Leitartikel

Geht aus Eurem Kasten

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der Bundestagswahlkampf ist nicht gerade „Hoch“-Zeit für Erfolge sachgerechter gesundheitspolitischer Arbeit. Selbst ansonsten recht fachkundigen Politikern fällt es in der Regel schwer, sich auf die oft genug komplizierten und nicht gerade leicht verständlichen Argumente unterschiedlichster Lobbyisten einzulassen, sobald sie mit allen Sinnen auf Stimmenfang sind. Fehlt es noch dazu an politischer Fortune, neigt mancher Ministerielle zu Kurzschluss-Reaktionen und blinder Hektik, dazu angetan, uns Zahnärzten auch noch das letzte Bisschen an Zuversicht zu rauben, dass Demokratie Raum für Vernunft und sachliche Auseinandersetzung lässt.

Dennoch: Wollen wir als Teil dieser Gesellschaft ernst genommen, in unserem Selbstverständnis als verantwortungsvolle Kräfte von den anderen Gruppen dieses Staates anerkannt werden, dann müssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unsere Gesprächsbereitschaft wahren. Viel beharrlicher als bisher müssen wir nach außen zeigen, dass wir uns selbst als Teil dieser Gesellschaft begreifen. Hierbei ist besserwisserisches Elfenbeinturm-Gehabe ebenso kontraindiziert wie der frustrierte Rückzug aus zugegeben oft heillos erscheinendem Durcheinander gesetzgeberischer Diskussionen.

Sicher waren die Erfahrungen der letzten Jahre mit ihrer ganzen Sintflut ärzte- und patientenfeindlicher Entscheidungen bis hin zu beleidigenden Angriffen auf unseren Berufsstand durchaus dazu angetan, dass sich mancher Kollege nach archetypischer Manier in den begrenzten, aber sicheren Bereich des zahnmedizinischen Alltags und innerdisziplinären Austausches jenseits der „ach so feindlich gesinnten“ Außenwelt zurückgezogen hat. Hier war man Mensch, hier durfte man es sein. Man blieb unter sich, fühlte sich verstanden und lebte in trügerischer Bequemlichkeit dahin.

Wie im biblischen Motiv um Noahs Arche kann man sich im Halbdunkel des sicheren Kastens natürlich über lange Zeit mit immer den gleichen Geschichten gegenseitig Sympathie bestätigen und Hoffnung spenden. Ändern wird man nichts. Denn diese vordergründig heile Welt bietet auf Dauer weder beruflich noch gesellschaftlich ein wirklich zufrieden stellendes Leben. Wer nicht erkennt, dass es hier auf Dauer weder Licht noch Nahrung geben kann, agiert unverantwortlich, versündigt sich an unseren Zielen wie an unserem Berufsstand.

Um im Gleichnis zu bleiben: Auf dem Trockenen sitzen wir Zahnärzte seit langem. Daher verwundert, dass es immer noch viele unter uns gibt, die meinen, dass mit ewig gleicher Leier in dieser Gesellschaft noch Land gewonnen werden kann. Hier müsste schon längst ein Ruck durch unsere Berufsgruppe gegangen sein.

Deshalb: Geht aus Eurem Kasten. Unsere Berufsgruppe muss sich wieder frei in dieser Gesellschaft bewegen. Sie kann sich auf Dauer nicht selbst genug sein. Nur wer mit anderen in deren Sprache spricht, wer auf andere offen zugeht statt immer die gleiche Taube loszuschicken, die nach genehmen Gefilden Ausschau halten soll, nur der kann wirklich feststellen, wie sich das vorgefundene gesellschaftspolitische Umfeld mit anderen gemeinsam gestalten lässt.

Dass das keine überkommenen Märchen, sondern „Gleichnisse“ mit ernstem Hintergrund sind, zeigt ein Erfolgsbeispiel, das sogar in Wahlkampfzeiten möglich wurde: Auch wenn aus unserer Warte die Diskussion am „Runden Tisch“ des Gesundheitswesens bisher zeigte, dass es zurzeit kaum möglich ist, trockenen Fußes voran zu kommen, so stellt die von uns im Gespräch abgerungene Arbeitsgruppe „Zahnheilkunde“ genau den Weg dar, der neue Chancen eröffnet. In den vergangenen Jahren hat gerade das Handeln, das durch seriöses, offenes, sachliches, aber beharrliches Auftreten geprägt war, zahnärztliche Ideen hoffähig gemacht. Kreativität, Flexibilität und Einsatzwille zählen. Wer das anders sieht, soll ruhig im Kasten bleiben und den Deckel gleich zumachen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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