Reminiszenzen – Reflexionen – Herausforderungen

Berufsstand im Wandel der Zeit

Wenn auch der zahnärztliche Berufsstand nicht unmittelbar von den vor allem ethisch geprägten Auseinandersetzungen über die Gentechnik betroffen ist, besteht allein schon wegen der technologischen Entwicklung innerhalb der oralmedizinischen Versorgung eine kaum übersehbare Diskrepanz zwischen den Erfordernissen, Möglichkeiten und Grenzen des komplexen Leistungskatalogs. Der gegenwärtige Stand von Wissenschaft, Technik und Recht stellt hohe Anforderungen an alle Fachweltbereiche und -berufe, die insbesondere mit dem Begriff der voraussetzungsorientierten Sicherung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in den verschiedenen Arbeitssystemen verbunden sind. Politische und wirtschaftliche Aspekte beeinträchtigen allzu oft die Kraft des positiven Denkens und Handelns auch im Sinne der Freiberuflichkeit des Zahnarztes. Nicht zu unterschätzen sind die menschenbezogenen Defizite in punkto Fortbildung und der damit verknüpften Anpassung an die oralmedizinische und -technische Evolution.

Wenn man – wie der Autor – die ganze Epoche der letzten fünf Jahrzehnte „sehenden Auges“ miterlebt und punktuell auch aktiv mitgestaltet hat, wird einem in steigendem Maße bewusst, dass zwischen der Situation unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg und den verschiedenen Zwischenstadien einerseits sowie der heutigen Lage andererseits ein geradezu fantastischer Unterschied besteht.

Niemand – weder unsere Lehrer noch wir frisch approbierten Zahnärzte – konnte im Jahre 1950 auch nur einigermaßen voraussagen, wie der Stand von Wissenschaft, Technik und Recht am Anfang des 21. Jahrhunderts aussehen würde. Die Kunststoffe – bei der IDS 1937 mit dem „Evergreen“ Paladon erstmals vorgeführt – hatten den Kautschuk als Prothesenmaterial allmählich abgelöst. Zemente und Amalgam (noch mit Gamma-2-Phase) waren die Standard-Füllungsmaterialien. Die maximale Drehzahl der Stahlbohrer und -fräser sowie der keramischen Schleifkörper betrug 15 000 min-1. Teilprothesen wurden aus Stahl geprägt und mit individuell gebogenen Stahlklammern (als „Extraktionshilfen“) versehen. Kronen wurden aus geschnittenen und zusammengelöteten Blechstücken sowie einer gegossenen Kappe hergestellt. Die „Einserpraxis“ (= ein Zahnarzt, eine Helferin, ein Behandlungsplatz, ein Wartezimmer) war Standard. Äußerst selten gab es Praxen mit einem Bestellsystem. Die überwiegende Zahl der Maßnahmen (zum Teil zu 100 Prozent) wurde stehend am sitzenden Patienten ausgeführt. In nur sehr wenigen Praxen gehörte die Keramik-Jacketkrone – mit dem dabei notwendigen Kupferring/Stentsabdruck – zum Versorgungsumfang. Der Gipsabdruck mit seinem unvermeidlichen Puzzlespiel ließ kaum Präzisionabformungen zu. Der zu den Kassen zugelassene Zahnarzt erhielt eine Scheinpauschale von zirka elf Mark pro Quartal und war gezwungen, mit den Scheinen von Oma und Opa (damals „durch die Bank“ Träger von Totalprothesen) die Sanierung bei den Enkelkindern zu versuchen. Eben diese Oma trug mit den Lutschstangen aus einer aggressiven Zuckerqualität nicht unwesentlich zum oft schrecklichen Zustand der Kindermäuler bei. Die Praxen blieben ungezählt, wo das Kindergebrüll am Nachmittag die Regel war. Nur wenige Zahnärzte besaßen ein eigenes Haus und auch nicht viele ein Auto.

Als der Autor am Anfang der 60er Jahre mit der Versorgung von Kunststoff- und dann allmählich von Keramikverblendkronen begann, wollte ihn sein früherer Meister – bei dem er 1940/41 zwischenzeitlich in der Lehre war – davon mit der Bemerkung abbringen, dass doch der Dr. W. – damals einer der prominenten Zahnärzte in Koblenz – diesen modernen Kram nicht mitmachen würde. Gerade die wohlhabenderen Patienten vom Land wollten doch mit ihren sichtbaren Goldkronen ihren „Reichtum“ demonstrieren.

Mit der CrCoMo-Modellgrussprothese und den Metallkeramik-Rekonstruktionen, aber vor allem mit der Einführung der Präparationstechnik im höheren Drehzahlbereich (> 100 000 min-1) und der Zahnsubstanz schonenden Kühltechnik und den wesentlich verbesserten Abformmaterialien wurde in der Mitte der 60er Jahre eine neue Ära begonnen, die zu einem totalen Wandel der Praxis- und Arbeitsgestaltung führte. Der Computer kam erst viel, viel später. Und die Implantation war bis 1982 ein exotisches Unterfangen.

Seit der IDS 1951 in Hamburg – ein Jahr nach meinem Staatsexamen – waren die 19 IDSVeranstaltungen des Verbandes der Deutschen Dental-Industrie immer wieder Spiegelbild der Produkt- und Verfahrensentwicklung. Wer sie im Dreijahres- und seit 1995 im Zweijahresabstand bewusst erlebt hat, kann einigermaßen abschätzen, welches Stadium mit der IDS 2001 erreicht worden ist. Gewiss, eine Reihe von neuen Erzeugnissen waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr innovativ, da die Prototypen und weitere Entwicklungsstufen schon vorher vorgestellt worden waren, etwa die digitale Röntgentechnik, die Fortschritte im Keramikbereich, der EDV-Einsatz als Ganzes oder die minimalinvasive Präparationstechnik, um nur ein paar der neueren Entwicklungen zu nennen. Prävention und Ästhetik beherrschen mehr und mehr das Denken und Handeln. In mancherlei Beziehung gibt da auch bei uns den Widerstreit zwischen Ethik und Technologie. Und wir müssen in beiden Feldern unsere Kompetenz beweisen.

Karlheinz KimmelLöhrstraße 13956068 Koblenz

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