Walter Rank (1901–1978): „Staatsfeind“ in der NS-Zeit – aber kein „Opfer des Faschismus“?
Friedrich Walter Rank – Rufname Walter – wurde am 26. Juli 1901 in Zwickau in Sachsen geboren. Er war der Sohn von Traugott Eduard Walther Rank und Anna Katharina Rank, geb. Goldbach. Walter Rank wuchs in einem behüteten, bürgerlichen Umfeld auf: Der Vater wurde am 31. Mai 1874 in Plauen bei Dresden geboren und hatte den Beruf des Apothekers erlernt, die Mutter kam fünf Jahre später, am 24. Februar 1879, in Zwickau zur Welt. Beide Elternteile waren evangelisch. Das Ehepaar Rank heiratete am 3. Juli 1900 in Zwickau. Nur ein Jahr später kam Walter Rank zur Welt und wurde wie die Eltern protestantisch getauft [Stadtarchiv Chemnitz; Heidel, 2005; Rank, 1933; Walter Rank, 1901].
Die Familie zog am 14. Juli 1920 von Zwickau nach Chemnitz um und bezog dort eine Wohnung in der ersten Etage des Hauses Schillerstraße 7, in deren Erdgeschoss sich die Apotheke des Vaters befand. Seit dem 15. September 1920 war Traugott Eduard Walther Rank als Inhaber dieser Apotheke im Handelsregister eingetragen. Er gehörte in Chemnitz bald zu den Honoratioren. Bis zum 29. November 1943 führte er die Apotheke persönlich, danach verpachtete er sie. Doch das Pachtverhältnis endete am 27. Dezember 1946 – der Pächter hatte den Vertrag aufgekündigt. So übernahm Traugott Eduard Walther Rank wieder die Leitung der Apotheke, die er bis zu seinem Tod am 12. März 1959 weiterführte [Stadtarchiv Chemnitz, 2023]. Sie trug bis 1953 den Namen „Schiller-Apotheke“ nach der Schillerstraße und wurde danach in eine der in der DDR weit verbreiteten Poliklinik-Apotheken umgewandelt [Stadtarchiv Chemnitz; Heidel, 2005].
Friedrich Walter Rank besuchte ab Ostern 1908 zunächst die höhere Knabenschule in Zwickau und nachfolgend das humanistische Gymnasium in Zwickau, in Chemnitz und zuletzt in Schneeberg. Dort legte er im März 1921 die Reifeprüfung ab [Rank, 1933]. Er lebte bis zu seinem 25. Lebensjahr in Chemnitz und zog dann – am 17. März 1926 – nach Berlin, wo er privat und beruflich einen neuen Lebensabschnitt begann. So ging er am 1. Oktober 1927 in Berlin die Ehe mit Maria Elise Charlotte, geb. Heine (1904) ein. Heine war in Flemmingen (Hartha) im Landkreis Mittelsachsen geboren. Das Paar lebte gemeinsam in Berlin-Südende in der Mittelstraße 12 [Heiratsregister F. W. Rank, 1927]. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Rank zwischen 1926 und 1929 nochmals zeitweise in Chemnitz aufhielt, da keine Meldeunterlagen aus dieser Zeit überliefert sind [Stadtarchiv Chemnitz].
Vom Film zur Zahnmedizin
In jedem Fall hatte er jedoch in den nachfolgenden Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Berlin. Rank war dort zunächst als Kaufmann und zeitweise als „Filmaufnahmeoperateur“ (heute: Kameramann) tätig [Heiratsregister F. W. Rank, 1927], fasste jedoch Ende der 1920er-Jahre den Entschluss, sich beruflich umzuorientieren: Im Mai 1929 nahm er an der Universität Berlin das Studium der Zahnheilkunde auf und im Oktober 1930 bestand er dort das zahnärztliche Vorexamen (Physikum). Er verblieb noch bis Oktober 1931 in Berlin und wechselte dann an die Universität Kiel, wo er im November 1932 die zahnärztliche Prüfung absolvierte [Stadtarchiv Chemnitz, 2023]. Am 1. Dezember 1932 erlangte er dann die zahnärztliche Approbation, die ihn zur Ausübung des Zahnarztberufs berechtigte [Rank, 1933].
Rank verblieb bis April 1933 in Kiel und kehrte dann nach Chemnitz zurück. Dort eröffnete er eine eigene Zahnarztpraxis – just in der ersten Etage des Gebäudes in der Schillerstraße 7 in Chemnitz, in der sich die Apotheke des Vaters befand [Heidel, 2005; Stadtarchiv Chemnitz]. Doch noch fehlte ihm die Promotion, die in jener Zeit unter den Zahnärzten nahezu obligat war, weil der Doktortitel als wesentliches äußeres Merkmal galt, um sich von den konkurrierenden nicht-akademischen Dentisten abzugrenzen [Groß, 2019; Groß, 2023a].
Der Praxiseröffnung folgte die (damals obligate) Promotion
Am 19. November 1933 war es soweit: Rank erlangte an der Universität Kiel die zahnmedizinische Doktorwürde mit der 20-seitigen Dissertation „Über einen Fall von Neurolysis plexus brachialis sinistri“ [Stadtarchiv Chemnitz, 2023]. Als Doktorvater fungierte der dortige außerordentliche Professor für Chirurgie Rudolf Göbell (1873–1939), als Korreferent der Ordinarius für Chirurgie Geheimrat Wilhelm Anschütz (1870–1954) [Rank, 1933].
Rank verblieb nur kurze Zeit im elterlichen Haus in der Schillerstraße. Noch im selben Jahr verlegte er seine Praxis in die Hainstraße 49 in Chemnitz [Heidel, 2005], die kurze Zeit später in „Straße der SA“ umbenannt wurde und erst 1945 wieder ihren alten Namen erhielt [DZB, 1935, 1938 und 1941; Chemnitzer Adreßbuch, 1942]. Es folgte eine Phase der erzwungenen Berufsaufgabe, auf die später zurückzukommen sein wird. Erst im Jahr 1943 konnte er wieder zahnärztlich tätig werden. Er war nun als Assistent bei dem Zahnarzt Hans Fährmann angestellt; dessen Praxis befand sich im Grenzgraben 35 in Chemnitz [DZB, 1941; Heidel, 2005]. Die Nachkriegszeit brachte weitere Veränderungen mit sich: So war Rank 1945/1946 in der Walter-Oertel-Straße 60 in Chemnitz nachweislich ansässig. Ab Oktober 1947 war er schließlich in der Rudolf-Harlaß-Straße ansässig – weiterhin in Chemnitz, das 1953 in „Karl-Marx-Stadt“ umbenannt wurde; die Rudolf-Harlaß-Straße sollte seine letzte Wohnadresse bleiben [DZA, 1951; Stadtarchiv Chemnitz; Heidel, 2005].
Auch privat war Ranks Leben weiterhin von Brüchen und Veränderungen geprägt. Nachdem seine erste Ehe auseinandergegangen war, schloss er mit Ilonka Maier, geboren 1917, einen zweiten Bund fürs Leben. Doch auch diese Beziehung hatte keinen Bestand. Nach der Scheidung ging er 1967 in Grüna eine dritte und letzte Ehe ein. Rank verstarb elf Jahre später, am 28. März 1978 in seiner Heimatstadt Chemnitz [Stadtarchiv Chemnitz].
Wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“ verhaftet
Doch wie verlief Ranks Leben in der Zeit des Nationalsozialismus? Wie ist die Aufgabe seiner eigenen Praxis begründet und wie verlief die Zeit ohne Berufsausübung? Bis heute ist sein Lebenslauf in der Zeit des „Dritten Reiches“ aufgrund einer ungünstigen Quellenlage nur in Teilen rekonstruiert. Fest steht jedoch, dass auch Rank – wie die zuvor in dieser Reihe behandelten Zahnärzte – im „Dritten Reich“ als Gegner des NS-Regimes angesehen wurde und erhebliche Repressionen erlitt. Vor allem in den Jahren 1939 bis 1945 war sein Leben von Verhaftungen, Anklagen, Gefängnisaufenthalten und Erkrankungen geprägt [Stadtarchiv Chemnitz; Heidel, 2005].
Am 7. Dezember 1939 wurde er nach einer Denunziation in Gewahrsam genommen – ein schicksalhafter Tag, der eine Kette von widrigen Ereignissen in Gang setzte. Der Verhaftung folgte ein Gerichtsverfahren mit dem zentralen Anklagepunkt der „staatsfeindlichen Äußerungen“. Offenbar hatte er in der Öffentlichkeit kritische Aussagen zum Nationalsozialismus oder dessen Repräsentanten getätigt – die genauen Geschehnisse liegen im Dunkeln. Fünf Monate später – am 21. Mai 1940 – legte das Sondergericht beim Landgericht Dresden das Strafmaß fest: Friedrich Walter Rank wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Seine Haftstrafe saß er in verschiedenen Gefängnissen ab, darunter Chemnitz, Dresden und Bautzen. Im März 1943 wurde er wieder entlassen.
Entrechtung und Entzug der Promotion
Doch Rank musste nicht nur jene Gefängnisstrafe hinnehmen, auch in beruflicher Hinsicht sah er sich einer weitgehenden Entrechtung ausgesetzt: Im September 1940 wurde ihm der Doktortitel entzogen. Hierzu hieß es lapidar: „Entziehung der Promotion durch die Kommission der Universität Kiel vom 23.09.1940 mit der Begründung ‚Verurteilung wegen Heimtücke‘“ [Universitätsarchiv Erlangen; Wäldner, 2023]. Eine weitere Repression des Regimes erfuhr er am 26. Oktober 1940: An jenem Tag wurde Walter Rank seitens der Disziplinarkammer Chemnitz dauerhaft die Mitgliedschaft in der „Deutschen Zahnärzteschaft e. V.“ entzogen, womit er auch das Recht einbüßte, eine Praxis zu führen [Heidel, 2005].
So verdingte sich Walter Rank nach seiner Freilassung 1943 als Assistent des Zahnarztes Hans Fährmann, der in Chemnitz-Bernsdorf im Grenzgraben 35 eine Praxis führte [DZB, 1941; Heidel, 2005]. Der 1894 geborene und 1921 approbierte Zahnarzt hatte offenbar Mitleid mit Rank, denn es war gerade im „Dritten Reich“ nicht selbstverständlich, einen wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“ und „Heimtücke“ verurteilten Kollegen anzustellen.
Als er erneut denunziert wird, versteckt er sich
Doch Rank geriet bald wieder ins Visier der des Regimes: Eine weitere Denunziation wegen politischer Äußerungen führte im Jahr 1944 zu seiner erneuten Verhaftung, nach der er für „wehrunwürdig“ erklärt wurde. Er hatte sich in der Zwischenzeit eine schwere Lungenentzündung zugezogen, weshalb er diesmal einem Strafverfahren entging, allerdings sollte er zu einem Strafbataillon nach Straßburg geschickt werden. Rank entzog sich dieser Strafmaßnahme, indem er bis Kriegsende untertauchte [Stadtarchiv Chemnitz; Heidel, 2005].
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 schien Ranks Zeit gekommen. Bis Anfang 1946 war er in leitender Funktion im städtischen Gesundheitsamt Chemnitz tätig, das nun zur Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gehörte. Diese herausgehobene Position ermöglichte es ihm, zur Wiederherstellung und Organisation der medizinischen Versorgung der Stadt beizutragen. Doch er wurde noch vor März 1946 entlassen. Anschließend arbeitete er in der Poliklinik der sowjetischen Kommandantur Chemnitz; jene Poliklinik verfügte über eine Stomatologische Abteilung, in der Rank fortan zahnärztlich tätig war. Im April 1947 stellte Walter Rank einen Antrag auf Anerkennung als „Opfer des Faschismus“. Dieser wurde jedoch „aufgrund des moralischen Verhaltens in früheren Zeiten“ abgelehnt; so wurde Rank ein wichtiges Zeichen der Wiedergutmachung verwehrt [Stadtarchiv Chemnitz; Heidel, 2005].
Bei Rank finden sich somit Parallelen zu den in dieser Reihe vorgestellten Zahnärzten Rudolf Glass (1890–1966) und Paul Rentsch (1898–1943): Glass galt sowohl im „Dritten Reich“ als auch zuletzt in der DDR als politisch unliebsam [Groß, 2023d]. Ähnliches lässt sich für die Widerstandsgruppe „Europäische Union“ sagen, der Rentsch in der NS-Zeit angehört hatte. Auch diese antinationalistische Gruppierung geriet in der DDR in Misskredit, und in der Folge wurden auch ihre wichtigsten Repräsentanten – darunter Rentsch – weitgehend tabuisiert [Wellens/Groß, 2023]. Doch auch die kürzlich behandelten Regimegegner Hellmuth Elbrechter (1895–1971) und Emanuel Berghoff (1896–1974) fanden in der späteren Bundesrepublik beziehungsweise in Österreich nach 1945 nicht die Anerkennung, die sie erstrebten und die ihnen aus heutiger Perspektive zugestanden hätte [Groß, 2023b und 2023c; Groß, 2024].
Ellbrechter, Berghoff, Glass und eben Rank – sie alle führten auch in der Nachkriegszeit ein Leben, das von privaten Brüchen, rechtlichen Auseinandersetzungen, beruflicher Neuorientierung und/oder mangelnder sozialer Reintegration geprägt war.
Literaturliste
Chemnitzer Adreßbuch (1942): Chemnitzer Adreßbuch 1942, Chemnitz 1942, Teil II, 387
DZB (1935): Deutsches Zahnärzte-Buch, Berlin 1935, Teil C, 351
DZB (1938): Deutsches Zahnärzte-Buch, Berlin 1935, Teil C, 376
DZB (1941): Deutsches Zahnärzte-Buch, Berlin 1935, Teil C, 362
DZA (1951): Deutsches Zahnärztliches Adreßbuch, Berlin 1951, 329
Groß (2019): Dominik Groß, Die Geschichte des Zahnarztberufs in Deutschland. Einflussfaktoren – Begleitumstände – Aktuelle Entwicklungen, Berlin 2019, 10, 1765.
Groß (2023a): Dominik Groß. Curriculum Ethik und Geschichte der Zahnheilkunde unter Einbezug der Medizin, Berlin 2023, 336.
Groß (2023b): Dominik Groß, Hellmuth Elbrechter (1895–1971) – Hitler-Gegner und einflussreicher Politikberater, Zahnärztliche Mitteilungen 113/23-24 (2023), 2136-2140
Wellens/Groß (2023): Sarah Wellens, Dominik Groß, Paul Rentsch (1898–1944) – Dentist und Mitglied der Gruppe „Europäische Union“, Zahnärztliche Mitteilungen 113/21 (2023), 1906-1909
Groß (2023c): Dominik Groß, Emanuel Berghoff (1896–1974) – Medizinhistoriker und Widerstandskämpfer in der kommunistischen „Volksbefreiungarmee“, Zahnärztliche Mitteilungen 114/1-2 (2023), 54-59
Groß (2023d): Dominik Groß, Rudolf Glass (1890–1966) – „Staatsfeind“ im „Dritten Reich“ und in der DDR, Zahnärztliche Mitteilungen 114/3 (2024), 164-167
Groß (2024): Dominik Groß, Lexikon der Zahnärzte und Kieferchirurgen im „DrittenReich“ und im Nachkriegsdeutschland. Band 3.1, Berlin 2024
Heidel (2005): Caris-Petra Heidel, „Ärzte und Zahnärzte in Sachsen 1933-1945 Eine Dokumentation von Verfolgung, Vertreibung, Ermordung“, Frankfurt a. M. 2005, 298
Heiratsregister F. W. Rank (1927): Sammlung Web: Berlin, Deutschland, Heiratsregister, 1874-1936, (Friedrich Walter Rank), online bei Ancestry, www.ancestry.de/discoveryui-content/view/279686198:2957 [01.01.2024]
Rank (1933): Walter Rank, Über einen Fall von Neurolysis plexus brachialis sinistri, Diss. Med. Fak. Berlin 1933
Stadtarchiv Chemnitz: SStAC, RdB 30413, VdN 02484 sowie diverse Auskünfte via Email (Korrespondenz vom 6.7. und 7.8.2023)
Universitätsarchiv Erlangen: UAE, A1/3a Nr. 950, Nr. 127, Schreiben der Universität Kiel vom 21.12.1940
Wäldner (2023): persönliche Auskunft von Alexander Wäldner (Hannover)
Walter Rank (1901): FamilySearch Stammbaum (Walter Rank), online bei MyHeritage, www.myheritage.de/research/collection-10789/judische-holocaust-gedenkstatten-und-judische-einwohner-deutschlands-1939-1945