Studie aus England

So lässt sich die Aerosolentstehung bei Behandlungen reduzieren

Forscher aus Leeds haben die Aerosolausbreitung bei zahnärztlichen Behandlungen gemessen und das Potenzial verschiedener Strategien zur Verringerung des Infektionsrisikos für das zahnärztliche Team untersucht.

In einer aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass die Verwendung eines Winkelstücks anstelle einer Turbine, die hochvolumige Absaugung sowie die Verwendung eines Kofferdams eine drastische Reduzierung der Aerosole bewirken können.

Dazu wurde in einer zahnärztlichen Praxis eine Patientenbehandlung an einem Phantomkopf mit Frasaco-Zähnen simuliert. Die Behandlungen bestanden in der Präparation eines Wurzelkanalzugangs an einem Oberkiefermolaren sowie in einer Vollkronenpräparation an einem Oberkieferfrontzahn, die jeweils mit einer Turbine oder einem Winkelstück unter Wasserkühlung präpariert wurden.

Die Turbine wurde mit 200.000 U/min betrieben, wobei die Wasserdurchflussrate 22 ml pro Minute betrug und der Luftdruck bei ungefähr 2,5 bar lag. Das Winkelstück wurde mit 60.000 U/min betrieben bei einer Wasserdurchflussrate von 60 ml pro Minute. 

Der Kofferdam macht einen Unterschied 

Künstlicher Speichel wurde aus sublingualer und parotidaler Richtung mit 1,5 ml pro Minute abgegeben, außerdem wurden alle „intraoralen“ Oberflächen des Phantomkopfs vor Beginn der Behandlung benetzt. Jener wurde mit hohen Konzentrationen von Pi6-Bakteriophagen versetzt (ungefähr 108 plaquebildende Einheiten pro Milliliter – dies entspricht der maximal gemessenen Speichelkonzentration von SARS-CoV-2). Strukturell ähnelt Pi6 dem SARS-CoV-2 Virus. Beide haben eine Lipidmembranhülle, eine doppelsträngige RNA sowie eine ähnliche Größe von 80 bis 100 nm.

Die Aerosol-produzierenden Prozeduren wurden jeweils dreimal wiederholt und hatten immer die gleichen zeitlichen Muster: zehn Minuten Set-up, insgesamt 20 Minuten Aerosol-produzierende Behandlung (fünf mal vier Minuten mit kurzen Pausen), 20 Minuten Ruhephase.

Der Zahnarzt und die Assistenz wechselten nach jedem Behandlungszyklus ihre gesamte Schutzausrüstung. Zur Messung der Aerosolentstehung wurden die Prozeduren zunächst ohne Absaugung und Kofferdam durchgeführt, danach fand eine Vergleichsmessung unter der Verwendung von Kofferdam sowie einer großvolumigen Absaugung statt.

Die Ausbreitung von Bioaerosolen wurde mit Agarplatten gemessen, die mit dem Pi6-Bakteriophagen-Wirt Pseudomonas syringae besiedelt waren. Diese wurden zu Beginn des oben beschriebenen Behandlungszyklus um den Patienten herum, auf dem Fußboden, auf Tischhöhe sowie in der Atemzone platziert und nach Beendigung der 20-minütigen Ruhephase versiegelt. Die Virenkonzentration in der Luft wurde durch aktive Luftprobenahme ermittelt und die Partikelgröße und -menge mit optischen Partikelzählern überwacht. 

Winkelstücke sind besser als die Turbine

Bei der Behandlung mit einer Turbine ohne die Verwendung von zusätzlichen Maßnahmen (Kofferdam, Absaugung) wurden in allen Proben Aerosolpartikel nachgewiesen. Die Bioaerosolkonzentration war beim Einsatz des Winkelstücks im Vergleich zur Luftturbine deutlich geringer. Die Verwendung einer großvolumigen Absaugung trug zur Verringerung von Bioaerosolen und Spritzern bei, wobei der Effekt durch die Verwendung eines Kofferdams immens verbessert wurde. 

Im Vergleich zur Turbine konnte bei Verwendung eines Winkelstücks sowohl mit zusätzlicher Absaugung und Kofferdam als auch ohne diese Maßnahmen die Konzentration der sich absetzenden Aerosole um 100 beziehungsweise 99,72 Prozent verringert werden. In den Luftproben konnte eine ähnliche Reduktion von 99,98 Prozent mit und 100 Prozent ohne zusätzliche Maßnahmen verzeichnet werden. Der Nachweis von Bakteriophagen konnte durch die Verwendung eines Winkelstücks anstelle einer Turbine um 100 Prozent reduziert werden.

Die Aerosolbelastung im Raum war stärker bei der Behandlung im Frontzahnbereich als im Seitenzahnbereich. Nach den Aerosol-produzierenden Prozeduren wurde die Zeit gemessen, in der die Partikelkonzentration wieder den Ausgangswert vor der Behandlung erreichte. Hier waren keine Unterschiede zwischen der Behandlung mit Turbine oder Winkelstück zu verzeichnen. Bemerkenswert ist, dass bei 22 Prozent der Behandlungen die Partikelkonzentrationen 25 Minuten nach Beendigung immer noch nicht die Baseline erreichten.

Erprobt wurde ein Worst-Case-Szenario für eine mögliche Verbreitung von SARS-CoV-2, bei dem die Bakteriophagen-Konzentration so hoch gewählt wurde, dass sie ungefähr dem dokumentierten Höchstwert der im Speichel ermittelten Viruslast von SARS-CoV-2 entspricht. Limitierend sei jedoch der Faktor, dass Sprechen und Husten des Patienten anhand des Phantomkopfs nicht imitiert werden können.

Dennoch weisen die vorliegenden Daten darauf hin, dass der Einsatz von Winkelstücken und die Zuhilfenahme einer hochvolumigen Absaugung sowie die Verwendung eines Kofferdams das Risiko einer viralen Aerosolisierung erheblich verringern können. Die Forschenden erwähnen zudem, dass die zusätzliche Verwendung einer Mundspüllösung kurz vor Behandlungsbeginn die Viruslast im Speichel weiter senken könnte. 

Sind Ruhezeiten wirklich so ein Thema?

Bisweilen diskutiert wird die Dauer etwaiger Ruhezeiten zwischen zahnärztlichen Behandlungen. „Wenn man die Partikel- und Bakteriophagen-Daten zusammen betrachtet, wird deutlich, dass die Partikeldaten allein nicht ausreichen, um das Risiko von Viruspartikeln in der Luft zu bestimmen. Hier gab es Fälle, in denen die Ausgangswerte für Partikel nach Aerosol-produzierenden Verfahren nicht erreicht wurden, aber keine aktiven Bakteriophagen in der Luft nachweisbar waren“, bilanzieren die Autoren.

Bei der Verwendung von Winkelstücken konnten in dieser Studie bereits nach sechs Minuten kein Bioaerosol mehr nachgewiesen werden. Weiterhin weisen die Autoren darauf hin, dass in den Versuchsräumlichkeiten eine Belüftungsanlage vorhanden war und sich eine schlechte Belüftung von Praxisräumen nachteilig auswirken könnte.

„Es ist unerlässlich, die mit zahnärztlichen Eingriffen verbundenen Risiken der Virusausbreitung und die Wirksamkeit der verfügbaren Vermeidungsstrategien zu verstehen”, sagte der Chefredakteur des Journal of Dental Research, Nicholas Jakubovics. „Die hier beschriebenen Daten vermitteln ein klares Bild davon, wie das Risiko von SARS-CoV-2 und ähnlichen biologischen Gefahren mithilfe von Risikominderungsstrategien [...] stark gemindert werden kann.”

Die Autoren machen auf Grundlage der erzielten Erkenntnisse darauf aufmerksam, dass Pandemie-bedingte Schließungen von Praxen aus wissenschaftlicher Sicht nicht notwendig sind. 

Vernon JJ, et al.: „Dental Mitigation Strategies to Reduce Aerosolization of SARS-CoV-2”. Journal of Dental Research. August 2021. doi:10.1177/00220345211032885

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.