Patienten werden abgewiesen
Neue Erhebungen des britischen Verbraucherverbandes ergaben Erschreckendes: Zwei von fünf britischen Zahnarztpraxen weisen heute grundsätzlich NHS-Patienten ab.
Der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete NHS verspricht Patienten grundsätzlich eine kostenlose Gesundheitsversorgung inklusive zahnmedizinischer Versorgung. Premierminister Tony Blair hatte die Unterhauswahlen von 1997 und 2001 unter anderem mit dem Versprechen gewonnen, die staatliche zahnärztliche Versorgung nach vielen krisengeschüttelten Jahren endlich wieder auf Vordermann bringen zu wollen. Konkret versprach Blair: Bis September 2001 wird es wieder allen Patienten möglich sein, in der Nähe ihres Wohnortes einen NHS-Zahnarzt zu finden, der auch bereit ist, sie zu behandeln.
Ziel verfehlt
Dieses Ziel wurde eindeutig verfehlt, wie eine neue Untersuchung des Verbraucherverbandes Consumers Association (CA) eindrucksvoll belegt. Von den insgesamt 730 unter die Lupe genommen britischen Zahnarztpraxen verweigern rund 40 Prozent die Annahme von neuen NHS-Patienten. In bestimmten Gegenden, wie Shropshire und Cornwall, haben inzwischen sogar drei von vier Zahnarztpraxen keine Zeit mehr für Staatspatienten. Damit ist die Versorgungslage schlimmer als je zuvor. Die Patienten haben dann entweder die Wahl, für ihre Behandlung privat zu bezahlen. Oder weiterhin Zahnschmerzen zu haben. Hauptgrund für die Weigerung immer mehr britischer Kolleginnen und Kollegen, Staatspatienten zu behandeln, sind die schlechten Honorare. Oftmals reichen die vom NHS erstatteten Kosten kaum, um die Materialkosten zu decken. „Wer heute noch NHS-Patienten behandelt, muss Idealist sein“, lautet die Einschätzung des Londoner Zahnarztes Dr. Mike Wilson. Dr. Wilson behandelt in seiner Praxis in Süd-London sowohl Privat- als auch NHS-Patienten. Die Privatpatienten halten die Praxis wirtschaftlich über Wasser. Eine andere Behauptung von Tony Blair und Gesundheitsminister Alan Milburn wurde von der CA ebenfalls als Lüge entlarvt. Ein Anruf beim kostenlosen Telefonberatungsdienst „NHS Direct“ genüge, um eine NHS-Zahnarztpraxis in unmittelbarer Nähe des Wohnortes des Patienten zu finden. CA-Anrufer aus 20 Städten und Gemeinden zwischen Belfast in Nord-Irland und Bournemouth in Süd-England wollten von „NHS Direct“ wissen, wo die nächste NHS-Zahnarztpraxis ist. In lediglich sieben Fällen wussten die Telefonhelfer Bescheid. Einigen Anrufern wurde geraten, in den Gelben Seiten nachzuschlagen. Das ist in England wenig hilfreich, da dort nie gesagt wird, ob es sich um eine private oder um eine NHS-Praxis handelt.
Staatliche Zahnmedizin bankrott
Der Chief Dental Officer der Londoner Regierung, Dame Margaret Seward, räumte öffentlich ein: „Es gibt Probleme im zahnmedizinischen Staatssektor.“ Und der britische Zahnärzteverband (British Dental Association, BDA) stimmt dem zu. „Die staatliche Zahnmedizin ist bankrott und muss dringend repariert werden!“, so BDA-Sprecher Iran Wylie in London. „Tausende Kolleginnen und Kollegen mussten in den vergangenen Jahren die Erfahrung machen, dass sie nur noch dann eine vernünftige Versorgung gewährleisten können, wenn sie privat praktizieren.“
Die BDA schätzt, dass ein britischer Zahnarzt pro Tag „mindestens 40 Patienten“ behandeln muss, um wirtschaftlich auch nur halbwegs über die Runden zu kommen. Und: Nur wenn der NHS-Zahnarzt einen Check-up innerhalb von sechs Minuten durchführt, rechne sich das noch, so die BDA.
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