Gastkommentar

Minus-Bilanz

Das alte Jahr bescherte uns die Rezession, Kursstürze an den Börsen, wieder steigende Arbeitslosenzahlen und den Kampf gegen den Terrorismus. Für das neue Jahr sind die Perspektiven kaum besser. Zwar sinken Preise und Zinsen, dennoch ist allenfalls im zweiten Halbjahr mit einer Stabilisierung der Konjunktur und Wachstum zu rechnen.

Auch Deutschland ist in der Rezession angekommen. Das Sozialprodukt wächst nicht mehr, es schrumpft. Das wird von manchen, die von eigenen Versäumnissen ablenken wollen, den Amerikanern angelastet. Fast zehn Jahre lang war Amerika die Konjunkturlokomotive der Welt. Nicht zuletzt wir Deutschen haben davon profitiert; der Export hat das wirtschaftliche Wachstum bei uns kräftig beschleunigt. Aber auch die amerikanische Hochkonjunktur musste einmal enden. Man hätte sich eine weiche Landung gewünscht, doch der Abschwung führte rasch in die Rezession. Der neue Ölpreis-Schock, der starke Dollar und der Börsencrash trugen dazu bei.

Inzwischen sind die Ölpreise wieder kräftig gesunken, und an den Börsen macht sich vorsichtiger Optimismus breit. Das könnte als Signal für einen neuen Aufschwung gesehen werden. Doch so einfach funktioniert die Wirtschaft nicht. Das liegt auch daran, dass mit der Globalisierung die nationalen Volkswirtschaften enger vernetzt worden sind. Wenn die konjunkturellen Risiken so groß geworden sind, so liegt dies auch daran, dass nahezu gleichzeitig alle wirtschaftlich bedeutsamen Regionen dieser Welt in die Rezession geraten sind. Das macht die Lage so brisant und jede in Zahlen fixierte Prognose problematisch. Das gleicht dem Lesen im Kaffeesatz.

Finanzminister Eichel, der für das abgelaufene Jahr zunächst mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 2,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gerechnet hatte, muss sich am Ende mit etwa 0,7 Prozent zufrieden geben. Die Bundesregierung und fast alle professionellen Konjunkturpropheten mussten von Quartal zu Quartal ihre Prognosen und Erwartungen nach unten korrigieren.

Jetzt rechnet Eichel für 2002 mit einer Wachstumsrate von etwa 1,25 Prozent. Im Wahljahr ist Optimismus für die Regierenden Pflicht.

Die Sachverständigen sehen die Entwicklung inzwischen noch skeptischer. Ihre Prognosen liegen deutlich darunter; bis nur 0,7 Prozent reichen auch für 2002 die Erwartungen. Der Optimismus Eichels stützt sich vor allem darauf, dass die Preise fallen, der so wichtige Ölpreis nicht wieder steigt und die Zinsen weiter sinken, was die öffentlichen Haushalte entlastet und zu Investitionen anregt.

Die Pessimisten verweisen auf die schlechte Stimmung der Unternehmen. Die Investitionen nehmen ab. Sie sind Motor für Wachstum und Beschäftigung. Vom Export gehen kaum Impulse aus, solange die Weltwirtschaft in der Krise steckt. Eichel verweist gerne auf die Wirkung der Steuerreform; sie stütze die Nachfrage. Aber die Wirkung dieser Reform ist verpufft. Der Entlastungseffekt, der bis 2005 gestreckt wird, ist zeitweise durch den inflationären Preisanstieg, vor allem für Energie, kompensiert worden. Die mittelständische Wirtschaft und die Bezieher mittlerer Einkommen sind bislang faktisch nicht entlastet worden. Hier vor allem wäre Kaufkraft zu mobilisieren. Aber die Koalition lehnt jedes Vorziehen der nächsten Stufen der Steuerreform ab. Der Hinweis auf den Anstieg der Schulden vermag nicht zu überzeugen, denn auch bei Fortdauer der Wachstumspause steigen überall die Defizite und damit auch die Schulden.

Deutschland ist zum Schlusslicht der wirtschaftlichen Entwicklung Europas geworden. Das liegt nicht nur an der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft, sondern auch an der Verkrustung der Strukturen und dem fehlenden Mut, die Sozialsysteme konsequent zu reformieren. Da wird teuere Arbeitsbeschaffung finanziert, obwohl damit rentable Arbeitsplätze nicht geschaffen werden. Riesters Rentenreform wird schon bald nachgebessert werden müssen; seine Rechnungen gehen nicht auf. Gesundheitsministerin Schmidt versucht krampfhaft, sich und das kranke System bis zum Wahltag zu retten.

Schröders innenpolitische Bilanz ist mager: Die Wirtschaft lahmt, die Abgabenbelastung steigt, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Politik trickst mit Zahlen, die IG Metall schockt mit ihrer Lohnforderung von fünf bis sieben Prozent die Unternehmen, nach der Wahl droht die Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Für Optimismus bleibt da wenig Platz.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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