Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen tagten in Leipzig

Von der Sekundärbehandlung von LKG-Spalten bis zum Chronischen Schmerz

Heftarchiv Zahnmedizin
Nach wie vor stellen die Lippen-Kiefer-Gaumenspalten mit einer Ausprägung bei 0,2 Prozent der Neugeborenen die zweithäufigste Fehlbildungsgruppe dar. Bei der Gesamtbehandlung wird zwischen der Primärtherapie, also dem Verschluss der Spalten im frühen Kindesalter und den Sekundärkorrekturen unterschieden, die sich im späteren Kindes- und Jugendalter bedarfsweise anschließen können. Diese Sekundärkorrekturmaßnahmen waren das Hauptthema beim diesjährigen 52. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie (DGMKG) in Leipzig.

Zu den Sekundärkorrekturoperationen gehören die Velopharynxplastik, die heute noch je nach Kollektiv bei bis zu etwa zehn Prozent der Kinder erforderlich ist, die Korrektur der spaltbedingten Nasendysplasie und nicht zuletzt auch die orthognathe Chirurgie spaltbedingter Kieferfehllagen. Auf der Tagung ging es in den einzelnen Beiträgen sowohl um das notwendige Ausmaß von Sekundärkorrekturen wie auch um neue Techniken und Weiterentwicklungen und nicht zuletzt auch die Langzeitbewertung bekannter Therapiekonzepte.

Eine wesentliche Aussage griff Professor Dr. Dr. Ulrich Joos, Münster, in seinem Einleitungsvortrag in das Hauptthema auf. Durch die Anwendung moderner, funktionsorientierter Behandlungskonzepte bei der Primärbehandlung, speziell der subtilen, anatomisch-funktionell orientierten muskulären Rekonstruktion sowohl beim Lippenverschluss wie beim Gaumenverschluss, kann die Notwendigkeit von Sekundärkorrekturen reduziert werden, da ein physiologisches Equilibrium der muskulären Kräfte und Balancen im Gesichtsbereich auch eine Normalisierung des Gesichtswachstums impliziert.

Es muss somit das Ziel jeder Spaltbehandlung sein, die Notwendigkeit von Sekundärkorrekturen auf ein Minimum zu reduzieren.

Sekundärkorrektur: Nase, Lippe und Gaumensegel

Ein wesentlicher Diskussionspunkt hinsichtlich der Korrektur der spaltbedingten Nasendysplasie war das Problem der Columellaverlängerung. Vorgestellt wurden die Methoden nach van der Meulen und der Gabellappenplastik (Professor Dr. Dr. Christopher Mohr, Essen), die Methoden nach Marks-Meyer sowie der „Whiskerlappen“ (Sabine Jonas, Kiel). Diskutiert wurde, dass die Gabellappenplastik trotz ihrer Nachteile (quere Narbe) nach wie vor ihre Indikation bei ausgeprägtem Hautdefizit hat. Nicht immer ausreichend berücksichtigt wurde in der Vergangenheit die Bewertung der Funktion der Nase. Eine Verbesserung der Nasenatmung durch die korrigierende Septorhinoplastik ist nämlich keineswegs selbstverständlich. Eine objektivierbare prä- und postoperative Diagnostik ist zu fordern (Dr. Heike Hümpfner-Hierl, Leipzig). Ein weiterer Punkt war die Bewertung der Ästhetik, wobei von PD Dr. Dr. Hendrik Terheyden, Kiel, aus verschiedenen Parametern ein Score gebildet wurde und die Beurteilung der Ästhetik anhand von Fotografien durch Laien empfohlen wurde.

PD Dr. Dr. Kai-Olaf Henkel, Rostock, stellte funktionelle Ergebnisse des Lippenspaltverschlusses hinsichtlich Lippenkraft, Funktionstonometrie, Artikulation und Atmungstyp vor. Doppelseitige Spaltformen schneiden deutlich schlechter ab, deshalb wurde in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer logopädisch-myofunktionellen Begleittherapie hingewiesen.

Für den Themenbereich Velopharynxplastik berichteten Dr. Christian Kuettner, Hannover, und PD Dr. Dr. Volker Thieme, Bremen über Langzeitergebnisse. Dr. Heiko Landau, Homburg, und PD Dr. Dr. Robert Sader,München, stellten Operationsverfahren vor, wobei mit der in München entwickelten Levatorplastik in den meisten Fällen eine Willküraktivität der transponierten Muskulatur nachweisbar sei.

Distraktion bei Spalt-Mittelgesichtsrücklage

Wesentlichen Raum nahm die Korrektur der spaltbedingten Mittelgesichtshypoplasie beziehungsweise -rücklage ein. PD Dr. Dr. Richard Werkmeister, Münster, hob zunächst die Bedeutung der Schädelbasismorphologie und ihrer Auswertung eindrücklich hervor. In Zukunft könnten auf diesem Wege prädisponierende Faktoren erkannt werden, die eine frühzeitige Intervention bereits vor Wachstumsabschluss ermöglichen würden. Zur Korrektur dieser manchmal sehr ausgeprägten Oberkieferrücklage hat in den letzten Jahren die Distraktionsosteogenese des Mittelgesichts zunehmende Bedeutung gewonnen und sich bewährt, da sie im Vergleich zur konventionellen Oberkieferosteotomie sogar größere Verlagerungen auch bei narbigen Verwachsungen erlaubt. Dabei konkurrieren intraorale mit extraoralen Systemen. PD Dr. Dr. Hans-Florian Zeilhofer, München, stellte Ergebnisse mit intraoralen Distraktoren vor, wobei er auf die Bedeutung der Vektorplanung für die Richtung der Distraktion hinwies. Andere Arbeitsgruppen (Kiel und Leipzig) zeigten Resultate nach extraoraler Distraktion, mit der deutlich größere Strecken als mit dem intraoralen Verfahren bewältigt werden können. Eine wesentliche Frage ist naturgemäß die Langzeitstabilität, zu der inzwischen valide Ergebnisse präsentiert werden können: So betrug in einem Patientengut von 38 Patienten das Zurückgleiten des Oberkiefers nach Distraktion zirka 20 Prozent der Vorverlagerungsstrecke (Dr. Dr. Thomas Hierl, Leipzig). Auch Dr. Björn Möller, Kiel, berichtete, dass nach einem initialen Rückfall von zirka 24 Prozent in der Konsolidierungsphase die Langzeitresultate danach stabil blieben, so dass zunächst eine gewisse Überkorrektur erforderlich ist. Als interessante Alternative zu den extraoralen Verfahren und den bisherigen intraoralen Geräten stellte Dr. Dr. Horst Umstadt, Marburg, einen neuen, in der Kieferhöhle platzierten internen Distraktor vor.

Chronischer Schmerz im Mund,- Kiefer-, Gesichtsbereich

Mit dem „Chronischen Schmerz in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie“ war neben den freien Themen ein Problem angesprochen worden, das auch für die niedergelassenen Kollegen von steigender Bedeutung ist. In drei eingeladenen Vorträgen des Symposiums zum diesem Thema berichtete zunächst Professor Dr. Jürgen Sandkühler, Wien, über die Konditionierung des Schmerzgedächtnisses durch starke Schmerzreize. Er wies auf die körpereigene Schmerzabwehr hin und erläuterte den aktuellen Kenntnisstand über die neurobiologischen Grundlagen der Entstehung des Schmerzgedächtnisses, insbesondere die Rolle von Glutamat als Neurotransmitter und seine Bindung an den so genannten NMDA-Rezeptor (N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor). Letztendlich ist die Entwicklung einer Schmerzkrankheit als Versagen der körpereigenen Schmerzabwehr zu verstehen. In der Konsequenz lassen sich diese Erkenntnisse auch in die Klinik übertragen, indem entweder durch Analgetika und Leitungsblockaden die Freisetzung von Glutamat reduziert wird, die Erregbarkeit der Hinterhornneurone zum Beispiel durch Opioide herabgesetzt wird oder der NMDA-Rezeptor durch Ketamin blockiert wird. Professor Dr. Ulrich-Tiber Egle, Mainz, beleuchtete die psychosomatischen Zusammenhänge bei Schmerzerkrankungen. Dabei spielt auch die Erkenntnis eine Rolle, dass sich die zentrale Stressverarbeitung in Hirnarealen abspielt, die mit den Arealen der Schmerzverarbeitung eng verknüpft sind. Als psychosoziale Modulatoren der Schmerzwahrnehmung spielen psychische Komorbiditäten wie Angst und Depression, die individuelle Vulnerabilität, aber auch die individuell unterschiedliche Schmerzverarbeitung (Aufmerksamkeit und Ablenkung, Copingstrategien, sekundäre Verstärkung) bis hin zu kulturellen Faktoren eine deutliche Rolle. Solche Faktoren sind deshalb grundsätzlich vor einer Behandlungsplanung zu eruieren, was meist nur im Rahmen fachübergreifender Kooperationsstrukturen möglich ist. Professor Dr. Dr. Andreas Bremerich, Bremen, erläuterte die aktuelle Klassifikation chronischer Schmerzen unter klinischen Gesichtspunkten: Craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD), Tumorschmerzen, neuralgiforme Schmerzen, letztere wiederum unterteilt in echte Neuralgien, Neuropathien und atypischen Gesichtsschmerz. So beginnt ein Stufenschema mit transkutaner elektrischer Nervreizung (TENS), dem die medikamentösen Optionen folgen, dann die Glycerininjektionen und schließlich die neurochirurgischen Therapiemöglichkeiten. Es wurde betont, dass Alkoholinjektionen und Exhaireseoperationen heutzutage grundsätzlich als Behandlungsfehler anzusehen seien (abgesehen von seltenen begründeten Ausnahmefällen).

Freie Themen und Workshop

Ein wesentlicher Teil der Beiträge waren der Biologie, Diagnostik und Behandlung von Tumoren im Kiefer-Gesichts-Bereich gewidmet. Dr. Torsten Remmerbach, Leipzig, stellte die Exfoliativzytologie in Kombination mit der DNA-Bild-Zytometrie als treffsichere Untersuchungstechnik zur Früherkennung oraler Schleimhautkarzinome vor. Weitere Beiträge befassten sich mit Expressionsstudien an oralen Plattenepithelkarzinomen, so Dr. Martin Scheer, Köln, der zeigte, dass sich die Her-2/neu-Überexpression (HERCEPTest) zwar nicht mit dem klinischen Verlauf korrelieren ließ, aber die prinzipielle Möglichkeit der gezielten Antikörpertherapie mit Trastuzumab in Aussicht stellt. Nach PD Dr. Dr. Reinhard Friedrich, Hamburg, können Multidrug-Resistance-Gene auch in oralen Plattenepithelkarzinomen hochreguliert werden und Hinweise auf den Therapieverlauf geben. Eingehend untersucht (mit Echtzeit-MRI, Röntgenkinematographie, akustischen Analysen) wurden von Katalin Mady, München, wie beschränkt funktionelle Verbesserung der Zungenlösung nach Tumorresektionen ist.

Zwei Sitzungsabschnitte der Freien Themen beschäftigten sich mit Geweberegeneration und dem Tissue Engineering. Eine verbesserte Methodik zur Kryokonservierung autologen Knochens stellte Professor Dr. Dr. Alexander Kübler, Köln, vor. Nochmals kontrovers diskutiert wurde der Nutzen von Platelet rich plasma (PRP) in der Knochenregeneration, obwohl in drei Beiträgen (PD Dr. Dr. Hendrik Terheyden, Kiel, PD Dr. Dr. Hans-Albert Merten, Göttingen, Dr. Dr. Kristian Würzler, Würzburg) sowohl in vivo als auch in vitro weder eine Beschleunigung noch eine Verbesserung der Knochenbildung durch PRP gezeigt werden konnten. In keiner dieser drei Studien konnte ein Nutzen von PRP bei der knöchernen Regeneration belegt und PRP keinesfalls als Ersatz für den künftigen Einsatz osteoinduktiver Wachstumsfaktoren empfohlen werden.

Beim Tissue Engineering lag der Schwerpunkt des Interesses auf Ansätzen für den Knochenersatz, insbesondere da hier auch erste klinische Einsätze erfolgt sind. Professor Dr. Dr. Robert Gassner, Pittsburgh, stellte resorbierbare Polyurethanschäume als Matrix für das Tissue Engineering vor. Hervorgehoben wurde die Gefäßeinsprossung nach Implantation der Schäume im Tiermodell. Einen klinischen Ansatz für das Tissue Engineering von Knochen zeigte PD Dr. Dr. Günter Lauer, Dresden, vor, der Osteoblasten auf Kollagenmatrizes aufgebracht und bei fünf Patienten zur Alveolarkammaugmentation und bei einer Kieferspaltosteoplastik verwandt hatte. Es konnte spongiöser Knochen nachgewiesen werden, allerdings war jeweils die Abdeckung mit einem Titanmesh als Spacer erforderlich. Die Freiburger / Berliner Arbeitsgruppe um Dr. Dr. Ronald Schimming zeigte klinische Ergebnisse ihres knöchernen Tissue-Engineering-Ansatzes. In einem Teil der Fälle konnte drei Monate nach Transplantation histologisch eine beginnende Ossifikation nachgewiesen werden. In einem großen Teil der Fälle wurden allerdings konventionelle Re-Augmentationen erforderlich.

Erstmals wurde im Rahmen des Kongresses ein Workshop zu Themen der Ästhetischen Chirurgie durchgeführt. Der Workshop mit dem Thema Blepharoplastik gliederte sich in ein Symposium, bei dem Anatomie, Chirurgie und mögliche Komplikationen diskutiert wurden, und in einem praktisch-anatomischen Kursteil. Das große Interesse lässt erwarten, dass derartige fortbildungsorientierte Veranstaltungen auch zukünftig begleitend zum Kongress durchgeführt werden.

Priv.-Doz. Dr.. Dr. Bernhard Frerich,

Dr. Dr. Thomas Hierl

Klinik und Poliklinik für Mund-,

Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der

Universität Leipzig,

Nürnberger Str. 57,

D-04103 Leipzig,

E-Mail:

mkg@medizin.uni-leipzig.de

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