Polymerisationsspannung selbstadhäsiver Komposit-Zemente
Die Polymerisationsspannung hängt von der Gel-Phase eines Polymers ab. Das ist der Zeitpunkt, an dem das Kompositmaterial von einer viskös-plastischen in eine starr-elastische Konsistenz übergeht. Wenn dieser Punkt erreicht ist, kann kein Komposit mehr von der freien Oberfläche in geschrumpfte Volumina nachfließen [Davidson und Feilzer, 1997]. Da der Polymerisationsprozess dennoch weitergeht, wird die Schrumpfung nicht mehr kompensiert. Polymerisationsspannungen entstehen also innerhalb eines Kompositzements, im Gefüge mit dem Zahn und der angrenzenden Restaurationsoberfläche [Tantbirojn et al., 2004; Yamamoto et al., 2009].
Test
Um die Polymerisationsspannung eines Zements zu beziffern und mit Test-Zementen zu vergleichen, maßen die Münchener Forscher die Rissausbreitungen. Dazu stellten sie 130 Proben aus Feldspatkeramik (VITABLOCS Mark II, VITA Zahnfabrik, Bad Säckingen) her, die aus zwei miteinander verklebten Keramikscheiben von 12 mm × 14 mm × 2 mm bestanden. Die obere Scheibe war vor der Verklebung durchbohrt worden und enthielt ein zentrales Loch von 2,5 mm Durchmesser und 2 mm Tiefe. Dieses Loch sollte später die zu testenden Zemente aufnehmen.
Jede Probe erhielt auf der Oberseite vier Abdrücke eines Vickershärte-Prüfkörpers, jeweils zwei parallel gegenüber am Loch und alle Abdrücke 570 μm vom Rand des Lochs entfernt. Die Länge der dadurch entstandenen Risse in der Keramik maßen die Forscher vor und nach dem Auftragen und Polymerisieren der neun verschiedenen Test-Zemente. Nach Konditionierung der Keramikoberfläche mit neunprozentiger Flusssäure (Fluorwasserstoffsäure; Ultradent Porcelain Etch®, Ultradent Products, Inc., USA) trugen sie die in der Tabelle aufgeführten Primer und Zemente auf.
Die zu testenden Zemente wurden für 60 Sekunden lichtgehärtet (Elipar S10®, 3M), Ketac Cem® als Kontroll-Zement ist chemisch härtend. Die Werte der Risslängen vor und nach Applikation und Lichthärtung der Zemente setzten die Wissenschaftler in eine Formel ein, mit der sie den Polymerisationsstress berechneten.
Ergebnisse
Den kürzesten Riss (223.6 ± 11.5 μm) wies der Kontroll-Zement (Ketac Cem®) nach dem Abbinden auf. Der längste Riss (236.6 ± 9.5 μm) entstand bei RelyX Unicem 2® nach der Polymerisation. Auch die Rissausbreitung (Δ = Unterschied vorher/nachher) war bei Ketac Cem® am kürzesten (1.0 ± 5.2 μm), bei RelyX Unicem 2® (18.9 ± 7.3 μm) am größten, was einen signifikanten Unterschied ausmacht.
SmartCem 2® zeigte signifikant höhere Spannungswerte als iCEM®, SoloCem® und Ketac Cem®. Letzterer wies signifikant niedrigere Spannungswerte als Bifix SE®, Maxcem Elite®, SmartCem 2®, SpeedCEM® und RelyX Unicem 2® auf. In den übrigen Gruppen waren die Werte ähnlich.
Diskussion
Resultate für Glasionomerzemente
Der Glasionomerzement (GIZ) Ketac Cem® wies zwar geringere Spannungswerte als die selbstadhäsiven Zemente auf, doch hat sich gezeigt, dass Ketac Cem® hinsichtlich der Langzeitstabilität von damit befestigten Zirkonrestaurationen zu schlechteren Ergebnissen gegenüber verschiedenen selbstadhäsiven Kompositzementen geführt hat [Ehlers et al., 2015, Luthy et al., 2006]. Darüber hinaus werden Glasionomerzemente für Restaurationsmaterialien mit einer Biegefestigkeit von weniger als 350 MPa nicht empfohlen, da diese Restaurationen geklebt werden sollten, um die Gesamtstabilität und das Langzeitergebnis der Restauration zu erhöhen [Stawarczyk et al., 2013].
Interpretation der Spannungswerte
Die Polymerisationsspannung hängt nach Goncalves et al. [2010] vom Füllstoffgehalt ab: Je weniger Füllstoff desto mehr Spannung. Ein erhöhter Füllstoffgehalt hat aber nicht nur Vorteile, denn er kann die Umwandlungsrate nachteilig beeinflussen, da reaktive Gruppen in ihrer freien Bewegung behindert werden.
Zudem beeinträchtigt eine erhöhte Lichtstreuung die Polymerisation.
Schlussfolgerungen auf der Grundlage der Zusammensetzungen zum Beispiel bei SmartCem 2® zu ziehen, ist schwierig, da die genauen Anteile der verschiedenen Komponenten nicht vom Hersteller offengelegt wurden. Eine erhöhte Polymerisationsspannung könnte auf eine höhere Schrumpfung während der Polymerisation zurückzuführen sein, aber auch auf eine starke Verbindung zwischen Keramik und Kompositzement.
Ein Riss breitet sich demnach so lange aus, bis sich die Verbindung löst [Yamamoto et al., 2009]. Weitere Studien sind erforderlich, um eine mögliche Korrelation zwischen Haftfestigkeit und Rissausbreitung zu untersuchen.
Übertragung der Werte auf die klinische Situation
Die gemessenen Stresswerte der vorliegenden Studie können nicht direkt auf die klinische Situation übertragen werden. Ein Anstieg der Umgebungstemperatur wie in der Mundhöhle könnte beispielsweise zu einer stärkeren Schrumpfung führen [Tantbirojn et al., 2004]. Darüber hinaus kann die Aushärtung in der klinischen Umgebung unterschiedlich sein, da sie von den unterschiedlichen Transparenzgraden des Materials abhängt, die durch Schwankungen der Materialdicke und die genaue Positionierung der Polymerisationslampe verursacht werden.
Eine weitere Einschränkung der vorliegenden Studie besteht in der Schichtdicke der Befestigungskomposite. Ein optimaler Zementspalt liegt für die klinische Situation zwischen 30 und 50 μm. Da eine reduzierte Dicke des Zements theoretisch die Schrumpfung verringern sollte, müssen die vorliegenden Ergebnisse in zukünftigen Studien bestätigt werden, die die klinische Situationen so genau wie möglich nachahmen.
Fazit
Selbstadhäsive Komposit-Zemente unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Polymerisationsspannung, was die Haltbarkeit der Restaurationen beeinträchtigen kann. Für Keramikrestaurationen mit geringerer Biegefestigkeit wie Feldspatkeramik sollten Behandler Komposit-Zemente mit geringerer Polymerisationsspannung wählen.
Dr. Med. Dent. Kerstin Albrecht
Medizin-/Dentaljournalistin
Quelle: Felicitas Wiedenmann, Fabian Becker, Marlis Eichberger, Bogna Stawarczyk (2021): Measuring the polymerization stress of self-adhesive resin composite cements by crack propagation. Clinical Oral Investigations. 25. DOI: 10.1007/s00784–020–03391–5 .
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