Aus der Wissenschaft

Künstliche Intelligenz für das Parodontal-Screening 

Søren Jepsen
Die Diagnostik parodontaler Erkrankungen erfordert eine aufwendige klinische Untersuchung, die Software und Künstliche Intelligenz (KI) naturgemäß nicht übernehmen können. Eine Arbeitsgruppe in Shanghai um den Parodontologen Maurizio Tonetti hat nun mit alternativen Prädiktoren überraschend gute Ergebnisse beim Einsatz von KI in der Bestimmung des parodontalen Zustands erzielt. Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, könnte daraus ein wertvolles Screening-Instrument entstehen.

Parodontale Erkrankungen (Gingivitis und Parodontitis) sind die häufigsten nicht übertragbaren Krankheiten der Menschheit. Sie bleiben oftmals unentdeckt. Die Entwicklung eines präzisen Screening-Tools für den nicht-klinischen Einsatz ist unerlässlich, um Früherkennung und Versorgung zu verbessern – dabei könnte KI künftig möglicherweise helfen. Forschende haben in einer aktuellen Studie im Journal of Clinical Periodontology die Entwicklung eines auf maschinellem Lernen basierenden Multiklassen-Screening-Tools zur Bestimmung des parodontalen Zustands (Gesundheit, Gingivitis, verschiedene Stadien der Parodontitis) vorgestellt.

Das „Maschinelle Lernen“ ist ein Teilgebiet der KI und hat zum Ziel, dass ein Algorithmus aus Daten eine Funktion lernt, die anschließend auch für nicht gelernte Dateneingaben eine korrekte Ausgabe erzeugt. Damit der Algorithmus lernen kann, was „korrekt“ ist, werden beim überwachten Lernen in den verwendeten Daten korrekte Ausgabewerte zur Verfügung gestellt.

Parodontales Screening erfordert in der Regel die klinische Untersuchung eines Patienten durch trainiertes Fachpersonal. Damit ist die grobe Unterscheidung zwischen parodontal gesund und erkrankt relativ rasch möglich. Eine präzisere Erfassung des Patientenstatus mit einer Einteilung in Gesundheit, Gingivitis, Parodontitis im Stadium I, II, III oder IV erfordert hingegen eine umfassende Befunderhebung, die viel Training verlangt und mit deutlich mehr Zeitaufwand verbunden ist. Jene ist allerdings nicht nur für die Behandlungsplanung des individuellen Patienten erforderlich, sondern auch um die Krankheitslast in einer Bevölkerung(s-Gruppe) zu ermitteln und den daraus resultierenden Behandlungsbedarf abzuschätzen zu können.

Was aber, wenn keine zahnmedizinisch trainierten Untersucher und zahnärztliche Untersuchungseinrichtungen zur Verfügung stehen? Denn auch in einem medizinischen Setting ist das Fachpersonal (Mediziner, MFAs) nicht zu einem derartigen Screening in der Lage.

Material und Methode

An einer Stichprobe von 408 konsekutiven Probanden wurde eine diagnostische Querschnittsstudie durchgeführt, bei der drei nicht-klinische Indextests angewendet wurden, die unterschiedliche Merkmale des parodontalen Gesundheits-Krankheits-Spektrums abschätzten: ein validierter Fragebogen zur Patienten-Selbstauskunft (Q1–Q8), ein Point-of-Care-Test (POCT) zur Bestimmung aktivierter Matrix-Metalloproteinase-8 (aMMP-8) im Speichel und die Bestimmung von Zahnfleischblutungen beim Zähneputzen (GBoB).

Die vollumfängliche parodontale Untersuchung war der Referenzstandard. Die parodontale Diagnose wurde auf der Grundlage der Klassifikation der parodontalen Erkrankungen und Zustände von 2017 gestellt. Logistische Regressions- und Random-Forest(RF)-Analysen wurden durchgeführt, um verschiedene parodontale Diagnosen vorherzusagen, und die Genauigkeitsmaße wurden bewertet.

Ergebnisse

Die 408 Probanden in dieser Studie umfassten solche mit parodontaler Gesundheit (16,2 Prozent), mit Gingivitis (15,2 Prozent) und mit Parodontitis im Stadium I (15,9 Prozent), Stadium II (15,9 Prozent), Stadium III (29,7 Prozent) und Stadium IV (7,1 Prozent). Neun Prädiktoren, nämlich die vom Patienten selbst angegebene „Zahnfleischerkrankung“ (Q1), „Bewertung der Zahnfleisch-/Zahngesundheit“ (Q2), „Zahnreinigung“ (Q3a), „lockere Zähne“ (Q4), „Verwendung von Zahnseide“ (Q7), sowie aMMP-8 POCT, GBoB, Hämoglobin und Alter führten zu einer hohen Genauigkeit des RF-Klassifikators. Eine hohe Genauigkeit (Fläche unter der ROC-Kurve > 0,94) wurde für die Unterscheidung von drei (Gesundheit, Gingivitis und Parodontitis) und sechs Klassen (Gesundheit, Gingivitis, Parodontitis der Stadien I, II, III und IV) beobachtet. Konfusionsmatrizes zeigten, dass die Fehlklassifizierung eines Parodontitis-Falls als Gesundheit oder Gingivitis weniger als zwei Prozent betrug.

Die Autoren folgerten, dass auf maschinellem Lernen basierende Klassifikatoren wie RF-Analysen vielversprechende Werkzeuge für die Multiklassen-Bewertung von parodontaler Gesundheit und Erkrankung in einem nicht-klinischen Setting seien. Die Ergebnisse müssen nun extern in entsprechend dimensionierten, unabhängigen Stichproben/Populationen validiert werden.

Bedeutung für die Praxis

Die Ergebnisse dieser Studie haben zunächst keine unmittelbare Relevanz für die Praxis. Im Ausblick zeigen sie aber bereits heute die Möglichkeiten für die Anwendung von KI in der Parodontologie. Das entwickelte maschinelle Lernmodell, das auf dem Alter, Angaben des Patienten, Zahnfleischblutungen beim Zähneputzen und Biomarkern im Speichel basiert, ergab eine zufriedenstellende Genauigkeit bei der Unterscheidung von Parodontalgesundheit, Gingivitis und verschiedenen Stadien der Parodontitis und kann sich in der Zukunft – sobald es in mehreren unabhängigen Populationen validiert worden ist – als ein wertvolles Instrument für das Parodontitis-Screening auf Populationsebene erweisen, ohne dass eine aufwendige klinische Untersuchung erforderlich ist.

Die Studie:
Deng, K., Zonta, F., Yang, H., Pelekos, G., & Tonetti, M. S. (2023). Development of a machine learning multiclass screening tool for periodontal health status based on non-clinical parameters and salivary biomarkers. Journal of Clinical Periodontology, 1–14. https://doi.org/10.1111/jcpe.13856

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Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Søren Jepsen

Direktor der Poliklinik für
Parodontologie, Zahnerhaltung und
Präventive Zahnheilkunde,
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kiefer-
heilkunde, Universitätsklinikum Bonn
Welschnonnenstr. 17, 53111 Bonn

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