Die systematische endoskopische Untersuchung des Implantatlagers
In der Zahnheilkunde wird die Endoskopie von Held et al. [1996] für endodontischchirurgische Maßnahmen empfohlen, um so eine verbesserte Sicht bei der retrograden Kavitätenpräparation von Wurzelkanälen zu erhalten. In der Implantologie hat Engelke [2000] über eine gering invasive Form der Sinusbodenaugmentation, die subantroskopisch laterobasale Sinusbodenaugmentation (Salsa) berichtet. Unter endoskopischer Unterstützung wird dabei durch einen fünf Millimeter großen knöchernen Zugang ein Subantralraum zwischen Knochen und Schleimhaut erzeugt, der ohne größere Fensterung eine Augmentation beliebiger Größe erlaubt. Die Anwendung der Endoskopie in der Oralchirurgie scheiterte in der Vergangenheit vorwiegend daran, dass in kleinen Knochenkavitäten durch Verschmutzung mit Blut und Detritus eine klinische Beobachtung der Wandstrukturen nahezu unmöglich war (Abbildung1). Dieses Problem wurde in verschiedenen Ansätzen durch methodische Weiterentwicklung speziell für die Oralchirurgie gelöst. Die Endoskopie mit kleinen, ursprünglich für die Kiefergelenksdiagnostik verwendeten Endoskopen zur Untersuchung von Implantatkavitäten, zusammen mit einem Stütz-Spülschaft wurde 2001 erstmals an der Universität Göttingen methodisch beschrieben [Engelke 2001]. Sie hat sich innerhalb kurzer Zeit zu einem Routineverfahren entwickelt, das heute bei jeder Kavitätenpräparation in der Implantation angewendet wird. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die endoskopische Untersuchung von Implantatkavitäten einschließlich ihrer Computerdokumentation zu beschreiben und die intraoperative Strukturklassifizierung von Implantatkavitäten vorzustellen.
Methode
Zur Untersuchung der Implantatkavitäten wurde eine neue endoskopische Untersuchungstechnik, die Stützimmersionsendoskopie (SIE) eingesetzt. Wir verwenden eine Storz-Hopkins 1,9 Millimeter Optik, ursprünglich zur Kiefergelenkendoskopie eingesetzt, mit angeschlossener Lichtquelle, Kameraeinheit und Videorekorder sowie den Stütz-Spülschaft nach Engelke. Von den verfügbaren Endoskopen mit 30 Grad Vorausblick und 70 Grad Seitblick kommt in der Regel für eine Übersichtsbeobachtung die 30 Grad Optik zum Einsatz. Lediglich bei unmittelbarer Nahbeobachtung von Knochenwandstrukturen oder bei Verwendung in distalen Seitenzahnregionen wird die 70 Grad Optik verwendet. Beide Optiken können mit demselben Stütz-Spülschaft verwendet werden (Abbildung 2). Der Stütz-Spülschaft wird zuvor auf das Endoskop aufgesetzt und verriegelt. Zusammen mit dem Stütz-Spülschaft hat das Endoskop einen Durchmesser von 2,5 Millimetern.
Die Klassifizierung der Implantatlagerstruktur soll Auskunft darüber geben, ob im Bereich der Interface-Zone eine vorwiegend nutritive (Spongiosa) oder eine vorwiegend stabilisierende Funktion (Kompakta) des Knochenlagers zu erwarten ist. Dazu wurde die Strukturklassifikation (so genannte Knochenqualität) in Anlehnung an Lekholm und Zarb [1985] respektive Misch und Judy [1993] verwendet. Die Strukturklassifizierung wurde geringfügig modifiziert und folgendermaßen definiert:
1
reine Kompakta
2
überwiegend Kompakta (Abbildung 4)
3
überwiegend Spongiosa (Abbildung 5)
4
reine Spongiosa
Die Kavitätenendoskopie zur Strukturklassifizierung erfolgt, nachdem die Implantatkavität auf einen Durchmesser von drei Millimetern aufbereitet wurde, also vor der definierten Aufbereitung auf einen Standarddurchmesser. Auf diese Weise lassen sich später Feinkorrekturen bei der Aufbereitung der Implantatkavität anschließen. Zunächst wird das Endoskop im Kavitäteneingang platziert, um eine Übersichtsdarstellung der Kavität zu gewinnen. Durch intermittierende oder kontinuierliche laminäre Spülung mittels Endoskop werden Detritus und Blut entfernt und somit eine klare Sicht auf die Wandstrukturen der Implantatkavität erreicht. Die hohe Tiefenschärfe der Optik erlaubt dabei, simultan die apikalen und zervikalen Bereiche der Kavität zu betrachten (Abbildung 3) und eine Strukturklassifizierung vorzunehmen. In Fällen stärkerer Blutungen ist eine Übersichtsdarstellung nicht zu erhalten, in diesem Fall erfolgt eine abschnittweise Untersuchung der Kavität aus kurzer Distanz. Dabei wird das Endoskop von apikal nach zervikal geführt und die Struktur der Wandabschnitte dokumentiert. Die integrierte Spülfunktion erlaubt auch unter Bedingungen stärkerer Blutungen eine Beobachtung der Kavitätenwandstruktur, allerdings aus kürzerer Distanz, um das Spülmedium ausreichend schnell unter laminärer Strömung auszutauschen.
Die Dokumentation erfolgt mit dem ImPlan-Programm [Engelke und Hoch 2002] zahnregionspezifisch (Abbildung 8). Die Bilddaten werden während der endoskopischen Untersuchung kontinuierlich in einem Fenster angezeigt und können per Mausklick einer entsprechenden Region zugeordnet und abgelegt werden. Die endoskopischen Bilder können entweder als Übersicht über die Kavität oder – bei Nahbeobachtung – in den drei Ebenen zervikal, intermediär und basal-apikal im Befundschema angeordnet werden (Abbildungen 6 und 7). Die Befundzuordnung erfolgt unmittelbar während der Untersuchung und erspart spätere langwierige Analysen von Videobän- dern. Zusätzlich kann die Untersuchung wie bisher über einen Videorekorder dokumentiert werden. Auf diese Weise erfolgt ein systematisches „Bone-mapping“, also eine Übersicht über die Knochenstruktur im Implantatlager unmittelbar vor der Implantatinsertion.
Das Implantatinterface kann endoskopisch in einen basalen, einen intermediären und einen crestalen Abschnitt unterteilt werden (Abbildungen 6 und 7). Durch Übersichtsdarstellung, oder abschnittweise unter direkter Nahbeobachtung, wird die Knochenstruktur bestimmt. Für die Zwecke dieser klinischen Pilotuntersuchung wurde für jede Implantatkavität die Knochenstruktur integrierend bestimmt.
Ergebnisse
Untersucht und klassifiziert wurden 103 Implantatkavitäten von zehn bis 15 Millimetern Länge und 3,25 – 3,75 Millimetern Durchmesser bei 47 Patienten (28 weibliche, 19 männliche, Alter 24 bis 79 Jahre). Davon entfielen auf den anterioren Unterkiefer 38 Kavitäten, den seitlichen Unterkiefer 26 Kavitäten, den anterioren Oberkiefer 25 und den seitlichen Oberkiefer 14 Kavitäten. Von den 103 Kavitäten konnten zwei wegen stärkerer Blutungen nicht untersucht werden.
Diskussion
Eine Befunderhebung des knöchernen Implantatlagers scheiterte bisher an methodischen Unzulänglichkeiten bei der in-vivo-Beobachtung von Knochenstrukturen in kleinen Hohlräumen. Die bisherige Anwendung der Endoskopie im Rahmen der Implantologie war gekennzeichnet durch erhebliche Probleme durch Verschmutzung des Endoskopes bei der Anwendung in einem blutenden Operationsfeld und durch Probleme bei der Fokussierung des zu beobachtenden Objektes. Die konventionelle Endoskopie ebenso wie die Verwendung so genannter intraoraler Kameras ist bisher dadurch eingeschränkt, dass eine zeitraubende Reinigung des Endoskopes beziehungsweise des Kamerafensters während des Eingriffes erfolgen muss. Sie stört den Arbeitsablauf und macht die Anwendung bis auf Einzelfälle unmöglich.
Durch die Entwicklung der SIE [Engelke 2001] wurde eine exakte Befunderhebung erstmals verwirklicht. Die Befunderhebung wird jedoch nur dann sinnvoll nutzbar, wenn gleichzeitig die systematische Archivierung der gewonnenen Bilddaten in einer für den Zahnarzt vertrauten Form noch intra operationem erfolgen kann. Eine nachträgliche Auswahl von Bildsequenzen aus einem Videomitschnitt hat sich als außerordentlich mühsam herausgestellt und ist für eine systematische Befunderhebung kontraproduktiv. Die sofortige Ablage von intra operationem gewonnenen endoskopischen Bildern ermöglicht jetzt eine systematische Form der Befunderhebung ähnlich der Befunderhebung des Knochenlagers auf radiologischer Grundlage in der Planungsphase [Engelke 2001, Engelke & Hoch 2002]. Die Speicherung der Daten bietet eine sichere Grundlage zur Beurteilung des Implantatlagers unmittelbar vor dem Inserieren des Implantates und ergänzt somit die präoperative Planung durch bisher nicht verfügbare objektive Bilder. Die Methode ist einfach in der Anwendung und erfordert für den Ungeübten nur eine kurze Trainingsphase. Die endoskopische Übersichtsaufnahme von Kavitäten gehört an der Göttinger Klinik bereits zur Routine und verlängert die OPZeit nur um Minuten. Insbesondere bei der Implantation im seitlichen Unterkiefer in Nervnähe ist die Endoskopie zur Beweisführung einer den Regeln ärztlicher Kunst entsprechenden Insertionstechnik von Bedeutung. Die Beurteilung des internen Sinusliftes kann mit Hilfe der Endoskopie auf eine deutlich verbesserte Grundlage gestellt werden. Im Hinblick auf Frühbelastbarkeit wird durch diese Diagnostik mit Lokalisation von Kortikalis und Spongiosazonen die Therapieentscheidung auf eine sichere klinische Basis gestellt.
Die ersten Ergebnisse von Knochenstruktur am Implantatinterface auf der Basis endoskopischer Aufzeichnungen zeigte grundsätzlich erwartungsgemäß Unterschiede in der Struktur des Implantatlagers der einzelnen Regionen: So wurde die Klasse 1 am häufigsten in der anterioren Unterkieferregion beobachtet, insbesondere dann, wenn in den stark reduzierten Kieferkamm implantiert wurde. Auch im Oberkiefer wurden Kavitäten der Klasse 1 beobachtet, hier handelte es sich um Kavitäten, die bei starker Atrophie in den knöchernen Nasenboden extendiert worden waren. Im seitlichen Unterkiefer wurde grundsätzlich unterhalb der crestalen Kompaktazone spongiöser Knochen beobachtet, so dass eine Klasse 1 nicht beobachtet wurde. Der laterale Oberkiefer war gekennzeichnet durch die höchste Anzahl von Klasse 3- und Klasse 4-Knochen.
Die derzeitige Untersuchungstechnik mit integrierter Beurteilung des gesamten Interfaces lehnt sich an die Konzepte von Lekholm und Zarb an und beschreibt die Struktur des Implantatinterfaces in vier Kategorien oder Klassen. Diese Vorgehensweise haben wir für die vorliegende Untersuchung angewendet. Bei genauer Betrachtung des Bildmaterials wird deutlich, dass in Zukunft eine weitere Differenzierung des inhomogenen Implantatinterfaces mit endoskopischen Mitteln möglich erscheint. In einer Arbeit von You et al. konnte in vitro für Zwei-Millimeter-Kortikalisproben eine Stabilität von Knochenschrauben gezeigt werden, die für die Einleitung von Kaukräften in den Kiefer angemessen wäre (in einer Größenordnung von bis zu 200 N). Nimmt man eine zwei Millimeter messende Kortikalisschicht als Grundlage auch zur Entscheidungsfindung über die Sofortbelastung von Implantaten, so ließe sich endoskopisch eine solche Überprüfung in situ jederzeit durchführen. Vorzugsweise sollte dabei in Zukunft eine abschnittweise Untersuchung des Implantatlagers in mehreren Zonen erfolgen und die bisherige generalisierende Betrachtungsweise des Knochens am Interface durch eine biomechanisch begründbare und klinisch realisierbare intraoperative Diagnostik ersetzt werden.
Die erhobenen pathologischen Befunde zeigten, dass die Endoskopie einen großen Beitrag zur Therapiesicherheit in der Implantologie liefern kann. Gerade in Hinblick auf die Identifizierung von Defekten des Implantatlagers, zum Beispiel von Fenestrationen, zur Beurteilung des apicalen Bereiches bei Präparation in Nervnähe oder unter dem Kieferhöhlenboden und generell zur Kontrolle des Implantatlagers vor Insertion im Hinblick auf verbliebene Knochenpartikel, Fremdkörper oder andere Verschmutzungen ergeben sich neue wesentliche Aspekte der Therapiesicherheit. Der volle Wert dieser Methode wird sich erst in Zukunft zeigen.
Als Ergänzung zu Navigationssystemen und präzisen präoperativen diagnostischen Maßnahmen wird das Endoskop in Zukunft das diagnostische Spektrum des Implantologen bereichern und zu einer Reduktion der Invasivität der Implantatchirurgie beitragen.
Prof. Dr. Dr. Wilfried Engelke
Dipl.-Phys. Gerhard Hoch
ZMK-Klinik
Robert-Koch-Str. 40
37075 Göttingen