Aus der MKG-Chirurgie

Kiefergelenkmetastase eines Kolonkarzinoms

Steffen Koerdt, Oliver Bissinger, Gesche Frohwitter, Andreas Kolk
Bei einem 73-jährigen Patienten wurde aufgrund seiner Beschwerden eine Fraktur des Collums vermutet, obwohl er sich an kein Trauma erinnern konnte. Die CT-Aufnahme zeigte dann eine Metastase am Kiefergelenk. Der Primarius war Dickdarmkrebs, der bereits therapiert worden war.

Der Fall

Ein 73-jähriger Patient wurde der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München mit dem Verdacht auf eine Collumfraktur vom behandelnden Hauszahnarzt im Juli 2017 erstmalig vorgestellt.

Diagnostik

In der alio loco durchgeführten Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 1) zeigte sich eine rechtsseitige Collumfraktur. Anamnestisch war dem Patienten kein Trauma erinnerlich.

Bei der klinischen Untersuchung beklagte der Patient eine schmerzhaft eingeschränkte Mundöffnung. Darüber hinaus bestanden Frühkontakte im Seitenzahnbereich rechtsseitig sowie ein kontralateral dezent offener Biss. In der zur weiteren Diagnostik durchgeführten Computertomografie (CT) zeigte sich eine pathologische Fraktur des Gelenkfortsatzes auf der rechten Seite sowie eine Osteolyse in Bereich des Kiefergelenks (Abbildung 2). Allgemeinanamnestisch bestand bei dem Patienten ein hepatisch und pulmonal metastasiertes Kolonkarzinom.

Nach Erstdiagnose 2013 und erfolgter chirurgischer Resektion war der Patient aktuell an die onkologische Klinik im Hause zur palliativen Chemotherapie angebunden. Ossäre Metastasen waren bis zur Erstvorstellung in unser Klinik nicht diagnostiziert worden.

Bei dem Verdacht auf eine Erstmanifestation einer Knochenmetastase des bekannten Kolonkarzinoms führten wir zum Staging eine Positronen-Emissions-Tomografie kombiniert mit einer CT durch (Abbildung 3). Hierbei zeigte sich eine intensive Stoffwechselsteigerung in Projektion auf die pathologische Fraktur im rechten Collum mandibulae. Darüber hinaus zeigte sich noch eine Stoffwechselsteigerung im Bereich der 6. Rippe, welche ebenfalls als Zeichen einer ossären Metastase gewertet wurde.

Therapie

Nach ausführlicher Aufklärung und Beratung des Patienten sowie Rücksprache mit den behandelnden Onkologen entschieden wir uns bei bestehenden klinischen Symptomen, wie einer eingeschränkter Mundöffnung, Schmerzen beim Kauen und damit verbundenen Problemen beim Essen und Trinken zur isolierten Entfernung der Metastase am rechten Collum. Über einen präaurikulären Zugang erfolgte unter Schonung des Nervus facialis die Darstellung des Kiefergelenks. Nach Sichtbarwerden der Osteolyse erfolgte die Resektion des Kiefergelenks im Sinne einer Kondylektomie (Abbildung 4).

Das Resektat wurde anschließend histopathologisch aufgearbeitet. Hierbei zeigte sich im Bereich des Kondylus und des kaudalen Absetzungsrands eine Knochenmetastase eines Adenokarzinoms vom kolorektalen Typ, passend zu einer metastatischen Manifestation des vorbekannten Sigmakarzinoms. In der postoperativen Nachsorge präsentierte sich der Patient klinisch komplett beschwerdefrei. Die Mundöffnung war nicht mehr eingeschränkt, die Okklusion ebenfalls objektiv regelhaft. Essen und Trinken war postoperativ problemlos möglich.

Diskussion

Metastasen anderer Tumoren sind nur für etwa 1 Prozent aller Tumoren der Mundhöhle verantwortlich [Beena et al., 2011, van der Waal et al., 2003]. Im Hinblick auf die orale Manifestation der Metastasen ist der Unterkieferknochen mit Schwerpunkt der Molarenregion häufiger betroffen als das Weichgewebe [Hirshberg et al., 2008]. In der Literatur ist eine Metastasierung im Bereich des Collums mit nur 5,7 Prozent aller oralen metastatischen Läsionen beschrieben [Deeming et al., 2003]. In einer aktuellen Übersicht von Pretzl und Kollegen wurden Kiefergelenkmetastasen als Ursache von Kiefergelenkbeschwerden anhand der Literatur näher untersucht [Pretzl et al., 2014]. Hinsichtlich der klinischen Symptomatik beklagten die Patienten Schmerzen, Schwellung, eine eingeschränkte Mundöffnung sowie Trismus.

Viele dieser Beschwerden wurden primär als craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) angegeben. Pathologische Frakturen oder Okklusionsstörungen waren nur in den seltensten Fällen als klinische Manifestation einer Kiefergelenksmetastase vorhanden. Histologisch waren in der Mehrzahl der Fälle Adenokarzinome (53 Prozent) die häufigste Entität der untersuchten Kiefergelenkmetastasen [Pretzl et al., 2014].

Hinsichtlich des Primärtumors ergab sich folgende Verteilung: Für Männer stellten sich Lunge, Niere, Leber und Prostata als die meistbetroffenen Organe heraus, während bei Frauen vor allem Primärtumoren im Bereich der Brust, der Geschlechtsorgane und der Niere zu finden waren [Hirshberg et al., 2008]. In Bezug auf die Altersverteilung traten Kiefergelenkmetastasen bei Frauen zwischen 32 und 78 Jahren auf, mit Schwerpunkt zu Beginn des fünften Lebensjahrzehnts [Pretzl et al., 2014]. Bei männlichen Patienten erschienen Metastasen zwischen dem 42. und 85. Lebensjahr klinisch. Grundsätzlich konnte die Literaturstudie von Pretzl et al. 66 Patienten mit Metastasen im Kiefergelenk, deren Kasuistiken zwischen 1954 und 2013 publiziert wurden, identifizieren [Pretzl et al., 2014].        

Interessanterweise sind nur zwei Fallberichte von Patienten mit Kolonkarzinommetastasen aus den Jahren 1982 und 2005 bis dato publiziert [Giles et al., 1982, Qiu et al., 2013]. Histologisch deckt sich die Diagnose einer Adenokarzinommetastase mit den Beschreibungen aus der Literatur. Seltener waren jedoch pathologische Frakturen im Bereich des Kiefergelenks als Folge von Knochenmetastasen.

Für den klinischen Alltag sollten man insbesondere bei Patienten mit therapierefraktären Kiefergelenkbeschwerden und etwaigen karzinomspezifischen Befundkonstellationen auch ohne den bereits erfolgten Nachweis eines Primarius immer auch an die Erstmanifestation im Kiefergelenk denken. Bei etwa 75 Prozent der Fälle von Kiefermetastasen war darüber hinaus der Primärtumor bei Diagnosestellung nicht bekannt [D'Silva et al., 2006].

Insbesondere da sich die meisten klinischen Symptome mit dem Beschwerdebild bei CMD decken. Bei dem Verdacht auf eine Kiefergelenkmetastase können somit weiterführende Untersuchungen wie eine Biopsie oder PET Untersuchung sinnvoll sein. Therapeutisch richtet sich das Vorgehen nach der Ausprägung der Grunderkrankung, der Lokalisation der Metastase und dem Allgemeinzustand des Patienten. Die 4-Jahres-Überlebensrate bei Tumorerkrankungen mit vorliegender oraler Metastasierung wird mit etwa 10 Prozent angegeben [Pretzl et al., 2014]. Der Grund für die schlechte Prognose ist oftmals, dass neben der Metastase im Kiefergelenk noch weitere Fernmetastasen vorliegen. Grundsätzlich ist bei einer isolierten Metastase und dem Vorliegen von klinischen Symptomen eine isolierte lokale Metastasenchirurgie eine sinnvolle Option [Katsnelson et al., 2010].

Dr. Dr. Steffen Koerdt

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Charité Universitätsmedizin Berlin

Augstenburger Platz 1, 13353 Berlin

steffen.koerdt@charite.de

Dr. Gesche Frohwitter

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Universitätsklinikum Erlangen

Glückstraße 11, 91054 Erlangen

Dr. Dr. Oliver Bissinger

Prof. Dr. Dr. Andreas Kolk

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Technische Universität München

Klinikum Rechts der Isar, Ismaninger Str. 22, 81675 München

Steffen Koerdt, Oliver Bissinger, Gesche Frohwitter, Andreas Kolk

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