Drei neue Gutachten im Gesundheitswesen

Da geht’s lang

Sachverständigenrat, Wirtschaftsforschungsinstitut oder Expertenkommission – zurzeit kommen gute Ratschläge zur Zukunft des Gesundheitswesens aus allen Richtungen. Viele hundert Seiten Papier, viele Vorschläge – teils alter Hut, teils radikale Umorientierung. Hier eine Zusammenfassung der Kernpunkte.

„Wir sind nicht bereit, länger als Sündenbock für gesetzgeberische Mängel und die Handlungsunfähigkeit der Krankenkassen herzuhalten“, polterte Manfred Richter- Reichhelm auf der KBV-Vertreterversammlung in Berlin. Er forderte Politik und Krankenkassen zu einem sachbezogenen Dialog auf, statt leere Wettbewerbsplatitüden zu reproduzieren. Grund für den Unmut: das Gutachten „Weichenstellung für die Zukunft – Elemente einer neuen Gesundheitspolitik“.

Das 20-seitige Werk der Expertenkommission – bestehend aus den vier Professoren Gerd Glaeske, Karl Lauterbach, Bert Rürup und Jürgen Wasem – birgt viel Sprengstoff. Zentrale Aussage der Wissenschaftler: die kassenärztliche Selbstverwaltung sei strukturell überfordert und das Monopol der KVen im Hinblick auf Vertrags- und Vergütungsstrukturen nicht zukunftsfähig. „Krankenkassen brauchen die Möglichkeit, mit Ärzten, Ärztenetzen und auch Krankenhäusern direkt Behandlungsverträge schließen zu können“, heißt es im Gutachten. Weitere Kernpunkte der Expertenkommission:

• Absage an Grund- und Wahlleistungen: „Es gibt keine Notwendigkeit für einen grundlegenden Systemwechsel in Richtung einer Privatisierung des Gesundheitsrisikos“

• Qualitätskontrolle: Unabhängige Institutionen sollen geschaffen werden, die mit evidenzbasierten Leitlinien Qualitäts- und Versorgungsziele vorgeben

• Integrierte Versorgung: Förderung einer sektorenübergreifenden Behandlung durch Verknüpfung von stationärem und ambulantem Sektor

• Förderung von medizinischen Innovationen; der therapeutische Nutzen muss jedoch zweifelsfrei belegt sein

• Priorität der Vorsorge: „Eine moderne Gesundheitspolitik setzt auf den Vorrang der Prävention“

• Das Qualifizierungssystem im Gesundheitsbereich muss verbessert und für Ärzte attraktiver werden

• Abkopplung der Versicherungspflichtgrenze vom Lohn: Alle Einkünfte – etwa aus Mieteinnahmen – müssen zur Beitragsbemessung herangezogen werden

• Lotsenfunktion des Hausarztes neben der Basisversorgung

Das Gutachten der vier Professoren bestätigt im Wesentlichen die von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bereits im Eckpunktepapier vertretenen Ansätze – wen wundert’s, war doch die SPD Auftraggeberin des Gutachtens.

Fast zeitgleich mit diesem kam auch das Zusatz- Gutachten des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen heraus. Das Hauptgutachten war zu dem Ergebnis gekommen, es gebe parallel eine Über-, Unter- und Fehlversorgung. Diese Fehlsteuerungen seien das Kernproblem für ein patienten-, gesundheits-, und effizienzorientiertes Gesundheitssystem. Unter der Überschrift „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“ ging es im jetzt vorgestellten Zusatzpapier um Effektivität in der Arzneimittelversorgung. Für die Gutachter ergeben sich große Effizienzpotentiale durch

• Umstellung von Originalpräparaten auf Generika

• Nutzung von Preisdifferenzen zwischen Krankenhaus und öffentlicher Apotheke

• Substitution von teuren Analogpräparaten (me-too-Präparate) durch therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe

• Erwerb preisgünstiger Arzneimittel im Ausland und Aufhebung des Versandhandelsverbotes

• Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel

• Aufhebung der „Preisbindung der zweiten Hand“ bei nicht verschreibungsgspflichtigen Medikamenten

Mit drastischen Beitragsberechnungen wartete das dritte – ebenfalls im Dezember vorgestellte – Gutachten auf. „Die Spanne der errechneten Beitragssätze für das Jahr 2040 reicht unter Ausschluss der Extremwerte von 18 bis 28 Prozent.“ Allerdings: Der demographische Faktor durch Bevölkerungsalterung ist bei diesen Berechnungen vernachlässigbar. Von einer Kostenexplosion könne derzeit keine Rede sein, heißt es in diesem Gutachten des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW). Radikalste Vorschläge der Expertise, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt wurde:

• Auflösung der privaten Krankenversicherung und Ausdehnung der Pflichtversicherung auf die gesamte Wohnbevölkerung.

• Finanzierung dieses neuen Systems: Erhebung von – nach Krankenkassen differenzierten – Pro-Kopf-Beiträgen. Der Arbeitgeberanteil könnte direkt an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden, wodurch der Krankenkassenwettbewerb stärker gefördert würde. Zusatzeffekt: der Druck einer lohnbezogenen Beitragsstabilität entfiele.

Die Gutachter sind sich allerdings einig, dass wesentliche Grundvoraussetzung für mehr Wettbewerb ein funktionierender Risikostrukturausgleich sei. Auch in diesem Gutachten wird die Aufsplittung des Leistungskataloges abgelehnt: „Einschränkungen des Leistungskataloges sind keine Maßnahme der Effizienzsteigerung. Auch die Trennung in Pflicht-Absicherung und freiwillige Vorsorge ist im Gesundheitswesen gegenwärtig nicht zielführend.“

Die BZÄK wird zu den Gutachten in Kürze eine ausführliche Stellungnahme erarbeiten. om

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