Ohne Vergangenheit keine Zukunft
Manche mögen sich an folgendes Zitat von Helmut Kohl erinnern: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ 1995 ging es um Vertreibung, da ist eine solche Aussage nachvollziehbar. Könnte sie aber auch für die Geschichte eines Berufsstandes gelten?
Bei uns würden doch manche Zweifel anmelden: Was bitte soll die präventive und digitale Zahnmedizin aus den Zeiten von Schmerzen, Kautschuk und Metall lernen? Da wäre es dann konsequent, dass kaum ein Museum unsere Vergangenheit ausstellt und der Nachwuchs strukturierte Informationen zu unserer Geschichte im Studium eher selten erhält. Gut so? Kein Blick in den Rückspiegel, nur nach vorn? Das wäre schon beim Autofahren blöd, in der Zahnmedizin erst recht!
Drei Beispiele:
1. Eine kleine Auslassung in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 ließ eine aus heutiger Sicht absurde Situation entstehen. Jeder, der sich dazu berufen fühlte, durfte zwar nicht „Zahnarzt“ heißen, aber doch Zähne behandeln. Das muntere Völkchen, das sich hier tummelte – Malergehilfen, Buchhändler, Schauspieler, Opernsänger, Kaminfeger –, nannte sich zunächst „Zahnkünstler“, ab 1908 „Dentisten“. Der Abwehrkampf der beiden Gruppen lähmte die akademische, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung der Zahnmedizin in Deutschland bis 1952. Mit dieser Erfahrung ist es unsere Pflicht, alle Anteile der wissenschaftlichen Zahnmedizin für unsere Berufsgruppe eindeutig zu reklamieren und zu verteidigen. Neue Wege zur Aufsplitterung, wie sie in den Niederlanden aktuell beschritten werden, dürfen nicht unser Weg sein.
2. Das NS-Regime ist rasend schnell bis in den moralischen Kern unseres Berufsbilds vorgedrungen. Wer einige der Lebenswege nachvollzieht, die aus engagierten Kollegen Mitläufer und Täter gemacht haben, versteht unmittelbar, warum wir unsere Demokratie wehrhaft verteidigen müssen.
3. Geräte und Instrumente aus der Vergangenheit konkret zu erleben, ist lehrreich: Vom Wohnzimmersessel über die „Unit“ bis zum ergonomisch gestalteten Behandlungszimmer, von der Tretbohrmaschine über den Doriot-Antrieb bis zum Mikromotor. All das atmet Pionier- und Erfindergeist, Perfektionsstreben, Liebe zum Beruf und den Willen, auch in schwierigen Zeiten weiterzumachen. Wenn unsere Zeiten heute ebenfalls nicht immer einfach sind, dann macht es Mut, Teil einer so erfolgreichen Geschichtskette zu sein.
Wie beim Autofahren sichert der Blick in den Rückspiegel den Weg nach vorne. Aber wo lässt sich historische Zahnmedizin erleben? In Deutschland existieren zwei große Sammlungen. Die Bundeszahnärztekammer ist im Besitz der renommierten Sammlung Proskauer-Witt. Sie war lange in Köln im Zahnärztehaus ausgestellt, schlummert aber seit dem Umzug nach Berlin im Container. Der Zahntechniker Andreas Haesler hat über viele Jahre eine inzwischen ebenfalls bedeutende Sammlung zusammengetragen. Der Ausstellungsort Zschadraß liegt aber abseits der Verkehrswege. Gemeinsam mit der Zahnärztekammer Sachsen hat die Bundeszahnärztekammer nun das Konzept entwickelt, beide Sammlungen zusammenzuführen und zentral auszustellen. Damit entsteht dann die größte Sammlung der Welt.
Auch wenn der angestrebte Rahmen überschaubar bleibt, so fehlt dennoch eine Restsumme, für die wir die Kollegenschaft um Spenden bitten. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich daran beteiligen möchten, unsere gemeinsame Zukunft zu stärken, indem wir unsere Vergangenheit mit allen Sinnen erlebbar machen.
Prof. Dr. Christoph Benz
Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer