Verschärfung der Steuerfahndung

Gläserne Akten, gläserne Konten

Das Bankgeheimnis existiert nur noch auf dem Papier. Zug um Zug ziehen Gerichtsurteile und neue Gesetze die Schlingen der Steuerfahndung immer enger. Geldwäsche oder neuerdings Terrorschutz und Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs sind die Feigenblätter, unter deren Schutz der Fiskus seine Steuerzahler mittlerweile total ausforschen kann.

Es war einmal nicht einfach, einen deutschen Steuerzahler in die Zange zu nehmen. Steuerprüfer mussten ihre Absicht beim mutmaßlichen Delinquenten anmelden und einen Termin vereinbaren. Der avisierte Prüfer hatte kein Recht, ohne richterliche Erlaubnis die Wohnung oder die Betriebsstätte seines Prüflings zu betreten. Ihm konnte zu Prüfzwecken ein Arbeitsplatz beim Steuerberater zugewiesen werden. Er hatte auch kein Recht, ohne Zustimmung des Arbeitgebers Angestellte zu befragen. Ihm war auch nicht gestattet, ohne weiteres private und betriebliche Computer zu durchforsten.

All diese Schutzbarrieren sind nun fortgeräumt. Seit Jahresbeginn 2002 ist ein „Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz“ in Kraft. Es soll in erster Linie die betrügerische Erstattung von Mehrwertsteuern bekämpfen. Hierdurch soll der Fiskus schätzungsweise einen zweistelligen Milliardenbetrag verlieren. Diese Betrugsmasche ist schon so alt, wie die zur Mehrwertsteuer umfunktionierte Umsatzsteuer. Und Umsatzsteuerbetrug wurde schon immer hartnäckig bekämpft. Deshalb ist der Verdacht nicht abwegig, dass sich der Staat mit dem neuen Gesetz ein Einfallstor geschaffen hat, um direkt beim Steuerbürger auf breiter Basis nach hinterzogenen Geldern schnüffeln zu können – eben nicht nur nach hinterzogenen oder zu Unrecht rückerstatteten Umsatzsteuern. Denn das neue Gesetz ist faktisch nicht auf die Umsatzsteuer begrenzt. Unter dem Vorwand, vermuteten Unregelmäßigkeiten bei der Umsatzsteuer nachzugehen, lassen sich jetzt alle Einkunftsquellen und Steuerarten überprüfen.

Das wäre noch hinzunehmen, wenn sich nicht ein völlig neuer Tatbestand in das Gesetz eingenistet hätte: Finanzbeamte dürfen nun ohne Voranmeldung, also völlig überraschend, Betriebsstätten aufsuchen. Und das einfach so. Es muss nicht einmal mehr der Verdacht auf Steuerhinterziehung bestehen. Was die Beamten bei der Prüfung von Umsatzsteuerzahlungen und -erstattungen sonst noch als „steuerliches Mehrergebnis“ finden (oder gezielt suchen – wer kann das unterscheiden?), dürfen sie im Hinblick auf andere Steuern verwerten.

Mehr noch: Seit Januar 2002 dürfen Steuerprüfer auch die Computer ihrer Klientel anzapfen. Sie haben ein Recht darauf, eingewiesen zu werden, relevante Daten und Dateien auf Disketten oder CD-ROMs abzuspeichern und mit ins Amt zu nehmen. Hier werden die Daten mit speziellen Analyseprogrammen durchforstet. Neben dem Rechnungswesen, in dem die Umsatzsteuer angesiedelt ist, dürfen auch die Finanz-, die Lohn- und die Anlagenbuchhaltung durchleuchtet werden.

Ergeben sich daraus „steuerlich relevante Daten in anderen Bereichen“, so die Verwaltungsanweisung des Bundesfinanzministers, müssen diese zugänglich gemacht werden. Der Schritt von der Lohnbuchhaltung für die Angestellten zum Einkommen des Arbeitgebers ist somit rechtlich abgedeckt.

Nahezu perfide sind zwei der zahlreichen Verdachtskriterien, die Spontanprüfungen auslösen können: das hohe Alter eines Betriebs- oder Praxisinhabers oder die Tatsache, dass der beauftragte Steuerberater in der Vergangenheit hervorgetreten ist als Anwalt von Mandanten, die der Steuermanipulation oder der Steuerhinterziehung beschuldigt wurden. Wer also vor dem Ruhestand steht, dem traut der Staat offenbar noch allerlei Steuerschandtaten zu. Und wer einen Überfall von Seiten seines Finanzamts nicht gerade provozieren möchte, sollte möglichst einen Steuerberater haben, der nur „saubere“, unbelastete Klienten und keine Steuersünder in seiner Kartei hat. Obwohl das nicht zu steuern und auch nicht zu vermeiden ist. Womöglich schlummert hier wieder einmal ein Fall für das Verfassungsgericht.

Konten im Schaufenster

Auch bei den Geldinstituten genießt der deutsche Steuerzahler, in krassem Widerspruch zum Bankgeheimnis, kaum noch Schutz vor den Steuerschnüfflern. Ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht hat das Bankgeheimnis weitgehend ausgehebelt, als es im Jahr 1994 eine Razzia bei der Dresdner Bank für Rechtens erklärte. Diese Razzia basierte auf dem Verdacht der Steuerhinterziehung in Luxemburg und hatte einen Strafbefehl an den damaligen Vorstandsvorsitzenden zur Folge. Wohl alle Kunden der Dresdner Bank, die ein Konto oder ein Depot bei deren Luxemburger Tochter haben oder hatten, flogen auf. Nun sollen im Zuge der Terrorbekämpfung staatliche Behörden die Möglichkeit erhalten, womöglich ab Sommer 2002 über einen Datenpool alle bei einem Geldinstitut geführte Konten und deren Inhaber abfragen zu dürfen. Bislang durften die Konten und Depots von Bankkunden laut § 30a der Abgabenordnung von Steuerprüfern nicht systematisch durchforstet werden. So etwas nennt sich Bankgeheimnis. Doch wenn Bankbetriebsprüfer während ihrer Arbeit „rein zufällig“ auf verdächtige Kontenbewegungen stoßen, dürfen sie an das zuständige Finanzamt durchaus ihre beim Steuerzahler gefürchteten Kontrollmitteilungen schreiben. Und wenn ein Finanzbeamter es ausdrücklich wünscht, wird ein Bankkunde auf ganz einfache Art gläsern gemacht: Der Fiskus präsentiert vage Anhaltspunkte für ein Steuervergehen, und schon ist die Bank zur Auskunft verpflichtet.

Sogar flächendeckende Kontrollen sind rechtlich zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte oder auch Erfahrungswerte auf Steuerverkürzungen verweisen. Ein konkreter Anhaltspunkt könnte folgender sein: Besteht auch nur die Vermutung (und die besteht immer), dass Kunden, die bei einer Bank ein Konto besitzen, aber dennoch bei dieser Bank per Barzahlung Tafelpapiere erworben haben, liegt der Verdacht auf Steuerhinterziehung nahe. Eine Rastersuche nach solchen Kunden und Geschäften ist dadurch legitimiert.

Das Niedersächsische Finanzgericht zu Hannover sprach im vergangenen Jahr ein Urteil, das alle Steuerbürger gleichsam für vogelfrei erklärt. Danach sind flächendeckende Kontrollen bei Banken schon dann erlaubt, wenn eine Publikation ganz allgemein berichtet hat, dass nach den zurückliegenden Börsenboomjahren mit seinen zahlreichen, für viele Anleger zumeist hoch profitablen Neuemissionen bei den Finanzämtern kaum steuerpflichtige Spekulationsgewinne deklariert worden seien. Diese Meldung hatten einige Finanzbeamte aus Hannover zum Anlass genommen, bei den Banken der Region systematisch nach unversteuerten Spekulationsgewinnen zu forschen.

Einmarsch der Steuerprüfer

Diese Aktion mit der zugehörigen Argumentation fand eine gerichtliche Billigung. Der Bundesfinanzhof dürfte in Kürze dieses Urteil bestätigen. Dann könnten Steuerprüfer unter Berufung auf ganz allgemeine Medienberichte in die Geldinstitute einmarschieren und sich beispielsweise alle Depots auflisten lassen, in denen im Laufe von zwölf Monaten Börsentransaktionen stattfanden. Die eventuellen Kursgewinne tauchen dann, mit einem Blick auf den Kauf- und den Verkaufskurs, wie von selber auf.

Fazit: Wer heute noch auf § 30a der Abgabenordnung vertraut, in dem das deutsche Bankgeheimnis definiert ist, läuft ahnungslos in viele offene Messer. Das bedeutet: Wer steuerpflichtige Kapitalerträge oder Kursgewinne erzielt hat oder auch nur einen Euro Bargeld bei seiner Bank eingezahlt hat, sollte davon ausgehen, dass über kurz oder lang sein Finanzamt davon Kenntnis hat.

Der langjährige Autor unserer Rubrik „Finanzen“ ist gerne bereit, unter der Telefon-Nr. 089/64 28 91 50 Fragen zu seinen Berichten zu beantworten.

Dr. Joachim KirchmannHarthauser Straße 2581545 München

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