Neue präventive Leistungen für AuB-Patienten

Ab 1. Juli gilt § 22a

Endlich! Ab dem 1. Juli haben Pflegebedürftige und auch Menschen mit Behinderungen Anspruch auf präventive Leistungen gemäß § 22a SGB V. Nach harten Verhandlungen mit den Krankenkassen konnte die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) entsprechende Positionen durchsetzen.

Erstmals haben Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen damit einen verbindlichen Rechtsanspruch auf zusätzliche zahnärztliche Vorsorgemaßnahmen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. § 22a schließt mit der Formulierung „Menschen mit Pflegegrad“ ausdrücklich Menschen mit Behinderungen ein. Anspruch auf diese Maßnahmen haben somit alle gesetzlich Versicherten, die einen Pflegegrad nach § 15 SGB XI besitzen oder Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII bekommen. Außerdem werden Wohneinrichtungen Pflegeheimen gleichgestellt.

„Das ist für uns ein großer Verhandlungserfolg!“

„Das ist für uns ein großer Verhandlungserfolg“, betont der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer: „Denn auf dieser Grundlage können wir Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung künftig nicht nur kurativ, sondern auch präventiv behandeln.“

Statement Dr. Wolfgang Eßer

„Nachdem die Vertragszahnärzte im COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz nicht berücksichtigt worden waren und der vom BMG unterstützte Schutzschirm durch ein Veto des SPD-geführten Bundesfinanzministeriums verhindert wurde, wurde den Zahnärzten mit der COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung lediglich eine Liquiditätshilfe in Form eines voll zurückzahlbaren Kredites angeboten. Über die Annahme/Ablehnung dieser Liquiditätshilfe hatten die KZVen bis zum 2. Juni 2020 zu entscheiden. Im Vorfeld konnte die KZBV Klarheit darüber herstellen, dass Zahnärzte grundsätzlich Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben und die Schutzverordnung, anders als von diversen Krankenkassen behauptet, eben nicht als Budgetobergrenze zu verstehen ist.

Die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der Liquiditätshilfe wurde in mehreren KZVen im Rahmen von außerordentlichen Vertreterversammlungen getroffen. Grundlage war in allen KZVen die sorgfältige Prüfung der Wirkung dieser Liquiditätshilfe in Verbindung mit den in den KZVen individuell vereinbarten Vergütungsverträgen. Insbesondere sogenannte „Überstellungsverträge“ gewährleisten für das Jahr 2020 die Auszahlung der für 2020 verhandelten Gesamtvergütungen zu 100 Prozent, losgelöst von der tatsächlichen Leistungsmenge, während die Liquiditätshilfe lediglich 90 Prozent der im Jahr 2019 gezahlten Gesamtvergütung garantiert.

Im Unterschied zu den „Übersteller-KZVen“ kann es in „Einzelleistungsvergütungs-KZVen“ auf Basis der im BMV-Z vertraglich geregelten Modalitäten der Abschlagszahlungen von Krankenkassen an die jeweilige KZV möglicherweise zu Liquiditätsengpässen vor allem im 3. Quartal bei der Auszahlung der Abschläge seitens der KZV an die Zahnärzte kommen.

In einigen KZVen bestehen mit unterschiedlichen Krankenkassen sowohl Übersteller- wie auch Einzelleistungsverträge. Vor diesem Hintergrund sind die Entscheidungen in den 17 KZVen erwartungsgemäß unterschiedlich ausgefallen, weswegen sich der Vorstand auch von Anfang an vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Vertragssituation für eine Opt-out-Regelung eingesetzt hatte.“

Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender der KZBV

Bislang gab es für diese Patienten nämlich keine adäquaten Maßnahmen der individuellen Prävention innerhalb der GKV. Dabei benötigen gerade sie eine besondere zahnärztliche Betreuung, da sie vielfach nicht in der Lage sind, für ihre Mundgesundheit selbstständig und eigenverantwortlich zu sorgen.

„Hier geht es um Menschen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind“, bestätigt der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Martin Hendges, der mit Eßer die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband führte. „Menschen, die wegen der daraus resultierenden desolaten Mundgesundheit zum Teil gar nicht mehr vernünftig essen und trinken können und deren Lebensqualität aus diesem Grund stark beeinträchtigt ist.“

Die Mundgesundheit dieser vulnerablen Gruppe ist bekanntermaßen im Durchschnitt insgesamt deutlich schlechter als die der übrigen Bevölkerung. „Deshalb sahen wir hier dringenden Handlungsbedarf“, berichtet Eßer. „Wir Zahnärzte tragen hiermit unseren Teil dazu bei, allen Menschen eine bedarfsgerechte Versorgung zukommen zu lassen und möglichst gerechte Lebensverhältnisse in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft zu schaffen – ein Anspruch, der ja auch von der Politik immer wieder ausdrücklich betont wird.“ Der Weg vom Konzept bis zur Umsetzung war allerdings lang – und steinig.

Bereits 2010 hatte die Zahnärzteschaft ihr Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ vorgestellt – und seitdem in der Politik für die Umsetzung gekämpft. Nicht immer ging es dabei fair zu: In Erinnerung bleibt etwa die Reaktion des damaligen DAK-Chefs Herbert Rebscher, der der Zahnärzteschaft unterstellte, sie habe das AuB-Konzept nur vorgelegt, um sich die Taschen zu füllen (AuB steht für „Alter und Behinderung“). Am Ende konnte die KZBV

Ein langer – und steiniger – Weg

Schließlich – aus heutiger Sicht eigentlich unvorstellbar – gab es in der GKV noch vor acht Jahren für Patienten mit Pflegebedarf oder Behinderung weder therapeutische noch präventive zahnmedizinische Leistungen – geschweige denn entsprechende Betreuungsmodelle. Dass diese vulnerable Gruppe überhaupt zahnmedizinisch versorgt wurde, verdankte sie allein den vielen Zahnärzten, die in dieser Zeit ehrenamtlich im Heim behandelten – in der Regel unentgeltlich oder allenfalls für einen Obolus. 

Prothesen, die 24 Stunden im Mund blieben, ohne je gereinigt worden zu sein; entzündete Druckstellen; unbehandelte Parodontopathien und Sekundärkaries – was die Behandler zum Teil vorfanden: schockierend.

Der Mund? Im Heim Terra incognita.

Der Mund war Terra incognita“, bestätigt Eßer. Bei der Arbeit im Heim war Improvisation gefragt: Behandlungsstühle gab es nicht, auch eigene Räume fehlten in der Regel, weshalb die Zahnärzte ihre Instrumente mitbrachten und die Einrichtung – Tabletts, das Bett, Tische und auch normale Stühle – einsetzten, um wenigstens die Notfallversorgung zu gewährleisten.

„Ich habe den allergrößten Respekt für die Kollegen, die in ihrer Freizeit beziehungsweise nach Feierabend in die Heime gefahren sind, um dort die Patienten zu betreuen. Hier herrschte aufgrund des Pflegedefizits in den Heimen absoluter Versorgungsmangel“, hebt Eßer hervor. „Allerdings ist die Versorgung alter, kranker und schwacher Menschen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – nicht die eines einzelnen Berufsstands, der diese Arbeit im Übrigen ehrenamtlich auch gar nicht alleine schultern kann.“

Die Pflegebedürftigen waren dieser Situation hilflos ausgeliefert: Hatten sie Schmerzen, konnten sie diese oft nicht artikulieren. Sie mussten zurechtkommen – ohne eine Untersuchung der Mundgesundheit und ohne regelmäßige Zahnpflege. Mit den Paragrafen 87 2i (2012) und 2j (2014) wurde im Rahmen der aufsuchenden zahnmedizinischen Betreuung von Pflegebedürftigen dieser Missstand behoben: Insofern wurde zuerst der kurative Teil verankert, mit 22a folgt jetzt der präventive Teil.

Die neuen Leistungen

  • Die neuen Präventionsleistungen im GKV-Katalog sehen vor,

  • dass der Mundgesundheitsstatus erhoben,

  • ein Plan zur individuellen Mund- und Prothesenpflege erstellt und

  • über die Bedeutung der Mundhygiene aufgeklärt wird sowie

  • dass Maßnahmen zur Erhaltung der Mundgesundheit

  • und einmal im Kalenderhalbjahr harte Zahnbeläge entfernt werden.

  • Pflege- oder Unterstützungspersonen sollen in die Aufklärung und die Erstellung des Pflegeplans einbezogen werden.

Warum das den ‚“normalen‘“ Zahnarzt interessieren sollte? „§ 22a ist ein Riesen-Thema für den gesamten Berufsstand, weil diese Patienten jetzt auch Anspruch auf die neuen Leistungen in der Zahnarztpraxis haben“, erklärt Hendges eindringlich. Ein Blick in die DMS V belegt: Die heute 75- bis 100-Jährigen haben eine Mundgesundheit wie vor zehn Jahren die 50-Jährigen. Die Folge ist eine Verschiebung der Leistungsinanspruchnahme. Hendges: „Wichtig ist, dass wir diese Patienten, die sich im Übergang zur Immobilität befinden, vorher noch erreichen. Sind sie dann wirklich ans Haus gebunden, reißt die Versorgung nicht ab.“

Mit § 22a kommt die Zahnärzteschaft ihrem Ziel ein Stück näher: Die Mundgesundheit über den gesamten Lebensbogen hinweg zu sichern. Vom Lebensbeginn – mit den Regelungen zu Früherkennungsuntersuchungen, die dazu beitragen, die frühkindliche Karies auf breiter Front zu reduzieren – bis zum Lebensende. „Initial war rückblickend die Stärkung der aufsuchenden Betreuung. Und zwar, indem wir sie aus der Notfallversorgung in die Regelversorgung bringen – bedarfsgerecht und inklusive Prävention“, bilanziert Eßer. „Dieses Leuchtturmprojekt haben wir initiiert und erfolgreich realisiert: Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung haben jetzt Anspruch auf eine adäquate zahnärztliche Behandlung und Vorsorge – und damit eine bessere Mundgesundheit und mehr Lebensqualität! Die KZBV hat ihr zentrales Ziel, diesen Menschen eine Teilhabe an der Versorgung zu ermöglichen, erreicht.“

Von der Ausarbeitung bis zur Implementierung

Die KZBV hatte sich dafür stark gemacht, dass die Leistungen möglichst zeitnah in die Versorgung kommen und zugleich auf ein schlankes Verfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und im Bewertungsausschuss gedrängt.

Nachdem die KZBV als stimmberechtigte Trägerorganisation im G-BA im Oktober 2017 die Umsetzung der Erstfassung der ‚Richtlinie über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen‘ maßgeblich vorangetrieben hatte, folgte das Verfahren im Bewertungsausschuss. Dort legen die KZBV und der GKV-Spitzenverband die BEMA-Positionen fest, die für die Abrechnung von vertragszahnärztlichen Behandlungen in der gesetzlichen Krankenversicherung dienen. Die hier erzielten Bewertungen gewährleisten, dass die neuen Leistungen in der Praxis und im Rahmen der aufsuchenden Betreuung wirtschaftlich erbracht werden können. Ziel war, die Versorgung im Rahmen der aufsuchenden häuslichen Betreuung durch die Aufwertung entsprechender Positionen im BEMA zu stärken und sicherzustellen, dass der Abschluss beziehungsweise die Fortführung von Kooperationsverträgen mit Pflegeeinrichtungen für Praxen weiter gefördert werden.

Derzeit gibt es bundesweit mehr als 3.700 solcher Verträge. Die Zahl zahnärztlicher Haus- und Heimbesuche lag im Jahr 2017 bei rund 923.000.

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