FVDZ-Ostseesymposium in Kiel

Wenn Bundesthemen auf Landespolitik treffen

Uwe Axel Richter
Dass die in Berlin gemachte Gesundheitspolitik in den Niederungen der Bundesländer auf unterschiedliche Einschätzungen trifft, liegt nicht nur an landestypischen Eigenheiten. Manchmal fehlen den Landespolitikern schlicht und einfach relevante Informationen, wie auf der Podiumsdiskussion anlässlich des diesjährigen Ostseesymposiums der schleswig-holsteinischen Landesorganisation des Freien Verbandes Deutscher Zahnnärzte (FVDZ) deutlich wurde. Ob es an der Hyperaktivität im Bundesgesundheitsministeriums liegt?

Im Vortragssaal – nebenbei: ausgestattet mit einer hervorragenden Aussicht auf die Kieler Förde – waren trotz des fantastischen Wetters fast alle Plätze besetzt, als zur Mittagszeit der Moderator und stellvertretende FVDZ-Landesvorsitzende ZA Jan-Philipp Schmidt zur Podiumsdiskussion zum Thema „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ bat. Auf der Bühne standen die gesundheitspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen von FDP, Dennys Bornhöft, SPD, Bernd Heinemann, und von der CDU, Hans Hinrich Neve. Dr. Roland Kaden, bis vor Kurzem noch Landesvorsitzender des FVDZ Schleswig-Holstein, vertrat die AfD. Der FVDZ-Bundesvorsitzende Harald Schrader komplettierte die Runde.

Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten: In der Bewertung, dass das bundesdeutsche Gesundheitswesen von der Digitalisierung enorm profitieren wird, war man sich einig. Die Telematikinfrastruktur (TI) galt parteiübergreifend als gesetzt, und auch hinsichtlich der Einschätzungen zu Datenschutz und Datensicherheit offenbarten sich keine wesentlichen Differenzen. Allseits kritische Worte fanden die diesbezüglich noch immer ausstehenden gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz und den Verantwortlichkeiten. Tenor: „Es soll dann ja ein Gesetz im Januar nächsten Jahres kommen.“ An dieser Stelle sollte man sich in Erinnerung rufen, wann der erste Konnektor an die TI angeschlossen wurde.

Datenschutz: Es geht Richtung Dänemark

Schließlich bestand weitestgehend politische Einigkeit, dass die Anbindung zwingend sein müsse, um Informations- und Kostenvorteile zu generieren. „Im Hintergrund“, führte Heinemann aus, „läuft eine zweite Problematik – die staatliche Aufsicht über den Datenschutz führt in Richtung Dänemark, und das bedeutet Staatsmedizin.“ Sein Kollege von der CDU merkte in diesem Zusammenhang an, dass die Gesetze doch schon lange mit heißer Nadel gestrickt würden. Dennoch liege Spahn mit seinem „Tempo machen“ richtig. Er verwies auf Estland, wo bei einer Fehlnutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) drakonische Strafen drohten. [In Estland werden sämtliche Gesundheitsdaten in einer ePA gespeichert, die Datenhaltung erfolgt zentral. Der Patient kann nachvollziehen, welcher Gesundheitsdienstleister was in der Akte eingesehen hat. Im Unterschied zum deutschen Opt-in-Modell sind die Esten verpflichtet, an dem digitalen System teilzunehmen; die Red.] Apropos „das System wird sich ändern“: Schrader merkte an, dass der TI-Datenschutz seitens der Politik in die Selbstverwaltung „outgesourced“ worden sei, mit der Folge, dass die Selbstverwaltung mit Ansage ins Versagen getrieben worden sei.

Was Vorteile durch Information angeht: Dass die ePA je nach ihrer Ausgestaltung eine Schlüsselrolle einnehmen wird, stand für alle außer Diskussion. Die entscheidende Frage sei jedoch nach wie vor unbeantwortet und nicht technischer Natur: Wie soll das Rechtemanagement ausgestaltet sein, damit die Daten auch einen tatsächlichen Nutzen für die Patienten wie für die Heilberufler generieren? Die hierfür notwendigen – und teils erheblichen – Aufwände würden mit enormer Zusatzarbeit für Ärzte und Zahnärzte einhergehen, was nicht kostenneutral zu erbringen sei. Schrader wie auch Kaden forderten daher für die Zukunft die Vollkostenerstattung für die Aufwände rund um die ePA und die kommenden weiteren digitalen Gesundheitsanwendungen. Für letztere hätten die Ärzte bereits eine Gebührenziffer im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM).

Es gibt nicht nur Freibier, Gesundheit kostet

Angesichts der zunehmenden Datenfülle auf der einen Seite – Stichwort gläserner Patient – und den Sanktionen für noch nicht an die TI angeschlossene Ärzte und Zahnärzte auf der anderen Seite, fragte Moderator Jan-Philipp Schmidt in die Runde, wann denn Sanktionen gegen Patienten bei ungesundem Verhalten kommen würden? Das sei, so Bornhhöft, bei Autoversicherern bereits im Kommen.

Er befürchte Ähnliches auch für die Gesundheitsdaten. Umso wichtiger sei die Forderung, dass die Datenhoheit beim Patienten liegen müsse. Im Übrigen sei die Praxisgebühr ja auch eine Sanktionierung gewesen. Den Konter von Schrader, dass es nicht nur Freibier gebe, sondern dass Gesundheitsdienstleistung koste, nutzte Bornhöft zu dem erneuten Hinweis, dass es wichtiger sei, dass der Patient wisse, welche Kosten er verursacht. Mithilfe einer entsprechenden Gesundheits-App ließe sich dieses Problem schnell lösen. Dies gehe, so Schrader, aber auch deutlich einfacher und wies auf die direkte Kostenerstattung, in der Zahnmedizin seit Langem bewährt, hin. Kaden führte aus, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck sei, sondern Vorteile und Anreize bieten müsse. Mit Blick auf die ePA forderte er eine Arzt- und Zahnarztakte.

„Geht man auf Gesundheitskongresse“, so Schrader, „dann fliegen diese fast auseinander, weil Digitalisierung alles kann.“ Grundsätzlich habe die Zahnärzteschaft mit der Digitalisierung kein Problem, schließlich sei diese seit fast drei Jahrzehnten in die tägliche Berufsausübung integriert. Die Probleme entstünden dort, wo die Daten die Praxis aufgrund gesetzlicher Vorgaben verlassen müssen, aber grundlegende Aspekte des Datenmanagements nicht geregelt seien. Galt bis vor Kurzem noch die Einschätzung der meisten Datenschützer, dass die Verantwortung der Heilberufler am Konnektor ende, so sei dies nach den neuen Einlassungen der sich nun in Bundeshand befindlichen gematik wieder zweifelhaft. Die Antworten der Landespolitiker machten die grundlegende Problematik in der politischen Einschätzung deutlich. Bornhöft bekannte, dass er die Frage nicht beantworten könne.

Bernd Heinemann, SPD, sagte, dass es zwar ein Gesetz im Januar geben solle, aber derzeit noch keine Lösung in Sicht sei. Um sodann einen Vergleich von Jens Spahn und Ulla Schmidt zu ziehen. Sie sei mit ihrem Team hochinnovativ, aber ängstlich gewesen. Spahn sei das Gegenteil: Der habe keine Angst, noch nicht einmal vorm Zahnarzt. Er bringe nun die Ideen von Schmidt zu Ende.

Spahn bringt die Ideen von Ulla Schmidt zu Ende

Stichwort hyperaktiver Umbau des Systems: Hier hatten alle Teilnehmer Bauchschmerzen. Neve meinte: „Man muss auch mal erkennen, dass die Dinge aus dem Ruder laufen“ und nannte als Beispiele den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und seine Prüforgien der Krankenhäuser sowie die mangelnde Pharmaforschung bei Antibiotika als auch die sich abzeichnenden Einschränkungen in der Arzneimittelversorgung. Dazu Bornhöft: „Die Bundesebene hat doch ständig ins System hineingegrätscht. Wir müssen uns politisch mal zurücknehmen, damit die Strukturen nicht kaputtgehen.“ Heinemann bekannte freimütig, dass er häufig Informationen nur über Lobbyisten bekomme. Die Berliner Politik lege bei der Digitalisierung eine wahnsinnige Geschwindigkeit vor. Da aber die Problemfelder oft abgekoppelt und extra behandelt werden, die dazugehörigen gesetzlichen Regelungen sich dann aber in sonstigen Gesetzen wiederfinden, sei es kaum noch möglich zu folgen. So klingt es, wenn Bundesthemen auf Landespolitik treffen.

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