So nehmen Sie Ihr Team mit

Die Psychologie des PVS-Wechsels

Mit dem Praxisverwaltungssystem (PVS) steht und fällt die Arbeit in der Zahnarztpraxis. In der Regel arbeiten alle im Team mit der Software, entsprechend groß ist die Herausforderung, das PVS zu wechseln. Damit das gelingt, müssen alle im Team mitziehen. Unter Umständen sind dabei Widerstände und Ängste zu überwinden. Wie Niedergelassene das Projekt am besten angehen können – und welche Erfahrungen andere Praxen dabei gemacht haben.

Für die meisten Menschen ist es unangenehm, sich auf etwas komplett Neues einzulassen. Der Bereich Computer und Software ist dafür ein Paradebeispiel. Aus meiner Erfahrung muss es richtig weh tun, bis eine Praxis ihr PVS wechselt“, sagt Nicole Elias. Sie arbeitet seit über zehn Jahren als IT-Beraterin bei der KV Nordrhein und gibt regelmäßig Workshops zum PVS-Wechsel. In den Kursen geht es auch um psychologische Hürden. Elias: „Wenn man schon lange mit einem bestimmten System arbeitet, kann man es blind bedienen und kennt alle wichtigen Servicenummern. Und selbst, wenn man nicht hundertprozentig zufrieden mit der Software ist, treibt viele beim Gedanken an einen Wechsel die Sorge um, dass es hinterher nicht besser wird.“

Es tut meist richtig weh, bis eine Praxis wechselt

Die Fachinformatikerin schätzt, dass beim PVS-Wechsel ein Großteil der Praxisinhaberinnen und -inhaber zögern, weil sie die Angst haben, dass ihre Angestellten nicht mitmachen. Diese Angst hält die IT-Expertin nicht für unbegründet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien daran interessiert, ihre Aufgaben zügig zu erledigen. „Ein neues PVS bedeutet aber neue Abläufe, und das heißt: Man ist erst einmal langsamer. Dann kommt schnell die Sorge auf, dass man sein Arbeitspensum nicht schafft“, erklärt sie. Viele Praxen arbeiteten seit Jahrzehnten mit einer Software, viele nutzten das PVS auch nur für die Abrechnung und gar nicht für andere administrative Prozesse. „Und wenn dann plötzlich stärker digitalisiert wird – das ist ja häufig nach einer Praxisübernahme der Fall – kann das bei einer nicht IT-affinen Person starke Ängste auslösen.“

So öffnen wir uns für Neues

Beim Gedanken an Veränderung macht sich in uns oft ein ungutes Gefühl breit. Antworten auf die Frage, warum das so ist, liefert die Neuropsychologie. „Unser Gehirn funktioniert grundsätzlich auf dem Prinzip der Vorhersage. Erleben wir Bekanntes, stimmt die Realität mit der Vorhersage überein. Wahrnehmung und Verhalten können energiesparend verarbeitet werden – wir fühlen uns gut“, erklärt Psychologin Dr. Friederike S. Bornträger. „Wenn nun aber etwas Neues passiert, muss neu evaluiert und gesteuert werden, mehr Energie wird verstoffwechselt. Als Resultat wird das Gefühl nun unangenehmer.“ Im Interviewerklärt Sie, welche Tipps die Psychologie anbietet, um Veränderung zu verstehen und als Team zu meistern.

Ohne richtige Vorbereitung kann bei einem Umstieg einiges schief gehen. Damit Angestellte sich nicht überfordert fühlen oder gar kündigen, empfiehlt Dr. Markus Heckner das Team immer frühzeitig in den Prozess einzubinden. Der Zahnarzt und Medizininformatiker arbeitet bei dem auf Zahnarztpraxen spezialisierten PVS-Hersteller DENS und begleitet seit über 20 Jahren Praxen beim Umstieg. „Ich habe einmal erlebt, dass Zahnärzte fünf Jahre mit dem Produktwechsel gewartet haben, weil eine ihrer Mitarbeiterinnen sonst eventuell früher in Rente gegangen wäre. Sie war gut in ihrem Job und beliebt bei den Patienten, man wollte sie unbedingt halten.“

Schlechte Stimmung aufgrund fehlender Kommunikation

In einem anderen Fall hatte ein Zahnarzt seinem Team den PVS-­Wechsel verordnet, ohne den Plan vorher anzukündigen oder zu besprechen. Seine Mitarbeiterinnen hätten sich überrumpelt gefühlt, erinnert sich Heckner. Der Alleingang des Chefs blieb nicht ohne Folgen: „Bei der Einführungsschulung waren zwei der Mitarbeiterinnen nicht da und die anderen haben gemauert. Der Praxischef hat den Wechsel dann erst um ein Quartal verschoben und dann noch um ein weiteres.“

So gelingt die Umstellung

Sowohl Elias als auch Heckner betonen, dass im Zentrum eines erfolgreichen PVS-Wechsels eine gute Vorbereitung und eine offene Kommunikation stehen. Für Praxisbetreiberinnen und -betreiber haben sie folgende Tipps:

Recherche ist die halbe Miete: Drei bis sechs Monate vor dem Wechsel sollte man anfangen, sich verschiedene PVS anzuschauen. Dafür sollten Praxischefinnen und -chefs zunächst für sich die Frage klären, welche Funktionen ihnen wichtig sind und welche Abläufe sie optimieren wollen.

Im Kollegenkreis nachfragen: Ehrliches Feedback über die Qualität eines PVS erhält man von anderen Niedergelassenen. Auch Teammitglieder, die vorher in anderen Praxen gearbeitet haben, kennen unter Umständen gute Programme. Ganz wichtig ist es zu fragen, wie gut die Hotlines und Servicepartner eines Anbieters sind.

Wünsche des Teams beachten: Alle sollten sagen können, welche Funktionen sie sich wünschen. Bedenken sollte man sich auf jeden Fall anhören. Wenn sie begründet sind – zum Beispiel die Sorge einer Mitarbeiterin, dass sie bei der aktuellen Arbeitslast keine Kapazitäten für Veränderungen hat – sollte man diese Ernst nehmen und nach Möglichkeit während der Arbeitszeit Freiräume zum Lernen schaffen.

Zwischen den Zeilen lesen: Manchmal kommt aus dem Team das Gegenargument, dass ein neues Programm viel zu teuer ist. Das kann daran liegen, dass sich ein Mitarbeiter zum Beispiel ein neues Prophylaxegerät wünscht. Dann ist es hilfreich zu erklären, dass durch ein effizienteres PVS der Umsatz steigen wird – und damit der Spielraum für Anschaffungen. Eine andere Sorge betrifft das Thema Auswertung. Viele befürchten, dass ein neues PVS zeigt, wer wie viel Umsatz macht. Hier hilft die Rückversicherung, dass solche Daten vertraulich bleiben.

Eine Vorauswahl treffen: Auf Basis der Wünsche sollten maximal drei Systeme in die engere Auswahl kommen. Diese sollten Niedergelassene selbst festlegen. Im Anschluss kann man mit dem Team erneut Online-Präsentationen anschauen und Demoversionen der Programme zum Ausprobieren ins Team geben oder sie sich auf einer Messe anschauen.

Nicht alles in großer Runde diskutieren: Reden ist wichtig, aber damit man weiterkommt, müssen die Diskussionen zielführend sein. Es ist sinnvoll, ein konkretes Datum zu nennen, bis zu dem alle ihr Feedback zu den zur Auswahl stehenden PVS gegeben haben. Das schriftlich zu sammeln, bietet den Vorteil, dass Chefinnen und Chefs vorab eine Struktur für die Diskussion festlegen können.

Entscheidung treffen: Idealerweise geht aus dem Feedback aus dem Team ein Favorit hervor, mit dem alle zufrieden sind oder auf den sich zumindest alle einlassen wollen. Die Entscheidung trifft dann letztendlich der oder die Niedergelassene.

Rechtzeitig schulen: Sobald das PVS feststeht, sollte man mit den Schulungen beginnen. Für ein gutes Gefühl im Team sorgt, wenn es in den ersten Tagen der Umstellung eine Vor-Ort-Betreuung durch den PVS-Hersteller gibt oder wenn man mit ihm beim ersten Mal gemeinsam zentrale Arbeiten wie die Abrechnung macht.

Den richtigen Zeitpunkt wählen: Auf keinen Fall sollte man das PVS umstellen, wenn zeitintensive Aufgaben wie die Abrechnung anstehen. Vielleicht gibt es einen bestimmten Monat, in dem es meist etwas ruhiger zugeht in der Praxis. Idealerweise bleibt die Praxis einige Tage geschlossen, wenn das neue PVS kommt.

Realistisch sein: Ohne Holpern wird die Umstellung nicht über die Bühne gehen. Chefinnen und Chefs sollten ihr Team darauf einstellen, dass es etwas Zeit und Übung braucht, bis alles rund läuft.

Fragen zulassen: Ängste und Widerwillen beseitigt man, indem man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigt, Fragen zum neuen Programm zu stellen – und auch Verständnis dafür hat, wenn ihnen mal der Kragen platzt.

Der wichtigste Tipp, um die Psychologie des PVS-Wechsels zu meistern, ist aus Sicht von IT-Beraterin Nicole Elias: Unterstützung anbieten. „Es ist sinnvoll, aktiv zu fragen, wer Probleme hat. Diesen Personen kann man dann eventuell noch einmal eine gezielte Schulung für ihre Arbeitsbereiche buchen oder ihnen eine IT-affine Kollegin zur Seite stellen."

„Wir haben niemanden ins kalte Wasser geworfen“

Dr. Melike und Dr. David Bergfort von der Zahnarztpraxis B-KÖ Smiles, Düsseldorf, 9 Mitarbeitende

Für uns war das Thema PVS riesig, weil wir bis Anfang 2020 mit Karteikarten gearbeitet haben. Die Bedenken unserer Mitarbeiterinnen, die teilweise über Jahrzehnte mit diesem analogen System hantiert hatten, waren groß. Leider war es dann so, dass das PVS, für das wir uns entschieden hatten, nicht gut funktionierte. Nach monatelangen Problemen haben wir dann nochmal gewechselt. Die Skepsis im Team war nach der ersten Erfahrung natürlich enorm. Wir haben darüber im Team offen gesprochen und dabei als Inhaber der Praxis ganz klar den Standpunkt vertreten: Das PVS wird uns allen die Arbeit erleichtern. Die Wünsche unserer Mitarbeiterinnen haben wir in die Auswahl des PVS miteinbezogen, die Entscheidung haben dann aber mein Mann und ich zu zweit getroffen.

Zusammen mit unseren drei Verwaltungsmitarbeiterinnen haben wir uns auf das PVS schulen lassen und dann den Rest des Teams selbst geschult. Wir haben ein langsames Tempo vorgegeben und niemanden ins kalte Wasser geworfen. Auch jetzt lernen einige noch und machen sich etwa, wenn ich diktiere, lieber schriftlich Notizen, die sie dann später ins System übertragen. Das ist okay für mich. Jeder lernt in seinem Tempo und strenge Anforderungen durchzuboxen, halte ich für kontraproduktiv.

Ein Tipp, den ich Kolleginnen und Kollegen geben würde, ist: Wenn der PVS-Hersteller eine unlimitierte Anzahl von Lizenzen gewährt, ist das von Vorteil. Wir konnten so an vielen Stellen in der Praxis, auch im Sozialraum, Computer aufstellen, an denen alle in Ruhe üben können.

„Die Stimmung im Team muss gut sein“

Zahnarztpraxis Hugo Teister, Gießen, 16 Mitarbeitende

Unser PVS-Wechsel vor zwei Jahren war nicht von langer Hand geplant. Er kam ziemlich plötzlich, weil der damalige Anbieter für ein neues Tool, das wir für das Röntgen benötigten, einen sehr hohen Preis aufrief. Da wir mit der Funktionalität und vor allem dem Service des PVS ohnehin unzufrieden waren, entschied ich mich für den Wechsel. Als ich das im Team ankündigte, hielt sich die Begeisterung sehr in Grenzen. Aber ich habe ein sehr offenes Verhältnis zu meinen Angestellten und halte es aus, wenn gemeckert wird. Mit dem Argument, dass doch eigentlich alle unzufrieden mit dem aktuellen PVS sind, habe ich sie überzeugen können. Wir haben vor dem Wechsel Online-Schulungen gemacht. Als die Umstellung war, habe ich die Praxis zwei Tage geschlossen und wir wurden vor Ort von einer Expertin geschult. Rückblickend muss ich sagen, es war schon ein Sprung ins Ungewisse. Aber ich habe ein taffes Team. Wir halten bei solchen Sachen fest zusammen und versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen. Es hilft, einfach zu akzeptieren, dass es an manchen Tagen besser und an manchen schlechter läuft. Nach circa einem Monat lief dann auch alles soweit stabil und die Zufriedenheit kam durch. Meine Tipps für Kolleginnen und Kollegen, die wechseln wollen: Sich mehr Zeit zu nehmen, ist sicher gut. Wichtig ist auch nachzuforschen, ob der Hersteller guten Support anbietet und wie langlebig dessen Tools sind. Wenn sich ständig etwas verändert, bringt das Schulungsaufwand mit sich. Davon ist ein Team irgendwann zu Recht genervt. Ganz wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass die Stimmung im Team gut ist und dass man neben dem Projekt PVS-Wechsel nicht gleichzeitig andere Großprojekte beginnt.

Auch Markus Heckner betont, dass es wichtig ist, nicht zu schnell die Geduld zu verlieren. „Im Lernen sind die Menschen eben unterschiedlich schnell. Wer dafür kritisiert wird, blockiert – davon hat keiner was“, so der Digitalisierungsexperte. „Manchmal gibt es eine Person im Team, das dem alten Programm noch etwas nachtrauert. Sie sollte mehr Zeit bekommen, um mit dem neuen PVS warm zu werden. Bis es soweit ist, sollten Chefinnen und Chefs klar signalisieren: 'Es ist eine Umstellung für uns alle, aber ich bin an deiner Seite. Ich helfe dir.'“

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