vorgang ist prinzipiell etwas Unberechenbares“
Leichte, mittlere oder tiefe Trance – was bietet sich für die zahnärztliche Behandlung an?
Der entscheidende Punkt ist die Behandlungsfähigkeit. Ist diese durch eine leichte Trance gegeben, dann reicht das. Häufig ist das der Fall. Mittlerweile gibt es aber auch Induktionsformen, mit denen man relativ schnell eine mittlere oder eine tiefe Trance einleiten kann, wenn dies nötig ist, um den Patienten behandlungsfähig zu machen.
Kann man während einer Hypnose auch Gesundheitsbotschaften unterbringen?
Ja. Neben der Behandlungsfähigkeit gibt es noch andere Ziele, die eine Hypnose verfolgt. So kann man eine Sitzung auch dahingehend lenken, dass der Patient etwas für seine Gesundheit macht. Man sagt ihm, dass er für seine Gesundheit Sorge tragen soll, indem er sich mindestens zweimal am Tag die Zähne putzt und auf seine Ernährung achtet. Weil der Patient in einem entspannten hypnotischen Zustand ist, ist er dann empfänglicher für verbale Botschaften. Diese haben eine stärkere suggestive Kraft auf den Patienten. Wichtig ist hier aber der fürsorgliche Ton desjenigen, der den Patienten unter Hypnose anspricht.
Und wo liegen die Gefahren der Hypnose in der Zahnarztpraxis?
Prinzipiell ist ein hypnotischer Vorgang immer etwas Unberechenbares. Man weiß nie, was passiert. Der Patient befindet sich in einem relativ schutzlosen Zustand und wird von außen gelenkt. Man muss wissen, wie man einen ungewollten negativen Zustand wieder positiv ausrichten kann. Vor allem muss man wissen, wie man den Patienten am Ende der Behandlung wieder richtig wach macht. Das nennt man Dehypnose. Der Patient, der wieder in den Straßenverkehr geht, muss ja wieder voll wahrnehmungsfähig sein.
Wer mehr wissen will: Vom 7. bis zum 10. September 2017 findet in Berlin Hypnose-Kongress statt.