Ja, Zahnschmelz ist regenerierbar, aber ...
Zahnschmelz besteht zu 96 Gewichtsprozent aus anorganischen Verbindungen, die dicht gepackt sind und dem Biomaterial seine Härte und Widerstandkraft verleihen. Ausgereifter Zahnschmelz ist azellulär und hat somit keine Kapazität, sich nach Schäden – zum Beispiel durch kariöse Läsionen oder Erosion – selbst zu regenerieren.
Die chinesischen Forscher sahen bei der künstlichen Nachbildung des Zahnschmelzes – bekanntermaßen die härteste Struktur des menschlichen Körpers – die größte Herausforderung dann auch in der stabilen und naturgetreuen Anordnung der Apatit-Kristalle, um durch eine exakte Kopie auch die mechanischen Eigenschaften des natürlichen Zahnschmelzes zu erhalten. Sie entwickelten ein neues Material in Gelform, das eine Art Vorläuferschicht erzeugen soll, um eine optimale Ausrichtung der Apatit-Kristalle zu induzieren und damit das natürliche Vorbild so gut wie möglich zu imitieren. Die Kalziumphosphationencluster wurden hier durch Triethylamine (TEA) stabilisiert.
Die Grenze zwischen künstlichem und natürlichem Zahnschmelz war nicht mehr auszumachen.
Im Rasterelektronenmikroskop (REM) konnte nach dem Auftragen des Gels ein kontinuierlicher, ununterbrochener Verbund von natürlichem und künstlichem Zahnschmelz sowie eine epitaxiale Ausrichtung der Apatit-Kristalle festgestellt werden. Die natürliche, charakteristische fischschuppenartige Struktur der natürlichen Schmelzkristalle konnte soweit imitiert werden, dass die Grenze zwischen künstlichem und natürlichem Schmelz im REM nicht mehr auszumachen war. Die Autoren bewerten das neu entwickelte Gel als möglichen dauerhaften Reparaturmechanismus für Schmelzdefekte.
Ist das der Durchbruch?
Na ja, die maximal erreichbare Schichtdicke gemäß den aktuellen Studienergebnissen liegt bei 2,8 μm. Doch Shao et al. [2019] betonen, dass der Vorgang beliebig oft wiederholt werden könne.
Doch um einen 1-mm-Defekt vollständig zu füllen, müsste der Prozess 357-mal wiederholt werden.
Rechnen wir mal nach: Wenn man (der Einfachheit halber) von einem lediglich 1 mm tiefen Schmelzdefekt ausgeht, müsste der Prozess demnach 357 Mal wiederholt werden, um schließlich eine vollständige Defektfüllung zu erreichen. Beileibe keine angenehme Prozedur – weder für den Behandler noch für den Patienten. Wohlgemerkt bei 1 (einem) mm Defekttiefe.
Als weitere Einschränkung räumen die Autoren ein, dass Triethylamine das Risiko einer Toxizität bergen, wobei der täglich tolerierbare Grenzwert bei 62,5 mg/Tag liege. Im beschriebenen Experiment wurden 100 μl der Kalziumphosphationencluster-Ethanol-Lösung für eine Schmelzschicht verwendet.
Fazit: Noch nicht praxistauglich
Geht man erneut von einer Schichtdicke von 1 mm aus, so müssten bei 357-maliger Wiederholung 35,7 ml der Lösung verwendet werden, was bei einer Triethylamine-Menge von 2 mg/ml einer Gesamtmenge von 71,4 mg entspricht. Das Legen der Füllung würde also nicht nur mehrere Stunden bis Tage dauern, sondern wäre überdies noch toxisch für den Patienten.
Dennoch sind die Studienergebnisse durchaus interessant und wir dürfen gespannt sein, ob den Forschern eine Weiterentwicklung des Verfahrens hin zu einer praxistauglichen Therapie gelingt.
Shao C, Jin B, Mu Z, Lu H, Zhao Y, Wu Z, Yan L, Zhang Z, Zhou Y, Pan H, Liu Z, Tang R (2019): Repair of tooth enamel by a biomimetic mineralization frontier ensuring epitaxial growth. Science Advances, 5(8), eaaw9569
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