Große Skepsis nach der Wahl
Die Gesundheitspolitik dürfte nach Expertenmeinung in der kommenden Legislaturperiode wohl unstrittig auf die rote Seite der Regierungskoalition gehören – zumindest vorläufig. Was die Lösung der akuten GKV-Finanzprobleme betrifft, so haben allerdings lediglich die Bündnisgrünen hierzu Vorschläge in ihrem Wahlprogramm gemacht. Auch, so die Einschätzung des Gesundheitspolitischen Dienstes Broll & Lehr, sind größere Änderungen am Ressortzuschnitt „eher unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen“.
Negative Rot-Grün-Bilanz
An der negativen Bilanz, die der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Rolf-Jürgen Löffler, nach vier Jahren Rot-Grün gezogen hatte, wird sich im schlimmsten Fall so schnell nichts ändern. „Für die zahnärztlichen Praxen wird es immer schwieriger, betriebswirtschaftliche Planungen vorzunehmen“, so Löffler vor wenigen Wochen, „weil sich im fast zweijährigen Rhythmus die gesetzlichen Grundlagen so ändern, dass langfristige, kostenintensive Investitionen zu Existenz bedrohenden Harakiri-Unternehmungen werden können.“ Der KZBV-Vorsitzende forderte eine Reform nach den Bundestagswahlen, bei der im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung befundorientierte Festzuschüsse eingeführt werden müssen.
Allerdings, so Löffler, habe der gesamte Wahlkampf der Regierungsparteien bereits gezeigt, dass dem Wähler die drängenden Probleme im Gesundheitswesen unter allen Umständen verheimlicht werden sollten. „Stattdessen wird schöngeredet und vorgegaukelt, alles könne so weitergehen wie bisher“, kritisiert der KZBVVorsitzende. „Jeder Reformvorschlag wird mit dem Totschlag-Argument ,Zwei-Klassen-Medizin’ zunichte gemacht.“ Niemand traue sich offen auszusprechen, dass diese leider längst Realität sei. Löffler: „Diese Regierung ist hilflos.“
Für den Vorsitzenden des Hartmannbundes, Dr. Hans-Jürgen Thomas, ist aufgrund des Wahlergebnisses in der Gesundheitspolitik ein „Durchwursteln wie bisher“ zu erwarten: „Eine umfassende, mutige und zukunftsorientierte Reform des Gesundheitswesens wird trotz ihrer absoluten Dringlichkeit auf unabsehbare Zeit in der gesundheitspolitischen Warteschleife verbleiben.“ Die Gründe hierfür sieht Thomas darin, dass die Regierung mit der denkbar knappsten Mehrheit ausgestattet ist; außerdem seien in den Bereichen Außenpolitik und Arbeitsmarkt derart große „Aufräumarbeiten“ zu leisten, dass Rot-Grün hiermit „langfristig umfassend beschäftigt sein wird.“
Was nach Thomas’ Ansicht auch als akutes Problem gesehen wird, ist die „sehr dünne Personaldecke von wirklichen gesundheitspolitischen Fachleuten“ in der Regierungskoalition. Sein Vorschlag zielt deshalb darauf, „einen externen, ausgewiesen ideologiefreien Fachmann an die Spitze des Gesundheitsministeriums zu berufen.“ Für den Hartmannbund-Vorsitzenden haben derzeit „Expertokraten als Paladine der amtierenden Ministerin in vielfach unqualifizierter Weise das Sagen“.
Auch der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) befürchtet: „Medizinischer Sachverstand bleibt im deutschen Parlament Mangelware.“ Nur vier Ärzte seien unter den 603 Bundestagsabgeordneten vertreten – in anderen europäischen Ländern seien die Gesundheitsberufe „wesentlich besser repräsentiert“. Beispielsweise seien unter den 577 Abgeordneten der französischen Nationalversammlung 40 Ärzte vertreten; im italienischen Abgeordnetenhaus und Senat sitzen 95 Mediziner.
In einem Zeitungsinterview hatte Dr. Frank Ulrich Montgomery, Bundesvorsitzender des Marburger Bundes, gefordert, dass Ärzte sich mehr in die Parteipolitik einmischen sollten. Es sei „schlimm“, dass Ärzte „nur über völlige parteipolitische Neutralität ihre Politik umsetzen können“. Montgomery weiter: „Das ist der Grund, warum wir heute von Sonderschullehrerinnen wie Ulla Schmidt regiert werden.“
Im unmittelbaren Vorfeld der Wahl hatte sich die SPD mit eine Radiospot zum Thema Gesundheit scharfe Kritik der KZBV eingehandelt. In diesem Spot wurde eine Situation dargestellt, bei der ein Zahnarzt die Behandlung seines Patienten während des Bohrens mit dem Kommentar abbricht: „Die zehn Minuten sind um, ab jetzt nur gegen Cash.“ Ein „Armutszeugnis und Offenbarungseid zugleich“ für ZA Dieter Krenkel, KZBV-Vorstand für Presse und PR. „Offenbar hat die Koalition zum Ende ihrer Regierungszeit doch noch erkannt, dass Budgetierung zu Rationierung im Gesundheitswesen geführt hat“, so Krenkel. „Anstatt ihren Irrweg und ihr Versagen in der Gesundheitspolitik aber offen zuzugeben und im Wahlkampf brauchbare Konzepte vorzuschlagen, macht sie nun Wahlwerbung mit der Angst der Menschen und mit der Diffamierung eines ganzen Berufsstandes.“
Für Verwunderung sorgte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in Sachen Disease Management Programme (DMP). Vor der Wahl hatten die einzelnen Länderverbände noch eine Anzeigenkampagne gestartet, um gegen die DMPs zu protestieren und entsprechende Verträge zu blockieren. Wenige Tage nach dem rot-grünen Wahlsieg lenkte die KBV dann allerdings doch ein.
Der KBV-Vorsitzende Dr. Manfred Richter-Reichhelm hatte der Regierungskoalition bereits am Tag nach der Wahl gratuliert. „Jetzt gilt es, das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen“, so Richter-Reichhelm optimistisch. „Wir Kassenärzte haben für viele Probleme Lösungen ausgearbeitet. Wir möchten die Bundesregierung davon überzeugen, dass diese sinnvoll sind.“ Die KBV sei jederzeit zu Gesprächen bereit.
Regierung schafft es nicht
Gleichzeitig fordert Richter-Reichhelm die Regierung auf, Fremdleistungen, wie Mutterschafts- und Sterbegeld, aus der gesetzlichen Krankenversicherung auszuklammern: „Wir brauchen jeden Euro für die Versorgung der Kranken.“ Dazu gehöre auch, dass Mehreinnahmen in der GKV dringend nötig seien. „Wenn die Regierung es nicht schafft, die Arbeitslosenzahl zu verringern, muss sie auf andere Weise dafür sorgen, dass die gesetzliche Krankenversicherung so viel Geld hat, dass sie die Versicherten auch angemessen versorgen kann.“
„Eine fruchtbare Streitkultur“ erhofft sich der Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, „bei den anstehenden Auseinandersetzungen mit der neu gewählten Regierung“. Die BZÄK wolle gerne ihren Teil beitragen, zeitgemäße Lösungen für den Gesundheitssektor zu entwickeln. Was es allerdings nicht geben dürfe sei eine „Verwässerung der GOZ hin zu einer reinen Abrechnungsbestimmung“. Deutlich spricht sich Weitkamp auch gegen die jüngst von Ulla Schmidt erneut angekündigten Pläne zur Einführung von Zwangsfortbildungen und Rezertifizierungsmaßnahmen aus.
Auch aus den einzelnen Bundesländern wurden bereits kurz nach der Wahl konkrete Forderungen an die neue, alte Regierung laut. So hat etwa die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Thüringen eine Resolution verfasst, in der sie den neuen Bundestag auffordert, „unverzüglich die notwendigen Schritte dafür einzuleiten“, eine rasche und umfassende Gesundheitsreform umzusetzen.
„Mit der Wiederwahl von Rot-Grün im Bund sind die Probleme, denen sich Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland stellen müssen, nicht geringer geworden“, so KZBV-Vorsitzender Löffler in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Präsidenten der Bayerischen Landeszahnärztekammer, Michael Schwarz. Nur eine umfassende Reform könne die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesens in Deutschland sicher stellen. Hierbei müsse die Selbstverantwortung aller Beteiligten im Mittelpunkt stehen.