E-Zigaretten – Fluch oder Segen?
Der Umsatz mit E-Zigaretten ist in den vergangenen sieben Jahren von fünf auf 600 Millionen Euro gestiegen - allein in Deutschland. E-Zigaretten sind nicht nur ein Trend. Viele Raucher, die aufhören wollen, greifen in der Hoffnung auf einen leichteren Ausstieg zu E-Zigaretten. Die Frage ist aber, ob E-Zigaretten wirklich der erhoffte harmlosere Ersatzstoff sind.
Die Raucher-Entwöhnung - „Offering help to quit“ – ist der Themenschwerpunkt des aktuellen WHO-Reports über die globale Tabak-Epidemie.
Laut aktuellen WHO-Zahlen haben 23 Länder bereits Raucher-Entwöhnungsprogramme etabliert, aber nur rund ein Drittel der Weltbevölkerung (2,4 Billionen Menschen) hat Zugang zu diesen Programmen. Und nur vier Prozent der Raucher schaffen es, ohne Hilfe ihre Sucht dauerhaft zu bekämpfen. Mit Hilfestellung in Form von psychischer Unterstützung (etwa telefonische Beratungsdienste) oder der Anwendung von Produkten zur Raucher-Entwöhnung (zum Beispiel Pflaster oder Kaugummis) sei die Erfolgsquote immerhin doppelt so hoch.
In ihrem Bericht ruft die WHO eindringlich zur Regulierung der Abgabe von E-Zigaretten auf und macht auf die damit verbundenen Gesundheitsrisiken aufmerksam. Es gibt allerdings auch Studien, die belegen, dass E-Zigaretten im Rahmen der Raucher-Entwöhnung hilfreich sein können. Doch welche möglichen Gefahren für die Gesundheit sind wirklich mit dem Rauchen von E-Zigaretten verbunden und welche Auswirkungen auf die Mundhöhle sind zu erwarten? Diese Fragen werden im Folgenden anhand aktueller wissenschaftlicher Studien diskutiert.
E-Zigaretten
Elektrische Zigaretten sind seit rund 15 Jahren auf dem Markt. Es gibt viele verschiedene, hauptsächlich akkubetriebene Modelle. Sie funktionieren meist nach dem Verdampfer-Prinzip, dabei wird aus einer Flüssigkeit (Liquid) durch Erhitzung ein Aerosol gebildet und vom Benutzer inhaliert.
Die Liquids gibt es ebenfalls in verschiedenen Zusammensetzungen, wobei die meisten neben Propylenglykol und Glycerol auch chemische Geschmacksstoffe und in variabler Dosis Nikotin enthalten. Es gibt zwar Liquids auf dem Markt, die als nikotinfrei deklariert werden, die WHO bemängelt aber, dass in vielen der getesteten Produkte dennoch Nikotin nachgewiesen werden konnte.
Systemische Risiken
Eine Übersichtarbeit von Sultan et al. [2018] hat die aktuelle Studienlage bezüglich der systemischen und der oralen gesundheitlichen Risiken von E-Zigaretten zusammengefasst: Den Autoren zufolge konnte verstecktes Formaldehyd im Aerosol nachgewiesen werden, das eine kanzerogene Wirkung hat und das Risiko von Krebserkrankungen im oberen Aerodigestivtrakt erhöht.
Dieses versteckte Formaldehyd werde vom Respirationstrakt besser aufgenommen als das gasförmige Formaldehyd gewöhnlicher Zigaretten. Bei einer Liquiddosis von drei Millilitern pro Tag werden demnach insgesamt 14 Milligramm Formaldehyd inhaliert, bei normalen Zigaretten (20 Stück) insgesamt nur 3 Milligramm. Das lebenslange Krebsrisiko steige durch den erhöhten Formaldehydkonsum immens. Verursacht werden die hohen Formaldehydkonzentrationen möglicherweise durch eine Spulen-Überhitzung.
In einem Maus-Modell wurde hinsichtlich des pulmonalen Effekts von E-Zigaretten ein Einfluss auf die mikrobielle Abwehr der Lunge festgestellt. Hier kommt es durch eine herabgesetzte Phagozytose der Alveolarmakrophagen zu einer verminderten bakteriellen Clearance.
Die Autoren führen weitere Studien an, in denen nachgewiesen werden konnte, dass E-Zigaretten mitochondrialen, oxidativen Stress sowie die DNA-Fragmentation in humanen Lungen fördern. Die in den Liquids enthaltenen Geschmacksstoffe – hier ist insbesondere Diacetyl zu nennen – konnten mit Bronchiolitis obliterans in Verbindung gebracht werden. Bezüglich kardiovaskulärer Effekte gibt es bislang widersprüchliche Studienergebnisse.
Anlässlich des aggressiven Marketings in Bezug auf die in Liquids enthaltenen Vitamine kritisieren Sultan et al., dass eine Inhalation von Vitaminen bei den gegebenen Konzentrationen physiologisch nicht möglich sei. Die Autoren resümieren, dass die kumulative Dosis des Formaldehyds deutlich höher ist als bei normalen Zigaretten – diese beinhalten dafür aber über 72 potenzielle Kanzerogene, von denen die internationale Agency for Research on Cancer 16 als für Menschen kanzerogen eingestuft hat. Daran gemessen könne die Toxizität von E-Zigaretten als geringer eingestuft werden als die herkömmlicher Zigaretten.
Orale Effekte
Auch in Bezug auf die oralen Effekte von E-Zigaretten gibt es nur vereinzelte Studien und noch keine Langzeitergebnisse. Sultan et al. [2018] führen in ihrer Übersichtsarbeit eine weltweite Umfrage mit knapp 20.000 Probanden an, in der Mundtrockenheit als häufigste Nebenwirkung beim Konsum von E-Zigaretten genannt wird.
Eine Studie verglich E-Zigaretten-Raucher mit ehemaligen Rauchern konventioneller Zigaretten. Bei den Konsumenten von E-Zigaretten zeigten sich
, zu denen insbesondere die Haarzunge, die Nikotin-Stomatitis und die angulare Cheilitis zählten. Die Autoren halten insbesondere die Stomatitis für eine naheliegende Nebenwirkung aufgrund der Hitzeentwicklung. Als einschränkendes Kriterium bewerteten sie die geringe Probandenzahl und die Tatsache, dass nur ehemalige und keine aktiven Raucher inkludiert wurden.
Des Weiteren konnten Effekte von E-Zigaretten auf den Blutfluss der oralen Mukosa und eine Erhöhung der Durchblutung von oralem Gewebe nachgewiesen werden. So zeigten d ie Studienergebnisse eine erhöhte kapillare Durchblutung nach dem Konsum, der nach 30 Minuten wieder auf Baseline absinkt. Klinisch ableitbare Ergebnisse gibt es aber bislang nicht.
Gelegentlich traten intraorale Explosionsverletzungen durch Überhitzung der internen Lithium-Ionen-Batterie von E-Zigaretten auf. Zu den damit verbundenen Verletzungen zählten nach Sultan et al. [2018] unter anderem Zahnfrakturen, Zahnavulsionen, dentoalveoläre Frakturen, Hämatome, traumatische Ulzerationen, intraorale Verbrennungen, palatinale Perforation, teilweise mit Extension bis in die Nasennebenhöhlen.
E-Zigaretten stehen den Autoren zufolge zudem unter Verdacht, zur Entstehung von Parodontitis beizutragen. So haben Fibroblasten des parodontalen Ligaments unter Inkubation in Menthol-E-Zigaretten-Dampf deutlich niedrigere Proliferationsraten gezeigt. Eine andere Studie zeigte die Zytotoxizität und die Induktion von Apoptosen nach 48 Stunden E-Zigaretten-Exposition. Da es in beiden Studien keine Kontrollgruppen gab, beurteilten Sultan et al. [2018] diese Angaben in ihrer Übersichtsarbeit jedoch als wenig verlässlich.
Im Gegensatz zu normalen Zigaretten konnten bislang keine Auswirkungen von E-Zigaretten auf die mikrobielle Flora nachgewiesen werden. Aufgrund der geringen Probandenzahl, fehlender Geschlechterverteilung und des Aufbaus als Querschnittsstudie bewerten die Autoren auch diese Studie als wenig verlässlich.
Cotinin, ein Metabolit von Nikotin, konnte im Speichel von E-Zigaretten-Rauchern in ähnlicher Konzentration wie bei normalen Rauchern gemessen werden. Nikotin ist als Suchtmittel bekannt, aber sein karzinogenes Potenzial ist bislang nicht gut untersucht, so die Autoren. Vermutet werden Tumorinduktive Prozesse, ein Unterdrücken der Apoptose und eine Induktion der Migration von OSCC - Zellen ( Oral Squamous Cell Carcinoma).
Gerade bei ehemaligen Rauchern sei bedenklich, dass durch E-Zigaretten aus bereits bestehenden, potenziell malignen Vorläuferläsionen durch das Triggern onkogener Signale dysplastische Läsionen entstehen könnten. Weiterhin konnten zytotoxische Effekte sowie induzierte DNA-Strang-Unterbrechungen bei normalen Epithelzellen und squamösen Zell-Karzinom-Zelllinien im Kopf und Halsbereich nachgewiesen werden. Diese unterbrochenen DNA-Stränge können in einer chromosomalen Umstrukturierung und Kanzerogenese enden, betonen die Wissenschaftler.
Raucher-Entwöhnung mit E-Zigaretten
In einer kürzlich im "New England Journal of Medicine" veröffentlichten Studie wurde geprüft, ob E-Zigaretten als Mittel zur Raucher-Entwöhnung geeignet sind. Das Ergebnis scheint zunächst positiv: Langjährigen Raucherinnen und Rauchern, die gewillt waren, das Rauchen zu beenden, gelang der Ausstieg über die E-Zigarette doppelt so häufig wie mit Nikotinersatzstoffen (zum Beispiel Pflaster, Kaugummis, Lutschtabletten, medikamentöse Therapie).
In der Studie wurden insgesamt 886 Probanden nach einer persönlichen Beratung in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe erhielt ein Starterpaket mit E-Zigarette und einer nikotinhaltigen Inhaltsflüssigkeit. Die zweite Gruppe wurde mit anderen Nikotinersatzpräparaten ausgestattet. Alle Teilnehmer wurden zudem ermutigt, an einer regelmäßigen Verhaltenstherapie teilzunehmen. Nach zwölf Monaten waren 18 Prozent der E-Zigaretten-Raucher tabakabstinent. Diejenigen, die mit Ersatzpräparaten den Ausstieg erreichen wollten, zeigten lediglich eine Abstinenz von 9,9 Prozent.
Experten der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (DGK) sehen die Ergebnisse indes kritisch: "Bei der Bewertung […] darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Mehrzahl der Probandinnen und Probanden der E-Zigaretten-Gruppe langfristig nicht auf das Rauchen verzichtete, sondern 80 Prozent der E-Zigarette treu blieben. Die meisten Patienten sind also auf die E-Zigarette umgestiegen, ein wirklicher Ausstieg bzw. eine vollständige Abstinenz erfolgte nicht."
Bedenklich findet die DGK auch, dass bislang keine fundierten Ergebnisse über die Langzeitfolge des E-Zigaretten-Konsums vorliegen. Es gebe allerdings erste beunruhigende Hinweise auf ernste Spätschäden durch E-Zigaretten. So zeige eine US-amerikanische Studie, dass der Konsum von nikotinhaltigen Liquids der E-Zigaretten Auswirkungen auf die Bonchialepithelzellen hat, wie sie sonst nur bei chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) beobachtet werden. Anfang des Jahres hatte bereits die American Heart Association in einer Pressemitteilung davor gewarnt, dass der Konsum von E-Zigaretten mit einer deutlich erhöhten Rate von Schlaganfällen und Herzerkrankungen einhergeht.
Auch die WHO beobachtet die steigende Popularität von E-Zigaretten besorgt. Mit aggressivem Marketing und fehlleitenden Werbeslogans wie "weniger schädlich" oder "sichere Alternative" suggerierten viele Konzerne, Zigarettenrauchern eine gesundheitlich unbedenkliche Alternative.
Die WHO fürchtet auch, dass der Konsum von E-Zigaretten umgekehrt auch zum Rauchen herkömmlicher Zigaretten animieren könnte. Gerade für Jugendliche seien E-Zigaretten durch die verschiedenen Geschmacksrichtungen, das geschickte Marketing und die Verharmlosung der gesundheitlichen Gefahren verlockend. Die WHO fordert deshalb im Umgang mit E-Zigaretten - als potenziell gesundheitsschädliche Produkte - eine striktere Regulation in allen WHO-Mitgliedstaaten. In Deutschland gelten seit 2016 für E-Zigaretten und E-Shishas immerhin bereits die gleichen Regeln wie für herkömmliche Zigaretten: Es besteht ein Abgabeverbot unter 18 Jahren gemäß Jugendschutzgesetz (§ 10 JuSchG).
Bezüglich der gesundheitlichen Risiken resümiert die WHO, dass aufgrund der großen Variabilität an Produkten und Inhaltsstoffen der Liquids kaum allgemeingültige Aussagen abgeleitet werden können. Neben den Liquids spielen auch Faktoren wie die Hitzequelle und die Häufigkeit der Benutzung eine entscheidende Rolle. Deshalb könne eine E-Zigarette, wenn auch nach bisherigem Wissensstand weniger schädlich als normale Zigaretten, nicht bedenkenlos als Raucherentwöhnungshilfe empfohlen werden.
Sultan et al. [2018] stellen in ihrer Übersichtsarbeit fest, dass viele Raucher sich durch die E-Zigarette besser vom Rauchen herkömmlicher Zigaretten lösen können, weil dabei die sensorischen Bedürfnisse (etwas in der Hand halten) bedient werden. Insgesamt, so bilanzieren die Autoren, zeigten die bisherigen (Kurzzeit-)Ergebnisse, dass E Zigaretten generell als weniger toxisch zu bewerten sind als herkömmliche Zigaretten.
Eine generelle Empfehlung wollten die Forscher allerdings nicht aussprechen. Deshalb sollten im Zweifel Nikotin-Pflaster und weitere bereits erprobte Hilfsmittel zur Raucher-Entwöhnung empfohlen werden. Langfristig helfe aber meistens nur psychosoziale Unterstützung nachhaltig auf dem Weg in die Abstinenz.
Die Rolle der zahnärztlichen Praxis
Sultan et al. [2018] betonen die einflussreiche Rolle des Zahnarztes auf dem Weg zur Raucherentwöhnung, da Patienten die Praxis gewöhnlich mindestens zweimal pro Jahr aufsuchen. Bei Fragen bezüglich E-Zigaretten als Hilfsmittel auf dem Weg zur Raucher-Entwöhnung sollte der Zahnarzt aufgrund der fehlenden Langzeitstudien und der generell dürftigen Studienlage unbedingt darauf hinweisen, dass es evidenzbasierte und weniger toxische Mittel zur Raucherentwöhnung gibt. Diese sollten dem Patienten unbedingt empfohlen werden, bevor er zu einer E-Zigarette greift.
Bekräftigend führen die Autoren ein Zitat aus dem Clinicians Guide der American Academy of Oral Medicine (AAOM) an, wonach E-Zigaretten als Raucher-Entwöhnungstool keinesfalls von Zahnärzten empfohlen werden sollten: Eine E-Zigarette als "smoking cessation tool in the presence of various other available carcinogen-free FDA- appoved smoking cessation aids is medicolegally ill-advised".
Raucht ein Patient dennoch E-Zigarette, sei eine Aufklärung über mögliche, teilweise noch unbekannte Effekte auf Mundhöhle und Parodont wichtig. Zudem solle der Zahnarzt begleitende Kontrollen auf dem Weg der Raucher-Entwöhnung mittels E-Zigarette anbieten. Die WHO sieht die besten Chancen in einer psychologischen Unterstützung im Sinne einer kurzen Motivation und Aufklärung durch (zahn-)ärztliches Personal.
Schlussfolgerung
Aktuell besteht keine starke Evidenz für einen direkten Zusammenhang zwischen oralen (potenziell malignen) Vorläuferläsionen oder Krebserkrankungen durch den Gebrauch von E-Zigaretten. Dennoch sollten Empfehlungen als Hilfestellung für die Raucher-Entwöhnung mit Vorsicht ausgesprochen werden und immer ein Hinweis auf fehlende Langzeitergebnisse erfolgen.
Quellen
Sultan AS, Jessri M, Farah CS (2018). Electronic nicotine delivery systems: Oral health implications and oral cancer risk. Journal of Oral Pathology & Medicine.
Hajek P et al. A Randomized Trial of E-Cigarettes versus Nicotine-Replacement Therapy. N Engl J Med 2019;380:629-637
DGK
WHO-Report on the global tobacco epidemic, 2019