Parität bleibt das Dauerthema
Frauen im ärztlichen und zahnärztlichen Beruf auf ihrem Weg vom Studium über Klinik und Praxis bis hin in Spitzenämter zu unterstützen und zu begleiten – das ist das Ziel des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB). Am 25. Oktober feierte das Bündnis den 100. Gründungstag seines Vorläuferverbands (dem Bund Deutscher Ärztinnen) mit einer Festveranstaltung in der Landesvertretung Brandenburg in Berlin.
Die Themen: die fehlende Parität in der Gremienarbeit und zu wenige Ärztinnen in den Spitzenpositionen, etwa in den Universitätskliniken. Gerade in Führungspositionen tue sich wenig, sagte DÄB-Präsidentin Dr. Christiane Groß. Karrierehindernisse ergäben sich bei mangelnder Kinderbetreuung und aufgrund der unbefriedigenden Umsetzung des Mutterschutzgesetzes. Hier würden schwangere Ärztinnen oft daran gehindert, ihre Tätigkeit weiter auszuüben.
„Es geht nicht an, dass Kinder eines der Haupthindernisse für die Karriere von Ärztinnen sind, das darf so nicht stehen gelassen werden“, sagte Groß. Kinderbetreuung müsse ausreichend und zu den entsprechenden Tageszeiten angeboten werden, forderte sie. Auch die Care-Arbeit in Familien müsse eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Tradierte Rollenmuster dürften nicht einfach fortgeschrieben werden. Groß betonte auch den Stellenwert der geschlechterspezifischen Medizin und forderte deren Integration in die medizinische Aus- und Weiterbildung sowie in die tägliche Praxis.
Lauterbach will „manche Unwuchten ausgleichen“
Lob für seine Arbeit erhielt der DÄB von der Politik. So unterstrich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in einer Videobotschaft, es habe lange gedauert, bis in Deutschland die Chancengleichheit in der Medizin verbessert worden sei. Ohne den Einfluss des Ärztinnenbundes „hätte es noch länger gedauert“, so der Minister. Er erinnerte an Medizinerinnen der ersten Stunde, wie die erste Zahnärztin in Deutschland, Henriette Hirschfeld-Tiburtius, und deren Schwägerin, die Ärztin Franziska Tiburtius, die zu den Gründungsmitgliedern des Bundes gehörte. Beide Biografien seien typisch für die steinigen Lebenswege von Medizinerinnen damals in Deutschland gewesen.
Lauterbach wies darauf hin, wie ungleich die Frauenanteile heute noch über die ärztlichen Disziplinen hinweg verteilt seien. So seien in den chirurgischen Fächern Ärztinnen unterrepräsentiert, in der Kinder- und Jugendmedizin hingegen gebe es mehr Frauen als Männer. Hier werde die Politik „manche Unwuchten" ausgleichen, versprach er.
„Feminisierung ist ein Begriff mit Patina“
Der Anteil an Frauen in der Zahnärzteschaft hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen: Noch vor 20 Jahren sprach die Standespolitik von einer „drohenden Feminisierung des Berufsstands“. „Feminisierung“ ist ein Begriff mit Patina, den wir heute nicht mehr oft gebrauchen. Der Pioniergeist, die Kraft und Mühe des vormaligen Bundes Deutscher Ärztinnen und des heutigen Ärztinnenbundes haben endlich dazu geführt, dass Frauen seit Jahren ganz selbstverständlich ein Medizin- oder Zahnmedizinstudium beginnen. Und inzwischen sogar mehr Frauen als Männer. Die Ärzteschaft ist nun nahezu paritätisch besetzt. Das ist ein Fortschritt, auf den der DÄB stolz sein kann. Auch sein Engagement für die Bedürfnisse von Patientinnen hat viel bewirkt. Der DÄB hat die Gendermedizin in Deutschland begründet und die Aufmerksamkeit auf die genetischen Geschlechterunterschiede gelenkt.
Doch die Gleichstellung ist eine fortdauernde Herausforderung. Wir brauchen familienfreundliche Arbeitsbedingungen, gleiche Karrierechancen für Frauen und eine nach Geschlecht differenzierende medizinisch-pharmazeutische Forschung und Versorgung. Und wir müssen uns weiterhin dafür einsetzen, dass weibliche Führungskräfte in der Medizin anzahlmäßig zunehmen. Ebenfalls dafür, dass auch die Selbstverwaltungsgremien gleichberechtigt besetzt sind. Auch hier bewegt sich in jüngster Zeit einiges, was mich als Präsident eines Berufs mit sehr hohem Frauenanteil erfreut. All diese Themen sind entscheidend für die Zukunft der Medizin und Zahnmedizin, nicht nur für unsere Kolleginnen, sondern für die gesamte Gesellschaft.
„Gemeinsam stark für die Kolleginnen“
Der Deutsche Ärztinnenbund war von Anfang an ein wichtiger Motor für die Gleichstellung im medizinischen Beruf. Seine Arbeit steht beispielhaft für die Stärkung von Frauen in einem anspruchsvollen und wichtigen Berufsfeld. Der Dentista-Verband hat sich darauf spezialisiert, die Interessen der Zahnärztinnen in ihrer spezifischen beruflichen und fachlichen Praxis zu vertreten. Während der DÄB das Anliegen hat, Ärztinnen aller Fachrichtungen zu vernetzen und übergreifende Themen wie Gleichstellung, Karriereförderung und Arbeitsbedingungen zu thematisieren, konzentriert sich der Dentista-Verband auf die besonderen Anforderungen und Herausforderungen, denen Zahnärztinnen in ihrer Praxis begegnen. Dazu gehören Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (speziell im Kontext einer Zahnarztpraxis), unternehmerische Verantwortung sowie fachspezifische Fortbildung und Austausch.
Synergien bestehen vor allem in den Bereichen der Frauenförderung und berufspolitischen Vertretung, während der fachliche Fokus und die praxisbezogenen Angebote klare Unterscheidungsmerkmale darstellen. Beide Verbände – DÄB und Dentista – haben jeweils eigene Schwerpunkte, die einander sinnvoll ergänzen.
Prof. Dr. Mag. theol. Sabine Schleiermacher vom Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité Berlin referierte die Geschichte: Der Vorgängerverband des DÄB, der „Bund Deutscher Ärztinnen“ (BDÄ), wurde am 25. Oktober 1924 in Berlin gegründet, hatte 280 Mitglieder und repräsentierte damit etwa zwölf Prozent der Ärztinnen, die es damals in der Weimarer Republik gab. 1909 hatte das Großherzogtum Mecklenburg als letzter Staat des Deutschen Reiches Frauen erlaubt zu studieren. Davor mussten Frauen zum Studium in die Schweiz gehen. In der NS-Zeit wurde der BDÄ Ende 1936 aufgelöst. Ab 1946 formierten sich wieder erste lokale Ärztinnengruppen und am 18. März 1950 konstituierte sich der Deutsche Ärztinnenbund e.V. neu in München.
„Benachteiligung und Gleichberechtigung von Ärztinnen, diese Themen sind seit 100 Jahren konsistent“, fasste Schleiermacher ihren Vortrag zusammen. Viele der ersten Ärztinnen im BDÄ hätten sich in der Frauenbewegung engagiert und vor allem Frauen und Kinder versorgt – Gruppen, die in der Weimarer Republik unterprivilegiert waren. Ärztinnen hätten darum kämpfen müssen, überhaupt ihren beruflichen Platz im männerzentrierten Versorgungssystem zu erhalten. Gearbeitet hätten sie meist im Bereich der Gesundheitsfürsorge, eine Anstellung im Krankenhaus oder eine Kassenzulassung bekamen nur wenige. Hatte der Ehemann eine Kassenzulassung, wurde sie der Ärztin verwehrt.
Bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten habe sich gezeigt, dass – wie zahlreiche ihrer männlichen Kollegen – auch ein Teil der Ärztinnen die menschenverachtende Gedankenwelt der Nazis und deren Bevölkerungs- und Rassenpolitik mitgetragen habe, berichtete Schleiermacher. So habe der Bund sehr schnell jüdische und politisch andersdenkende Mitglieder ausgeschlossen. Massenhaft seien Ärztinnen in die NSDAP geströmt. Eine Vielzahl von ihnen habe in den Einrichtungen der Nazis mitgearbeitet. „Es gab Täter, Opfer und Mitläufer“, so Schleiermacher. Sie ging auch auf das Schicksal von Ärztinnen in der Emigration und in den Vernichtungslagern ein.
Stillstand in Sachen Gleichberechtigung
Im Unterschied zur DDR ist es in der Nachkriegszeit laut Schleiermacher in Sachen Gleichberechtigung zu einem Stillstand gekommen. Die tradierten Rollenmuster hätten es Ärztinnen schwer gemacht, eine feste Stelle in einem Krankenhaus oder eine Kassenzulassung zu erhalten. Möglichkeiten hätten sich in unattraktiven Posten – oder in der Praxis des Ehemanns als mithelfende Angestellte – geboten. In der DDR hingegen habe es Gleichberechtigung gegeben.
100 Jahre Deutscher Ärztinnenbund
25.10.1924: Der Bund Deutscher Ärztinnen (BDÄ) wird in Berlin gegründet. Ziel ist die Vertretung der beruflichen und sozialen Interessen von Ärztinnen und Zahnärztinnen, aber auch die Bearbeitung von gesundheitspolitischen Frauenfragen. Im ganzen Deutschen Reich gab es damals rund 2.500 Ärztinnen.
1933: Bereits im April vollzieht der BDÄ die von den Nazis betriebene Gleichschaltung. Im Juni werden alle Kolleginnen mit jüdischer Herkunft ausgeschlossen.
1933–1945: Mitglieder des Weltärztinnenbundes (MWIA) unterstützen geflüchtete Kolleginnen.
1934: Der BDÄ wird vom Weltärztinnenbund ausgeschlossen.
15.12.1936: Auflösung des BDÄ als Konsequenz aus der Reichsärzteordnung vom April 1936
1946: Erste lokale Ärztinnengruppen formieren sich nach dem Zweiten Weltkrieg.
18.3.1950: Gründung des Deutschen Ärztinnenbundes in München: Eines der ersten Ziele ist, die Benachteiligung von Ärztinnen bei der Niederlassung als Kassenärztin zu beseitigen.
1950: Der DÄB unterzeichnet das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes.
1951: Erster eigener DÄB-Kongress in Bad Pyrmont, seitdem zweijähriger Turnus
1952: Wiederaufnahme des DÄB in die MWIA
1976: Dr. med. Helga Thieme wird als erste Deutsche zur MWIA-Präsidentin gewählt.
1987: Das Junge Forum im DÄB für Ärztinnen bis 40 Jahre wird gegründet.
1990: Ärztinnen aus den neuen Bundesländern werden Mitglied im DÄB.
1999: Prof. Dr. med. Marion Kiechle wird die erste Ordinaria für Frauenheilkunde in Deutschland.
16.9.1999: DÄB-Kongress begründet die Gendermedizin in Deutschland.
2001: Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns wird die erste Ordinaria für Chirurgie in Deutschland. Das Forum 60 plus wird gegründet, ebenso das MentorinnenNetzwerk, eines der ersten Mentoring-Angebote in der Medizin in Deutschland.
2011: Das Forum 40 plus wird gegründet.
1.1.2018: Das unter Mitwirkung des DÄB ausgearbeitete novellierte Mutterschutzgesetz tritt in Kraft.
2021/2022: Seit Anfang der 2020er-Jahre entstehen vermehrt Ausschüsse, um DÄB-Themen vertieft zu bearbeiten.
2022: Der Weltärztinnenbund gründet die Senior-MWIA als internationale Vertretung für ältere Ärztinnen.
2022: Die Zukunftsabende des Jungen Forums für Medizinstudentinnen starten.
25.10.2024: Jubiläumsfeier zum 100. Gründungstag
Einen Blick in die Zukunft warf Prof. Dr. med. Dr. phil. Eva Winkler, Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. Eine berufsethische Aufgabe von Ärztinnen könne es sein, dem „Genderbias in der Medizin entgegenzutreten und eine faire und gerechte Versorgung zu fördern“, sagte sie. Immer mehr Studien deuteten darauf hin, dass Patientinnen und Patienten gesundheitlich profitieren, wenn sie von Ärztinnen versorgt werden. Gleichwohl werde deren Leistung weniger gewürdigt und sie hätten schlechtere Aufstiegschancen und eine geringere Vergütung als Ärzte. Diskriminierungsrisiken entstünden auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) – hier komme es darauf an, dass Forschungsdaten korrekt analysiert und aufbereitet werden.
Beim Festakt wurde zum zwölften Mal der DÄB-Wissenschaftspreis verliehen. Der Preis ging an Dr. med. Marianne Hahn von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für eine Arbeit über mögliche geschlechterbedingte Unterschiede bei der Reintegration von Schlaganfallbetroffenen in den Beruf. Ebenfalls geehrt wurden zwei Ärztinnen als „Mutige Löwin“: die Ärztin Astrid Näkel für ihr Engagement während der Flutkatastrophe im Ahrtal und Prof. Esther Troost, Dekanin am Uniklinikum Dresden, für den hohen Frauenanteil in ihrem Dekanat.