Ein interdisziplinärer Fall

Penetrierende Schussverletzung am Hals durch Armbrustbolzen

Schussverletzungen am Hals werden meistens durch Feuerwaffen-Projektile verursacht – dass für eine Schussverletzung ein per Armbrust abgeschossener Bolzen verantwortlich ist, kommt selten vor. Der folgende Fallbericht schildert die interdisziplinäre Notfallversorgung einer Patientin, die von gleich zwei Armbrustbolzen getroffen wurde.

Eine 53-jährige Patientin wurde mit zwei, die zervikalen Weichteile vollständig penetrierenden Armbrustbolzen luftgebunden in den Schockraum der universitären Notaufnahme des Universitätsklinikums Freiburg eingeliefert. Die Frau war im privaten Umfeld mit einer Armbrust angegriffen worden.

Im Schockraum war die Patientin wach, zu allen Qualitäten orientiert und kardiorespiratorisch stabil. Das Sprechen war durch die Fixierung des Unterkiefers an die zervikalen Weichteile durch einen der beiden Bolzen eingeschränkt. Es bestand keine aktive Blutung.

Das Kopf/Hals-CT mit Kontrastmittel zeigte einen kranialen Bolzen mit Eintritt in die rechte Gl. parotidea, Penetration des rechten Ramus mandibulae und Austritt kaudal der linken Mandibula sowie einen kaudalen Bolzen mit Eintritt von anteromedial rechts auf Höhe des Larynx und Austritt im lateralen Halsdreieck links mit Kompression der linken V. jugularis externa. Zudem waren eine Kompression der V. jugularis interna links und ein Weichteilemphysem im Bereich des linken Larynx sichtbar (Abbildung 1). Radiologisch bestand kein Anhalt für eine Verletzung der Trachea oder für einen Pneumothorax. Die begleitende CT-Angiografie erbrachte keinen Hinweis auf größere traumatische Verletzungen der zervikalen Gefäße.

Nach der initialen Schockraumdiagnostik erfolgten in interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde mit Stand-by der Kolleginnen und Kollegen der Gefäßchirurgie die endotracheale, fiberoptische Intubation und die notfallmäßige operative Versorgung (Abbildung 2). Über einen zervikalen Zugang wurde zuerst der kaudale Bolzen vollständig dargestellt und entfernt, dabei eine Verletzung der Trachea ausgeschlossen. Nach Erweiterung der Schnittführung in Richtung des rechten Kieferwinkels wurde der kraniale Bolzen präpariert. Aufgrund einer Penetration der Gl. submandibularis rechts erfolgte die Entfernung der Drüse sowie eine Ligatur der rechten A. facialis und der rechten V. facialis. Eine Penetration der V. jugularis externa konnte dargestellt und das Gefäß ligiert werden. Nach vollständiger Darstellung und Entfernung des kranialen Bolzens wurde die Kieferwinkelfraktur rechts reponiert und mittels zwei 3-Loch-Platten osteosynthetisch versorgt. Nach mehrschichtigem Wundverschluss und Einbringen von Saugdrainagen erfolgte die Verlegung auf die anästhesiologische Intensivstation.

Bei Ausbleiben von Komplikationen wurde die Patientin am zweiten postoperativen Tag auf die Mund-/Kiefer-/Gesichtschirurgische Normalstation verlegt. Bei gutem Heilungsverlauf erfolgte am fünften postoperativen Tag die Entlassung. Bis auf leichte postoperative muskuläre Verspannungen im Operationsgebiet kam es zu keinen körperlich-funktionellen Einschränkungen.

Diskussion

Eine Armbrust ist eine Fernwaffe mit einem Bogensystem, aus dem Bolzen, Pfeile oder Kugeln abgeschossen werden können, indem ein Pistolen-ähnlicher Abzug betätigt wird. Hinsichtlich der Konfiguration der Armbrustbolzen wird zwischen Jagd- und Sport-Bolzen unterschieden. Während Jagdbolzen unterschiedlich konfigurierte, scharfe Breitkopfspitzen aufweisen, die eine letale Blutung beim getroffenen Wild hervorrufen sollen, haben Sportbolzen in der Regel konische Feldspitzen – wie auch im vorliegenden Fall. Der Schaft moderner Armbrustbolzen besteht aus gewichtsparenden Kohlefasern und/oder Kunststoffen (radioluzenter Schaft und radioopake, metallische Spitze im CT – Abbildung 1) [Nowicki et al., 2018; Suematsu et al., 2022].

Epidemiologie und Traumamechanismus

Schussverletzungen im Halsbereich wurden in der Literatur häufiger beschrieben, bisher jedoch lediglich fünf Fälle von penetrierenden Verletzungen im Halsbereich durch Armbrustbolzen [Suematsu et al., 2022]. Die Überlebensrate in diesen Kasuistiken lag bei 80 Prozent – trotz direktem Kontakt der Bolzen mit Halsgefäßen in fast allen Fällen. Die niedrige Letalität ist auf das typische Verletzungsmuster zurückzuführen. In der Regel erfolgen die Gewebeschäden durch eine direkte Gewebedurchdringung und durch Schnitte der konischen Bolzenspitze, die eine runde, glatt begrenzte Eintritts- und Austrittswunde hervorruft. Während der Penetration des Gewebes entsteht aufgrund der geringen kinetischen Energie – anders als bei Schusswunden zum Beispiel durch Pistolenprojektile – keine Kavitation im Schusskanal. Ausgeprägte Blutungen sind untypisch, da der Bolzen gegebenenfalls verletzte Gefäße komprimiert und eine Tamponade entsteht. Dieses Verletzungsmuster gilt nicht für Jagdbolzen mit scharfen Breitkopfspitzen, die invasivere Weichteilschäden und Blutungen verursachen können [Grellner et al., 2004; Karger et al., 1998; Suematsu et al., 2022].

Einteilung zervikaler Verletzungen

Die Einteilung von Verletzungen des Halses, die circa fünf bis zehn Prozent aller Traumafälle ausmachen und mit einer Letalität von bis zu zehn Prozent einhergehen, erfolgt anhand von anatomisch-topografischen Zonen (Zone I–III) [Nowicki et al., 2018; Ozturk et al., 2006; Steenburg et al., 2010]. Zone I erstreckt sich von der Clavicula bis zum Schildknorpel, Zone II vom Schildknorpel bis zum Unterkieferwinkel und Zone III vom Unterkieferwinkel bis zur Schädelbasis. Im vorliegenden Fall waren alle Zonen involviert. Die hohe Letalität penetrierender Halsverletzungen ist auf die Vielzahl von vital wichtigen anatomischen Strukturen, die verletzt werden können – etwa die Trachea, der Ösophagus oder die Aa. carotidea – zurückzuführen. Vor allem eine Verletzung der A. carotis geht mit einer Mortalitätsrate von bis zu 17 Prozent und einer Inzidenz von zerebralen Infarkten von bis zu 28 Prozent einher, lag jedoch im vorliegenden Fall nicht vor [Ramadan et al., 1995].

Therapie

Die operative Behandlung einer penetrierenden Halsverletzung durch einen Armbrustbolzen besteht aus der Sicherung der Atemwege sowie der Vermeidung größerer Blutungen. Essenziell ist, dass die Bolzen nicht ohne operative Darstellung des Schusskanals entfernt werden, da hierdurch eine gegebenenfalls bestehende Gefäßtamponade aufgehoben werden und eine unkontrollierbare Blutung auftreten kann [Lambert et al., 2020; Rao et al., 1983; Suematsu et al., 2022; Tisherman et al., 2008]. Im vorliegenden Fall wurde der Schusskanal der Bolzen über einen zervikalen Zugang zu den Halsweichteilen dargestellt. Die Entfernung der Bolzen erfolgte langsam, nach Darstellung der betroffenen Gefäße, so dass im Fall einer Blutung diese hätten unterbunden beziehungsweise rekonstruiert werden können. Während der Entfernung der Bolzen kann zusätzlich eine endovaskuläre Katheterisierung der betroffenen Gefäße mit intraoperativer Flouroskopie erwogen werden. Im Fall einer größeren unkontrollierbaren Blutung kann dadurch ein Gefäßverschluss erfolgen, zum Beispiel mittels Ballonkatheter oder Coils [Suematsu et al., 2022; Suzuki et al., 2021].

Fazit für die Praxis

  • Penetrierende Schussverletzungen am Hals durch Armbrustbolzen sind eindrücklich.

  • In Abhängigkeit von der Konfiguration der Bolzen und der betroffenen anatomischen Strukturen können diese Verletzungen jedoch aufgrund einer Tamponade der Halsweichteile durch die Bolzen selbst mit einer guten Prognose einhergehen.

  • Die Therapie sollte interdisziplinär erfolgen und besteht aus einer operativen Entfernung der Bolzen nach Darstellung des Schusskanals unter Sicherung der Atemwege und Blutungsvermeidung.

  • Ein unkontrolliertes Herausziehen der Bolzen kann zu letalen Blutungen führen und muss unterlassen werden.

Literaturliste

Grellner, W., Buhmann, D., Giese, A., Gehrke, G., Koops, E., & Püschel, K. (2004). Fatal and non-fatal injuries caused by crossbows. Forensic Science International, 142(1), 17-23. doi:10.1016/j.forsciint.2003.12.021

Karger, B., Sudhues, H., Kneubuehl, B. P., & Brinkmann, B. (1998). Experimental arrow wounds: ballistics and traumatology. Journal of Trauma, 45(3), 495-501. doi:10.1097/00005373-199809000-00011

Lambert, A. O., Utarnachitt, R. B., Beck, S. E., Bohlke, R. A., & Latimer, A. J. (2020). Difficult Intubation due to Penetrating Trauma from a Crossbow Bolt. Air Medical Journal, 39(4), 300-302. doi:10.1016/j.amj.2020.03.005

Nowicki, J. L., Stew, B., & Ooi, E. (2018). Penetrating neck injuries: a guide to evaluation and management. Annals of the Royal College of Surgeons of England, 100(1), 6-11. doi:10.1308/rcsann.2017.0191

Ozturk, K., Keles, B., Cenik, Z., & Yaman, H. (2006). Penetrating zone II neck injury by broken windshield. International Wound Journal, 3(1), 63-66. doi:10.1111/j.1742-4801.2006.00177.x

Ramadan, F., Rutledge, R., Oller, D., Howell, P., Baker, C., & Keagy, B. (1995). Carotid artery trauma: a review of contemporary trauma center experiences. Journal of Vascular Surgery, 21(1), 46-55; discussion 55-46. doi:10.1016/s0741-5214(95)70243-1

Rao, P. M., Bhatti, M. F., Gaudino, J., Ivatury, R. R., Agarwal, N., Nallathambi, M. N., & Stahl, W. M. (1983). Penetrating injuries of the neck: criteria for exploration. Journal of Trauma, 23(1), 47-49. doi:10.1097/00005373-198301000-00009

Steenburg, S. D., Sliker, C. W., Shanmuganathan, K., & Siegel, E. L. (2010). Imaging evaluation of penetrating neck injuries. Radiographics, 30(4), 869-886. doi:10.1148/rg.304105022

Suematsu, T., Murakami, T., Takamatsu, J., Shimizu, T., Toyota, S., & Taki, T. (2022). Crossbow Bolt Penetrating the Neck Removed with the Assistance of an Endovascular Approach: A Case Report and Literature Review. NMC Case Report Journal, 9(0), 157-163. doi:10.2176/jns-nmc.2022-0035

Suzuki, R., Takigawa, T., Matsumoto, Y., Fujii, Y., Nariai, Y., Sugiura, Y., . . . Suzuki, K. (2021). Target Coil Embolization Using the Combined Transarterial and Transvenous Balloon-assisted Technique for Traumatic Direct Carotid Cavernous Fistula. NMC Case Report Journal, 8(1), 13-19. doi:10.2176/nmccrj.cr.2020-0045

Tisherman, S. A., Bokhari, F., Collier, B., Cumming, J., Ebert, J., Holevar, M., . . . Rhee, P. (2008). Clinical practice guideline: penetrating zone II neck trauma. Journal of Trauma, 64(5), 1392-1405. doi:10.1097/TA.0b013e3181692116

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