LAGH-Stellungnahme zu Fruchtsaugern

Kauen statt Nuckeln!

Sabine M. Reichhold
,
Andrea Thumeyer
Immer häufiger wird der Einsatz von sogenannten Fruchtsaugern für Säuglinge und Kleinkinder diskutiert – und stellenweise auch empfohlen. Im Handel gibt es dafür vielfältige Angebote. Verlässliche Untersuchungen über deren Einsatz liegen nach aktuellem Stand allerdings noch nicht vor. Im Folgenden wird die Nutzung von Fruchtsaugern aus Sicht der Mundgesundheitsförderung eingeschätzt und geprüft, ob jener in das Konzept „Fünf Sterne für gesunde Zähne“ passt.

Bei Fruchtsaugern handelt es sich um in der Regel an Beißringe oder einen ergonomischen Griff angebrachte Behältnisse aus Netz oder mit Löchern versehenem Kunststoff (meist Silikon). Letzteres ähnelt einem überdimensionierten Schnuller. Die Sauger können mit Frucht-, aber auch mit Gemüsestücken befüllt werden, wahlweise roh oder leicht angedünstet. Ziel des Einsatzes soll das Kennenlernen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen – insbesondere aus den Bereichen Gemüse und Obst – sein. Gleichzeitig soll damit die Verschluckungsgefahr verringert werden. Babys können den Saft der Lebensmittel herausnuckeln, ohne direkt damit in Kontakt zu kommen.

Was spricht für den Einsatz dieser Sauger?

Folgende Argumente werden angeführt, die den Einsatz dieser Sauger befürworten:

  • Kinder werden an die Geschmacksmuster von Obst und Gemüse herangeführt, ohne dass ein Verschluckungsrisiko besteht.

  • Die Sauger sind praktisch für unterwegs, weil die Hände der Kinder sauber bleiben und die Sauger (in der Regel) auch verschlossen werden können.

  • Gerade für Kinder, die mit am Essenstisch sitzen und auch mitessen wollen, aber aufgrund fehlender Zähne noch nicht richtig kauen können, werden Fruchtsauger als eine Möglichkeit gesehen, die Kinder an der Mahlzeit teilhaben zu lassen. Gleichzeitig wird angeführt, dass die Eltern so eine gute Chance gewinnen, die Mahlzeit in Ruhe einzunehmen.

  • Wenn das Kind erste Zähne bekommt, kann der Fruchtsauger gefüllt mit gekühltem Gemüse oder Obst als angenehm und schmerzlindernd empfunden werden.

  • Der Sauger kann die Umstellung von Milch zu fester Nahrung beziehungsweise Beikost erleichtern.

Generell gilt, dass die Sauger erst dann angewendet werden sollen, wenn das Kind bereits aufrecht sitzen kann und bereit für die Einführung der Beikost ist. Auch soll ein Dauernuckeln vermieden werden, der Einsatz nur gelegentlich erfolgen und ein Sauger immer nur unter Aufsicht gegeben werden. Zudem ist es wichtig, auf eine gute Hygiene zu achten. Wie Schnuller oder Fläschchen auch müssen die Sauger nach jedem Gebrauch gereinigt oder sterilisiert werden.

Welche Probleme kann der Einsatz dieser Sauger bringen? 

  • Dauerhaftes Nuckeln – ob an einem Fruchtsauger, einem Quetschie oder an einer Trinkflasche – fördert durch den Gehalt an Zucker die Entstehung von kariogener Plaque, die bei jedem Zuckerimpuls den Zahnschmelz angreift. Je häufiger und je mehr Zucker in den Kindermund kommt, desto höher ist das Kariesrisiko. Während Dauernuckeln das Kariesrisiko erhöht, wird der in rohem Gemüse oder frischem Obst gebundene Zucker durch das Kauen und die dadurch angeregte Speichelproduktion kompensiert. Ein zusätzliches Risiko besteht darin, dass die Milchzähne grundsätzlich einen weicheren und viel dünneren Zahnschmelz aufweisen und es damit durch Dauernuckeln zu Schädigungen und Verformungen kommen kann.

  • Mit der Umstellung auf Beikost soll das funktionelle Schlucken entwickelt werden, das Voraussetzung für eine optimale Zungenlage, das Senken des Kariesrisikos, das Oberkieferwachstum, die Entwicklung von Lippen- und Kaumuskulatur sowie eine gute Nasenatmung ist. Dauernuckeln dagegen kann zum Beibehalten des viszeralen Schluckens beitragen.

  • Wird mehr genuckelt und gesaugt als gekaut, kann das die Ausbildung der Mund-Muskulatur und in der Folge die Sprech- und Sprachentwicklung beeinträchtigen. Kauen und das Essen von einem Löffel fördern hingegen die Mund- und Zungenmotorik, die unter anderem wichtig für die Sprachentwicklung ist. Auch wird beim Kauen die Produktion von Speichel angeregt. Dieser qualitativ bessere Speichel sorgt für eine Remineralisierung des Zahnschmelzes und macht ihn widerstandsfähiger.

  • Kleinkinder sollten sich möglichst früh daran gewöhnen, ihre Nahrung nicht einfach nur zu schlucken, sondern sie vorher ordentlich zu kauen. Dabei sollte die Kaumuskulatur von weich nach hart trainiert werden: Am Anfang mit gedünstetem Gemüse wie zum Beispiel Broccoli oder Kartoffeln, danach mit Gurke, Kohlrabi, Melone und Apfel und schließlich Möhre als härteste unter den rohen Gemüsesorten. Zähne sollen abbeißen und kauen.

  • Kommen Babys nur durch Fruchtsauger mit Gemüse und Obst in Kontakt, fehlen wichtige sensomotorische Erfahrungen. Das Riechen, Anfassen, Zerdrücken der Lebensmittel mit den Händen hilft dem Kind, die Umwelt „zu beGREIFEN“ und fördert damit wichtige Entwicklungsschritte. Daher sollte Gemüse und Obst in altersgerechte Stücke geschnitten und dem Kind in die Hand gegeben werden. Das Kind lernt Gemüse und Obst sonst nicht in seiner Gesamtheit kennen. Es kann durch einen Sauger nicht spüren, wie sich richtiges Essen anfühlt. Dabei ist für eine gesunde Essensbeziehung das Erkunden mit den Händen notwendig. Entdeckt das Kind verschiedene Konsistenzen von Lebensmitteln und betastet sie, bekommt es nicht nur einen positiven Bezug zum Essen, sondern fördert ganz natürlich die Augen-Hand-Koordination, die Kinder zum Beispiel auch beim Trinken benötigen.

Dazu ein Auszug aus dem hessischen Bildungs- und Erziehungsplan BEP (Seite 60):

„Das Kind lernt, seinen Körper wahrzunehmen, Verantwortung für sein eigenes Wohlergehen und seine Gesundheit zu übernehmen. Es erwirbt entsprechendes Wissen für ein gesundheitsbewusstes Leben und lernt gesundheitsförderndes Verhalten. Dies umfasst insbesondere folgende Bereiche:

Ernährung

  • Essen als Genuss mit allen Sinnen erleben

  • Anzeichen von Sättigung erkennen und entsprechend darauf reagieren

  • Unterschiede lernen zwischen Hunger und Appetit auf etwas Bestimmtes

  • sich eine Esskultur und Tischmanieren aneignen und gemeinsame Mahlzeiten als Pflege sozialer Beziehungen verstehen

  • Wissen und Verständnis über kulturelle Besonderheiten bei Essgewohnheiten erlangen

  • sich Wissen über gesunde Ernährung (auch unter dem Aspekt der Zahngesundheit) und über Zubereitung von Nahrung aneignen

  • ein Grundverständnis über Produktion, Beschaffung, Zusammenstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln erwerben"

Fazit

Aus zahnmedizinischer Sicht, aber auch im Hinblick auf die frühkindliche Entwicklung kann der Einsatz von Fruchtsaugern nicht empfohlen werden – die Nachteile überwiegen gegenüber den angeführten Einsatzmöglichkeiten.

Literaturliste

  • Vergleich physiologische Entwicklung und Folgen einer gestörten Trinkkoordination [Thumeyer A., 2024]

  • www.eltern.de

  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Einführung der Beikost, zuletzt aufgerufen am 12.07.2023

  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Wie Karies entsteht, zuletzt aufgerufen am 12.07.2023

  • Hessisches Ministerium für Soziales und Integration – Hessisches Kultusministerium: Bildung von Anfang an – Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen

Dr. oec. troph. Sabine M. Reichhold

LAGH-Referentin Konzept „Zuckerfreier Vormittag“

Dr. Andrea Thumeyer

Zahnärztin im Zahnzauberland in Kriftel und
Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH)

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