Zahnärztliche Behandlung bei Sklerodermie
Anamnese
Die 61-jährige Patientin stellte sich mit dem Wunsch zur Extraktion des gesamten Restgebisses vor: „Ich möchte mit meinen Zähnen nicht auch noch Schmerzen haben“. Ihr allgemeinmedizinischer Befund war durch eine Sklerodermieerkrankung und einen dadurch bedingten psychisch stark reduzierten Zustand gekennzeichnet.
Bei der zahnärztlichen Anamnese ergab sich auch, dass zuvor bereits vier Universitätszahnkliniken aufgesucht worden waren. Dort konnte der Patientin jedoch nicht in ihrem Sinne geholfen werden.
Die Patientin schilderte ausführlich, wie sie durch die Erkrankung aus ihrem aktiven beruflichen Leben gerissen wurde. Auch im Privatbereich fühlte sie sich durch den äußeren Eindruck, hervorgerufen durch die fehlenden Zähne, stark eingeschränkt.
Ich gewann schnell den Eindruck, dass sich die Patientin nach einer wahren Odyssee von Arztbesuchen selbst aufgegeben hatte. Die verzweifelte Patientin musste erst einmal davon überzeugt werden, dass die Extraktion sämtlicher Zähne eine prothetische Versorgung nahezu unmöglich macht. Erst nach langen Gesprächen entschied sich die Patientin für eine teleskopierende Prothese zum Ersatz der fehlenden Zähne im Oberkiefer.
Befund
Die extraorale Untersuchung ergab eine durch die Verhärtung der Gesichtshaut stark eingeschränkte Mundöffnung. Die Palpation der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke war unauffällig. Intraoral zeigte sich im Unterkiefer ein durch kariöse Zerstörung behandlungsbedürftiges Restgebiss. Der Mundhygienestatus ergab einen approximalen Plaque-Index von 60 Prozent. Die Sondierungstiefen betrugen bis zu drei Millimeter. Es lagen keine erhöhten Zahnlockerungen vor.
Der dentale Status zeigte im Oberkiefer die kariesfreie Restbezahnung 17, 16, 23, 25, 26, 27. Kariös, aber erhaltungswürdig waren die Unterkieferzähne 36, 35, 34, 44, 45, 46. Die Schaltlücke zwischen 33 und 43 war mit einem Langzeitprovisorium versorgt. Zähne 37, 47, 48 fehlten.
Prothetische Versorgung
Die prothetische Versorgung des Unterkiefers stellt unter diesen Umständen nur ein geringes Problem dar, da es sich bei 36, 35, 46, 45 um Einzelkronen handelt und eine Brücke von 34, 33, auf 43, 44 problemlos eingegliedert werden kann. Nach einer Kariestherapie erfolgt die prothetische Versorgung des Unterkiefer zu einem späteren Zeitpunkt.
Die prothetische Versorgung des Oberkiefers dagegen war eine Herausforderung. Aber wie muss eine Prothese gestaltet sein, die durch eine solch eingeschränkte Mundöffnung geführt werden soll? Wie formt man einen Oberkiefer ab, wenn der dazu nötige Abformlöffel niemals durch die oben gezeigte Mundöffnung passt?
Zur Abformung müssen nacheinander zwei Teillöffel eingebracht werden, deren Position zueinander mit einem dritten individuellen Teillöffel intraoral festgelegt wird. Das gleiche Prinzip gilt für die prothetische Versorgung.
Auch die Prothese muss in zwei Teilen eingeführt werden, die intraoral durch ein Geschiebe verbunden werden.
Die Therapie
Zunächst erfolgte eine auf die speziellen Verhältnisse abgestimmte Individualprophylaxe. Der approximale Plaque-Index konnte durch Vermittlung von speziellen Putztechniken und die Verwendung einer elektrischen Zahnbürste auf 20 Prozent verbessert werden.
Wegen der geringen Mundöffnung stellte die Präparation der Oberkieferzähne an meine Patientin und mich besondere Ansprüche. Die Abformung der präparierten Oberkieferzähne erfolgte nacheinander mit Teillöffeln.
In der nächsten Sitzung wurde die Einprobe der Primärteile und die Abformung der Maxilla im Ganzen durchgeführt.
Die Abformung erfolgte wie oben beschrieben mit zwei individualisierten Konfektionslöffelhälften, die mit einem Einphasen-A-Silikon beschickt waren. Es musste streng darauf geachtet werden, dass die beiden Abformungen sich nicht miteinander verbinden. Mit einem dritten Löffel, der mit Abdruckgips beschickt war, wurden die beiden Löffel dann intraoral verschlüsselt. In umgekehrter Reihenfolge wurden die Löffel aus dem Mund genommen. Extraoral ließen sich nun die Löffel wieder zusammensetzen, so dass die Herstellung eines präzisen Modells der Maxilla als Arbeitsgrundlage für die Zahntechnik vorgenommen werden konnte. Nur in enger Zusammenarbeit mit einem kompetenten Labor konnten die Arbeitsabläufe auf diesen außergewöhnlichen Fall abgestimmt werden. Nach der Relationsbestimmung und Wachseinprobe stellte das zahntechnische Labor eine Teleskopprothese in zwei Teilen, verbunden durch ein individuelles Geschiebe regio 11/21, her. Ohne weitere Korrekturen konnte die exakt passende Teleskopprothese eingegliedert werden.
Resümee
Wegen der von ihr als hoffnungslos empfundenen Situation, verlor die Patientin nach dem Eingliedern ein paar Tränen der Freude.
Gemeinsame Anstrengungen führten schließlich zu einer individuellen Lösung und dadurch zu einer deutlichen Verbesserung ihrer Lebensqualität. Kaufunktion und Ästhetik konnten wie bei einer „normalen“ Rehabilitation wiederhergestellt werden. Das Handling mit der zweigeteilten Prothese stellt für die Patientin keinerlei Schwierigkeit dar. Auch der psychische Zustand war bereits nach einem Monat sichtlich verbessert.
Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
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