Empathie als Führungsstil

Mit anderen Augen sehen

„Schlau kann dumm sein.“ So prägnant und provokant propagiert der amerikanische
Psychologe Daniel Goleman eine andere Art der Intelligenz – die
emotionale Intelligenz. In seinem Bestseller „Emotionale Intelligenz“ schildert
er, dass man vor allen Dingen eben diese braucht, um im Leben erfolgreich zu
sein. Denn: „Was nützt ein hoher IQ, wenn man ein emotionaler Trottel ist?“

Kern der These ist dabei, dass die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens von zwei Faktoren abhängt: vom Intelligenzquotienten und von der emotionalen Fähigkeiten seiner Mitarbeiter. Emotional intelligente Personen können Gefühle und Denken integrieren. Sie können ihre eigenen Emotionen differenziert wahrnehmen und wissen sie richtig zu handhaben. Auch können sie die Gefühle anderer wahrnehmen und erfolgreich mit ihnen umgehen.

Emotionale Intelligenz wird vom Psychologen Salovey in fünf Bereiche gegliedert:

Selbstwahrnehmung, was bedeutet, die eigenen Emotionen zu kennen

• die Fähigkeit,Gefühleso zu handhaben, dass sie angemessen sind

Emotionenzielgerichtet einzusetzen, so dass das, was man unternimmt, produktiv und effektiv ist

Empathie, also die Fähigkeit, zu wissen, was andere fühlen – dieser Faktor ist die Basis für Menschenkenntnis

soziale Kompetenz, die Kunst, mit den Emotionen anderer Menschen umzugehen, das heißt, den Umgang mit Beziehungen zu verstehen

Es liegt in der Natur des Menschen, dass nicht jeder in allen Bereichen gleich gut ist. Ein Beispiel: Jemand hat Angst vor dem Zahnarztbesuch und kann gut damit umgehen, aber er kann wiederum recht ungeschickt sein, wenn es darum geht, einen ängstlichen Menschen zu beruhigen.

Empathie ist mehr als Worte

In vielen Lebensbereichen kommt Empathie mit ins Spiel: im Wirtschaftsunternehmen wie in der Praxis, in der Liebesbeziehung wie im Arbeitsteam, in der Beratung wie in der Führung. Emotionen werden aber äußerst selten in Worte gefasst. Meist werden sie nonverbal zum Ausdruck gebracht, zum Beispiel durch die Stimme, die Körperhaltung, die Gestik und den Gesichtsausdruck.

Welche Rolle Empathie in unserem Leben spielt – und dass sie von akademischer Intelligenz unabhängig ist – dokumentierten die Ergebnisse einer Untersuchung mit dem „Profile of Nonverbal Sensitivity“-Test (PONS-Test) des Harvard-Psychologen Robert Rosenthal. Von 1 011 getesteten Kindern waren diejenigen am beliebtesten in ihrer Klasse und emotional am stabilsten, die nonverbale Emotionen gut deuten konnten. Ihre schulischen Leistungen waren besser, obwohl ihr IQ im Schnitt nicht höher war als die der Kinder, welche nonverbale Signale nicht so gut interpretieren konnten.

Worte sind die rationalen Vehikel, mit denen sich ein Mensch ausdrücken kann. Die Sprache der Gefühle aber ist nonverbal. Passt das gesprochene Wort nicht zur Körperhaltung, zur Stimme oder zu anderen nonverbalen Aspekten, dann fehlt dem Menschen seine Authentizität. Die emotionale Wahrheit liegt nicht in dem was er sagt, sondern vielmehr darin wie er es sagt. Eine Grundregel der Kommunikationsforscher besagt, dass eine emotionale Äußerung zu 90 Prozent und mehr nonverbal erfolgt.

„I can feel your pain“ – mit diesen Worten und mit Tränen in den Augen sprach Bill Clinton zu den Familien der Opfer eines Bombenanschlages. Beobachter und Analytiker glauben, hier das Geheimnis des ehemaligen US-Präsidenten entdeckt zu haben: die besondere Gabe, Menschen das Gefühl zu geben, er verstünde sie. (Diesen Satz hat er, anders formuliert, auch bei anderen Anlässen verwendet.) Von seinen politischen Kontrahenten wird Clinton daher als empathischer „charmer“ beschrieben. Also als jemand, der offen auf andere Menschen zugeht, ihre Nähe sucht, ihnen in die Augen schaut, ihre Hände drückt und ihnen zeigt: ich höre dir zu, ich interessiere mich für dich und deine Probleme.

Wo hört Sympathie auf? Wo fängt Empathie an? Sympathie ist eine Vorstufe der Empathie und wird mit Mitgefühl adäquat umschrieben. Wir können Erfahrungen gefühlsmäßig nachvollziehen und deshalb auch teilen, weil wir sie auch selber gemacht haben. Wenn wir mit dem Patienten mitfühlen, der im Behandlungsstuhl sitzt, können wir das deshalb, weil wir uns daran erinnern, wie sich Zweifel, Furcht oder Freude anfühlen. Entsprechend können wir dann mit Trost, Ruhe oder Freude reagieren. Sympathie zeigen – das ist zwar gefühlsbetont, bleibt aber „eine oberflächliche Gemeinsamkeit zwischen Menschen“ (Heiko Ernst).

Die Kunst, sich einzufühlen

Empathie hingegen ist mehr als Mitgefühl oder Mitleid. Es ist die Bereitschaft und Fähigkeit, sich die Einstellung anderer Menschen anzueignen, einen anderen Menschen zu verstehen, sowie entsprechend im richtigen Maße zu reagieren. Das bedeutet aber nicht, „vor Mitgefühl zu zerfließen“ oder „Gefühle zu teilen“. Es bedeutet vielmehr, die Perspektive zu wechseln und das Verhalten und das Denken eines anderen Menschen, zu verstehen – sich also in jemanden hinein zu versetzen.

Empathie setzt Aufmerksamkeit, sorgfältiges Zuhören, genaue Beobachtung und auch eine gewisse Distanz voraus. Denn erst wenn wir verstehen können, was eine andere Person denkt und fühlt, was sie vorhat, welche Motive oder Komplexe sie antreiben und wie sie wirklich zu uns steht, können wir auf sie eingehen.

Wenn der Zahnarzt seinem Patienten gegenüber sitzt – insbesondere beim Erstgespräch, oder besser noch beim Kennenlernen – oder seine Mitarbeiter motiviert, dann hilft es, zu fragen: Was bedeutet das Gefühl? Was fange ich an mit der Einsicht, die ich über den anderen Menschen gewonnen habe? Ein empathischer Zahnarzt  lässt sich nicht von Stereotypen oder Vorurteilen beirren, sondern kann auch die leisen Zwischentöne zur Kenntnis nehmen. Um den Patienten genau zu verstehen, muss er auch seine eigene Befindlichkeit und das eigene Verhalten beobachten: Wie drückt er seine Gefühle und Gedanken aus? Wie zeigt er, dass er wirklich mitdenken und helfen will?

Empathie in der Praxis

Für einen empathischen Umgang mit anderen Menschen gibt es einige Orientierungspunkte:

1. Die richtigen Fragen stellen:„Sie glauben also wirklich, dass der Heil- und Kostenplan zu hoch ist?“ Mit einer solchen Frage wird die abwehrende Reaktion des Patienten vorweggenommen. Der Patient wird „zumachen“ oder übernimmt eine negative Einstellung.

Stellen Sie eine offene Frage, zum Beispiel: „Was gefällt Ihnen an der Therapieplanung?“ Offene Fragen zeigen Interesse am Gesprächspartner und geben ihm die Möglichkeit, über sich und seine Erwartungen zu erzählen.

2. Auf die Körpersprache achten:Wenn ein aufgeregter und wütender Patient Ihnen gegenüber sitzt, greift seine Erregung über kurz oder lang auf Sie über. Seine Wut ist ansteckend; Sie empfinden sich als Zielscheibe dieses Zorns und reagieren mit Abwehr. Hier hilft es, tiefergehend nachzufragen: Warum reagiert der Patient gleich so heftig? Sie können als Zahnarzt seine Aufregung erst dann verstehen, wenn Sie entspannt sind. Erinnern Sie sich daran, wie Sie oft selber wütend waren, weil Sie sich missverstanden oder gestresst gefühlt haben. Bleiben Sie ruhig, dadurch wirken Sie beruhigend auf Ihren Gesprächspartner.

3. Es könnte an etwas anderem liegen:Das Verhalten des Patienten in einer bestimmten Situation hat womöglich nichts mit Ihnen oder der aktuellen Situation zu tun. Vielleicht hat er gerade persönliche Probleme, die ihn bedrücken, oder Ärger bei der Arbeit. Jeder trägt unerledigte Konflikte mit sich herum und diese färben die Gegenwart. Hier hilft es, objektiv zu bleiben und nicht nach dem Motto zu arbeiten: Gleiches mit Gleichem.

4. Grenzen setzen:Empathie bedeutet nicht, persönliche Informationen über ähnliche Erlebnisse auszutauschen, sondern vielmehr, auf die Belange des Gegenübers einzugehen. Wenn etwa ein Patient sich über vergangene enttäuschende Behandlungen oder seine Angst äußert, dann vermeiden Sie Antworten wie: „Ich habe selbst schon mal so etwas erlebt.“ Eine so geschaffene Vertrauensbasis ist von kurzer Dauer und behindert das Einfühlen. Jeder möchte, dass seine Probleme und Emotionen als einzigartig respektiert werden.

Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Sabine NemecRosenstr. 1263450 Hanauwww.snhc.de

Dr. Günter DohmBismarckstr. 2767059 Ludwigshafen am Rhein

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