Medizintechnik in der Zahnheilkunde
Der DGZ-Verbund aus DGZ, der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) und der Deutschen Gesellschaft für Restaurative und Regenerative Zahnerhaltung (DGR2Z) bot in diesem Jahr vornehmlich jüngeren Wissenschaftlern ein Podium, ihre Forschungsarbeiten einem breiten Publikum vorzustellen. Unter dem Titel „Zahnerhaltung und Endodontie im 21. Jahrhundert – Herausforderungen und technische Innovationen“ erhielt der Zuschauer Einblicke, welche technischen Neuerungen in die Zahnheilkunde Einzug halten werden. „Ich erwarte erhebliche Impulse für unser Fachgebiet, sowohl in der Fertigung individueller Instrumente oder von Zahnersatz als auch im Hinblick auf die Diagnostik“, sagte DGZ-Präsident Prof. Christian Hannig.
Am traditionell vorgelagerten Tag der Wissenschaften waren additive 3-D-Druck-Verfahren Thema in einem der Keynote-Vorträge. Prof. Frank Brückner, Geschäftsfeldleiter Additive Fertigung und Drucken am Fraunhofer Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) in Dresden, erläuterte die Prinzipien der „additiven Fertigung“. All diese Verfahren benötigen prinzipiell immer einen Ausgangswerkstoff (beispielsweise Pulver, Draht, Paste), einen CAD-Datensatz des zu erschaffenden Werkstücks und eine Energiequelle (Laser, physikalisches Plasma). Eine Software zerlegt den Datensatz virtuell in Scheiben und der Laser schmilzt das Werkstück aus dem Ausgangsmaterial lagenweise auf.
Prothesen aus dem Pulverbett
Mit dem Elektronenstrahlschmelzen (Electron Beam Melting, EBM) werden schon heute Prothesenbasen aus Metall hergestellt. Ein Elektronenstrahl schmilzt dabei metallisches Pulver in einem Pulverbad gezielt zu einem Werkstück auf. Nahezu beliebige Geometrien können so direkt aus den Konstruktionsdaten hergestellt werden. Vorteil: Das nicht benötigte Pulver im Pulverbad ist wiederverwendbar. Die Menge an eingesetztem Werkstoff für ein fertiges Bauteil ist also viel geringer als bei zerspanenden beziehungsweise subtraktiven Verfahren. Noch ist EBM jedoch recht langsam und teuer.
Weitere Pulverbett-basierte Verfahren sind das Laser Powder Bed Fusion (LPBF) und das Binder Jetting zur kostengünstigen Herstellung temporärer oder dauerhafter individueller medizinischer Komponenten. Für Unfallpatienten zum Beispiel kann ein 3-D-Datensatz aus einem CT abgeleitet werden, mit dem Patienten-individualisiert Ersatz für frakturierte Schädelknochen hergestellt wird, führte Brückner aus.
Mit additiven Verfahren sind auch Multimaterial-Verbünde möglich, zum Beispiel Metall-Polymer-Aufbauten, wie sie in Brackets für die Kieferorthopädie zur Anwendung kommen können. Über Düsen zugeführte Materialien (beispielsweise verschiedene Metallpulver) verschweißt ein Laser zu neuen Strukturen, die auf einer vorhandenen Oberfläche aufgebaut werden. Über diese direkte Werkstoffzusammenführung entstehen neue Legierungen, wenn die Ausgangsmaterialien geeignet sind, einen Verbund einzugehen. „Herkömmliche und additive Verfahren halten beide Eigenschaften bereit, die für dentale Anwendungen wichtig sind. Wenn additive Verfahren jedoch eindeutige Vorteile bieten, sehe ich sie als wichtige Ergänzung zu den herkömmlichen Fertigungsverfahren“, betonte Brückner.
Bildgebung oraler Hart- und Weichgewebe
Einen weiteren Schwerpunkt am Tag der Wissenschaften bildeten optische Technologien zur Untersuchung von oralen Hart- und Weichgeweben. Dr. Julia Walther vom Arbeitsbereich medizinische Physik und biomedizinische Technik der TU Dresden erläuterte in ihrer Keynote Lecture die Einsatzgebiete unterschiedlicher Verfahren.
Die Hyperspektrale Bildgebung (HSI) ist ein kamerabasiertes Verfahren aus der Kombination von Farbkamera und Spektrometer. Zum Einsatz kommen Wellenlängen vom sichtbaren bis in den Nahinfrarot-Bereich. Die Objekte werden mit energiereicher Stahlung angeregt, absorbieren einen Teil dieser Energie und emittieren energieärmere Strahlung (geringere Frequenzen). Die Energiedifferenz messen die Forscher mithilfe ihrer Geräte. Es entsteht ein Datenkubus mit zwei räumlichen und einer spektralen Dimension. Der Betrachter erhält so chemische oder physiologische Informationen in einem Bildformat. Das Verfahren, das in der Kunststoffsortierung oder bei der Banknotenerkennung schon länger genutzt wird, hat sich in der Medizin in der Perfusionsbildgebung, der Angiografie und der Tumorerkennung etabliert. In der Zahnmedizin kann damit eine Fissurenkaries von einer Verfärbung oder eine Parodontitis/Gingivitis von gesundem Zahnfleisch unterschieden werden.
Eine Dresdener Arbeitsgruppe (Vosahlo et al.) verglich okklusale Kariesläsionen mit Verfärbungen an extrahierten Molaren jeweils mit der Depolarisationsbildgebung basierend auf polarisationssensitiver optischer Kohärenztomografie (PS-OCT) und der HSI. PS-OCT ist eine Erweiterung der OCT. Die Wissenschaftler werteten dabei die Veränderungen des Polarisationszustands des Lichts in einer Zahnprobe aus. Die Depolarisationsbildgebung erlaubte dabei eine sehr gute Unterscheidung zwischen gesundem Schmelz und Demineralisationen. Bei der HSI lag die Sensitivität bei 93, die Spezifität bei 86 Prozent. Klinisch könnte die PS-OCT bei der Kariesfrüherkennung und der Verlaufskontrolle zur Anwendung kommen.
Auch im Approximalraum kann die depolarisationssensitive OCT eingesetzt werden. Eine weitere Dresdener Arbeitsgruppe um Jonas Golde, Doktorand in der Arbeitsgruppe für klinisches Sensoring und Monitoring an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Universitätsklinikums, entwickelte eine Faseroptik, die in Interdentalräume einführbar ist. Ergebnis: Demineralisierte Schmelzbereiche (White Spot) depolarisieren das Licht. Der Grad der Depolarisation nahm zu, je höhergradig die Kariesläsion war. Die Messung in einem Approximalraum dauert 15 bis 20 Sekunden. Golde hält die Eindringtiefe mit kommerziell verfügbaren OCT-Systemen für vergleichbar.
Ein weiteres Einsatzgebiet der PS-OCT ist die Bildgebung der oralen Mukosa. Hier untersuchen Forscher um Walther aus Dresden gerade, ob das Verfahren als nicht-invasive In-vivo-Methode zur Krebsfrüherkennung geeignet sein könnte beziehungsweise ob sich damit im Vorfeld Biopsie-Stellen zuverlässiger als bisher auswählen lassen. „Bislang gibt es noch keine Bildgebungsmethode, die Kollagenfasern in vivo abbilden kann“, sagt Walther. „Es gibt spektroskopische Verfahren, die allerdings nur Bereiche von wenigen 100 Mikrometern abbilden können.“ Ob die Veränderungen an den Kollagenfasern ein zuverlässiger Marker für die Krebsfrühdiagnostik sein könnten, wird sich in der Zukunft zeigen.
Diagnostik mithilfe künstlicher Intelligenz
Eine Berliner Arbeitsgruppe untersuchte über 3.600 Bissflügelaufnahmen mit Kariesläsionen unterschiedlicher Ausdehnung mithilfe künstlicher Intelligenz. Dabei zeigte sich, dass ein trainiertes neuronales Netzwerk signifikant genauer als Zahnärzte war, um initiale Kariesläsionen zu erkennen [Cantu et al., 2020].
Forscher um PD Gerd Göstemeyer untersuchten die Zuverlässigkeit von intraoralen 3-D-Scans in Pflegeheimen zur Erhebung dentaler Befunde. Während sich vorhandene Restaurationen über die Scans recht genau erfassen ließen, war die Reliabilität für Karies und Mundhygiene weniger zuverlässig. Die Mundschleimhaut alleine war nicht scanbar, nur Zähne mit Gingiva drumherum. Ein Manko, da keine potenziell pathologischen Veränderungen diagnostiziert werden konnten. Solche Scans sind Pflegekräften allein noch nicht zu überantworten, denn ein qualitativ guter Scan dauert im Moment noch einige Zeit. Gegebenenfalls muss er wiederholt werden, was besser von zahnärztlichem Fachpersonal zu bewerkstelligen ist. Auch für die Senioren war es teilweise zu belastend, den Mund über längere Zeit ruhig aufzuhalten. Eine Alternative für die Zukunft könnten Intraoral-Kameras sein, möglicherweise unter Integration von Software mit künstlicher Intelligenz.
Eine Kieler Arbeitsgruppe um Patrick Glandorf verglich den Substanzabtrag für die Trepanationsöffnung in Abhängigkeit von der Bildgebung und -verarbeitung – verglichen wurde die Verwendung von Zahnfilmen, digitaler Volumentomografie (DVT) oder einer 3-D-Planungssoftware (3D EndoTM, Sirona Dentsply). Letztere nutzt die Daten der DVT-Aufnahme und visualisiert die Kanalmorphologie mit Ausdehnung der Trepanationsöffnung vor der Behandlung. Die diagnostische Bildgebung hatte auf den Zahnhartsubstanzverlust beim Trepanieren keinen signifikanten Einfluss, wohl aber die Erfahrung des Behandlers. Die 3-D-Technik zeichnete sich allerdings durch die niedrigste Fehlerhäufigkeit beim Trepanieren aus.
NaOCl schlägt kaltes physikalisches Plasma
Kaltes Plasma ist ein Gas mit antimikrobiellen Eigenschaften, das in der Medizin bei Wundheilungsstörungen eingesetzt wird. Eine Kieler Arbeitsgruppe um Carolin Niemeyer testete die Wirksamkeit von kaltem Plasma, eingestrahlt in den Wurzelkanal, gegenüber dem Problemkeim Enterococcus faecalis in vitro. Im Ergebnis war allerdings das althergebrachte NaOCl überlegen. Es desinfizierte effektiver und schneller.
Dr. Med. Dent. Kerstin Albrecht
Medizin-/Dentaljournalistin
Literaturliste
Anselmo Garcia Cantu, Sascha Gehrung, Joachim Krois, Akhilanand Chaurasia, Jesus Gomez Rossi, Robert Gaudin, Karim Elhennawy, Falk Schwendicke.: Detecting caries lesions of different radiographic extension on bitewings using deep learning. Journal of Dentistry, Volume 100, 2020. https://doi.org/10.1016/j.jdent.2020.103425 .