Gewerkschaft Verdi und die Gesundheitsreform

Über Schuster und ihre Leisten

"Solidarität in der Gesundheitsversorgung darf nicht länger ein Fremdwort bleiben.“ Mit diesem Allgemeinplatz eröffnete Frank Bsirske, Chef der größten deutschen Einzelgewerkschaft, Ende letzten Jahres in aller Öffentlichkeit seinen eigenen Feldzug im Streit um das deutsche Gesundheitswesen. Was der Mann an der Spitze der „größten deutschen Einzelgewerkschaft“ fordert, ist eine „integrierte Gesamtversorgung“ in den Händen der gesetzlichen Krankenkassen

Dass in einem Bundestagswahljahr alle gesellschaftspolitisch motivierten Gruppierungen ihre Truppen formieren und ihre ureigensten Pfründe offensiv verteidigen, kann nicht verwundern. Viele der jetzt die breite Öffentlichkeit mit eigenen Ideen zum Gesundheitswesen konfrontierenden Gruppen sind sozusagen neu auf diesem Feld. An dem bisherigen Desaster ungelöster Probleme im Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung tragen sie offensichtlich ebenso wenig Mitschuld wie an der Tatsache, dass dieses Thema in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gerückt wurde. Die Folge: Jetzt muss man sich unter dem Aushängeschild, dass man sich dem „Kampf für eine sozial gerechtere Welt“ widme, auf dieses komplizierte Terrain begeben.

Steine des Anstoßes

Der seit März 2001 als Verdi-Chef fungierende Frank Bsirske hat dabei Großes vor: „Wir bei Verdi sind dabei, für die nächsten Monate eine Kampagne vorzubereiten“, erklärte er gegenüber der Berliner Zeitung. Die Steine des gewerkschaftlichen Anstoßes: „Eine Aufweichung der solidarischen Finanzierung zu Gunsten der Arbeitgeber darf es bei der Gesundheit nicht geben.“ Eindeutig: Hier legitimiert sich die Vorgehensweise durch den „Klassenfeind“ als erklärtem Gegner.

Und der zweite Grund: „Es kann nicht vorrangig darum gehen, immer mehr Geld ins System zu schaufeln.“ Eine Forderung, die sicherlich viele in unserer Gesellschaft gegenzeichnen würden.

Doch entscheidender – und damit auch für die Programmatik zahnärztlicher Vorstellungen nicht ohne Auswirkung im eigenen öffentlichen Auftritt – sind die Schlüsse, die die Gewerkschaft aus diesen Thesen zieht. Das Ergebnis dürfte, so man die Zusammenhänge im Gesundheitswesen einordnen und damit die Konsequenzen absehen kann, selbst vielen der eigenen Gewerkschaftsmitglieder kaum schmecken.

Frontale Angriffe

Bsirske erteilt – ebenfalls wenig verwunderlich – dem zahnärztlichen Konzept eine klare Absage: „Das paritätisch und solidarisch finanzierte Gesundheitssystem muss erhalten bleiben. Die Aufsplittung der Leistungen in Grund- und Wahlleistungen darf da kein Thema sein.“

Und was dann noch folgt, sind Frontalangriffe auf unsere Freiberuflichkeit wie auch die Rechte unserer Patienten:

• Der Auftrag zur Sicherstellung der allgemeinen Gesundheitsversorgung soll von den Kassenärztlichen Vereinigungen auf die Krankenkassen übergehen.

• Durch eine integrierte Gesamtversorgung soll die doppelte Facharztstruktur abgeschafft werden. Das Resultat: Das System der Polikliniken soll flächendeckend eingeführt werden.

Der Rest der gesundheitspolitischen Eingaben des Gewerkschaftsfunktionärs sind – teils widersprüchliche – Sammelsurien: eine Positivliste für Arzneimittel, Disease-Management- Programme, Beitragssatzstabilität – also „nicht mehr Geld ins System“ –, aber komischerweise verbunden mit der Forderung nach einer Anhebung der Pflichtversicherungsgrenzen – also doch mehr Geld ins System. Alles das solle die Regierung, so die Vorstellungen von Verdi, in entsprechende quantitative und qualitative Rahmenbedingungen packen.

Würden solche Vorstellungen gesellschaftlich diskutabel, wäre das mehr als das zusätzliche Einstreuen von Sand in das marode Getriebe gesundheitspolitischer Vorhaben. Dieser Ansatz gleicht dem Basteln an einer soziostrukturellen Zeitbombe.

Überlassen wir in der Vorwahlkampfzeit bis zur nächsten Legislaturperiode die öffentliche Diskussion solchen Ideen, die noch dazu – zumindest in Teilen – bereits gescheiterte historische Vorläufer haben, dürfte auch in den Augen der Öffentlichkeit das von der Bundesregierung zusammengenähte Modell bei weitem als das kleinere Übel ankommen.

Auch wenn man diese Avance für eine bundesweite Aktion der Gewerkschaftler mit Blick auf den Sinngehalt unter der Rubrik „Schuster bleib bei Deinen Leisten“ abbuchen könnte, erfordert sie entsprechende Gegenstimmen.

Hier liegt einer der deutlichen Hinweise, dass die Zahnärzteschaft mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, der im Februar wieder einsetzenden Kampagne der KZBV, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Akzente setzen muss.

Dieter Krenkel

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