Damoklesschwert über Ulla Schmidt
Kaum Überraschungen dürfte das Finanzergebnis der GKV des Jahres 2001 enthalten, das Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in den nächsten Tagen verkünden wird. Sie wird ein Defizit von mindestens zwei Milliarden Euro zu rechtfertigen haben, einen bundesdurchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz von knapp über 14 Prozent, überdurchschnittlich gestiegene Arzneimittelkosten – und die Tatsache, dass sie nach dem weitgehenden Abschluss der gesundheitspolitischen Gesetzgebung über keinerlei Möglichkeiten mehr verfügt, einem weiteren Anstieg des Defizits im Jahr 2002 zu begegnen.
Für Ulla Schmidt ist diese Situation einigermaßen fatal. Bei allen Bemühungen um eine Verbesserung der Versorgungsqualität, um einen gerechteren Finanzausgleich zwischen den Kassen oder auch um die Entspannung des Klimas zwischen Politik und Leistungserbringern: Der Erfolg oder Misserfolg ihrer Gesundheitspolitik wird immer noch hauptsächlich daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, die finanzielle Entwicklung der GKV stabil zu halten. Nichts deutet gegenwärtig darauf hin, dass ihr dies gelingen könnte. Ulla Schmidt ist für diese Situation verantwortlich, wenn auch nicht unbedingt daran schuld. Die durch die Gesundheitsreform 2000 verursachten Leistungsausweitungen fielen noch in die Amtszeit ihrer Vorgängerin Andrea Fischer, ebenso wie der überdurchschnittliche Anstieg bei den Arzneimittelkosten. Diese wuchsen bereits deutlich oberhalb der Grundlohnentwicklung, bevor Ulla Schmidt die Abschaffung der Arzneimittelbudgets angekündigt hatte. Und in die Reform des Risikostrukturausgleichs haben sie vor allem der Bundeskanzler sowie die GKVSpitzenverbände getrieben – mit der fatalen Verunglimpfung günstiger Beitragssätze als „Risikoentmischung“ und „Entsolidarisierung“. Nicht zuletzt der in der letzten Zeit wiederholt gemachte Hinweis der Ministerin, der ab Anfang des Jahres wieder mögliche Wechsel zu günstigeren Kassen werde eine Entlastung bei der Beitragsentwicklung bringen, zeugt von der Konzeptions- und Hilflosigkeit, mit der die RSA-Reform durch die Koalition angegangen wurde. Hier trägt die Ministerin allerdings eindeutig die Verantwortung – sie wird sich weder hinter den Vorständen der Spitzenverbände noch hinter ihren wissenschaftlichen Beratern verstecken können.
Alleine verantwortlich ist die Ministerin auch für die Steuerungsinstrumente, durch die sie die Arzneimittelbudgets ersetzt hat. Deswegen wird der Entwicklung der Ausgaben gerade in diesem Leistungsbereich bis zur Bundestagswahl einige Bedeutung zukommen. Werden die auf der Ebene der Selbstverwaltung abzuschließenden „Zielvereinbarungen“ tatsächlich Kosten dämpfend wirken? Welche Entlastungen bringen die Instrumente des Arzneimittelausgaben- Begrenzungsgesetzes? Die Antwort auf diese Fragen wird wie ein Damoklesschwert über dem politischen Schicksal Ulla Schmidts schweben. Sollten sich die eher skeptischen Voraussagen der kundigen Thebaner bewahrheiten, wird der Ministerin kaum etwas anderes übrig bleiben, als bis zur Bundestagswahl hilflos den davongaloppierenden Kosten zuzuschauen – eine Möglichkeit, politisch darauf zu reagieren, besitzt sie nicht mehr.
Tritt dieses Szenario ein, wird die neue Bundesregierung keine andere Möglichkeit haben, als unmittelbar nach der Wahl kräftig auf die Kostendämpfungsbremse zu treten. Dies gilt dann für jede sich abzeichnende Koalitionskonstellation. Aber selbst bei einer Fortsetzung der Regierungsverantwortung unter der Führung der Sozialdemokratie scheint es doch gegenwärtig eher unwahrscheinlich, dass man sich wiederum auf Ulla Schmidt als „Zuchtmeisterin“ einlassen wird. Schließlich hat sie die durch die wenig populäre Ökosteuer in der Rentenversicherung abgesenkten Prozentpunkte durch auf breiter Front steigende Beitragssätze in der GKV weitgehend verfrühstückt. Ihre potentiellen Nachfolger scharren bereits mit den Füßen, ihr Rückhalt gerade im eigenen Lager wird spürbar geringer.
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