In Zukunft keine Wahl mehr
Trotz der erfolglosen Versuche, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen einzudämmen, bleibt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf Kurs: „Das solidarische Gesundheitssystem ist nicht nur beizubehalten, sondern auch durch die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze zu stärken.“
Nach dem Scheitern auf der Ausgabenseite will die Ministerin nun also die Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verbessern. Sie kündigte an, mit der geplanten „großen Gesundheitsreform“ im kommenden Jahr die Versicherungspflichtgrenze „massiv“ anzuheben. Diese liegt zur Zeit bei 3 375 Euro und legt die Höhe des Bruttoeinkommens eines Arbeitnehmers fest, von der an ein Wechsel in die Private Krankenversicherung (PKV) möglich ist. Ziel der SPD-Pläne: mehr „gut verdienende junge Menschen, die am Anfang ihres Berufslebens stehen“, sollen in der GKV bleiben, indem ihnen die Wechseloption erschwert wird. „Es ist nicht akzeptabel, dass sich im Zuge der Einkommensentwicklung immer mehr Menschen dem Solidarsystem entziehen können“, begründet Schmidt.
Dramatische Abwanderung
Doch auch dieser Schuss geht offensichtlich nach hinten los. Während im vergangenen Jahr noch rund 215 000 Versicherte in die PKV wechselten, waren es in den ersten Monaten dieses Jahres bereits rund 325 000 Beitragszahler. Eine dramatische Abwanderung von gut verdienenden freiwilligen Mitgliedern der GKV, die oberhalb der noch gültigen Versicherungspflichtgrenze lagen.
„Die unglückliche Diskussion um eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze treibt immer mehr freiwillig Versicherte zur PKV“, klagt Wolfgang Schmeinck vom BKK-Bundesverband. Dadurch entstehe den gesetzlichen Kassen ein Netto-Einnahmeverlust von rund einer Milliarde Euro. Die Angestellten-Kassen ziehen aus dieser Entwicklung allerdings ganz eigene Schlüsse: weg mit der Konkurrenz. Der Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) hat deshalb die radikale Forderung gestellt, die Versicherungspflichtgrenze ganz abzuschaffen – damit würden alle Arbeitnehmer in der GKV pflichtversichert. Schmidt erteilte diesem Vorschlag eine klare Absage.
Zumindest eine gute Nachricht für die PKV. Doch von der aktuellen Entwicklung halten die privaten Krankenversicherer trotzdem wenig. Natürlich freut man sich dort über den momentanen, unverhofften Mitgliederzuwachs. Doch diese Situation würde sich – sollte die SPD ihre Pläne wahr machen – bereits in wenigen Monaten deutlich umkehren. Vielen Versicherten würde damit in Zukunft die Wechseloption genommen. Durch das Anheben der Versicherungspflichtgrenze „würde die wichtigste Wahlmöglichkeit im Gesundheitswesen abgeschafft“, ärgert man sich im PKV-Verband. Die Konsequenz der drohenden Markteinschränkung: „Wir werden immer mehr von unserem Nachwuchs abgeschnitten.“ Deshalb will sich die PKV mit einer bundesweiten Kampagne gegen eine Anhebung der Pflichtgrenze wehren. Sollte die SPD ihre Pläne durchsetzen, kündigte der PKV-Verband den Gang vor das Bundesverfassungsgericht an.
Soviel ist klar: das Anheben der Pflichtgrenze würde die gute Marktentwicklung der PKV deutlich zurückwerfen. Doch die privaten Versicherer denken nicht nur an sich. Sei der Damm erst gebrochen und die bisherige Friedensgrenze erhöht, werde die rot-grüne Regierung auch die Beitragsbemessungsgrundlage anheben, sagt der PKV-Verbandsdirektor Christoph Uleer voraus. Diese fixiert den höchsten anrechenbaren Bruttolohn, für den ein freiwillig Versicherter in der GKV seine Beiträge bezahlt. Auch hier liegt die Grenze zurzeit bei 3 375 Euro. Von den Grünen kam bereits der Vorschlag, die Beitragsbemessungsgrundlage auf 4 500 Euro anzuheben. Sollten sich die Grünen mit dieser Idee durchsetzen, erhöhten sich die Beiträge der freiwillig gesetzlich Krankenversicherten um bis zu 30 Prozent, so der PKV-Verband. Auch der AOK-Bundesverband hält ein Anheben der Beitragsbemessungsgrundlage für den falschen Weg, um die Finanzmisere der gesetzlichen Kassen zu beenden. Statt die Einnahmen zu erhöhen, sei es sinnvoller, endlich die Ausgabenseite in den Griff zu bekommen, heißt es vonseiten der AOK.
Klare Worte
Auch Ulla Schmidt hat sich klar gegen eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrundlage ausgesprochen: „Ich halte nichts davon die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, weil freiwillig Versicherte schon jetzt hohe Beiträge zahlen.“ Der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach sieht das ganz anders: „Wir plädieren dafür, die Beitragsbemessungsgrenzen anzuheben und die Beitragspflicht zu vergrößern.“ Lauterbach ist Mitglied im Sachverständigenrat und wichtiger Ratgeber der Ministerin. Inwieweit die Worte der Ministerin nur ein Lippenbekenntnis sind, wird sich wohl erst nach der Wahl zeigen. om