Späte Reaktion
Das Problem ist mittlerweile zehn Jahre alt. Bemerkt wurde es allerdings erst vor zweien. Im März 2000 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe die Regelung als gleichheitswidrig beanstandet, nach der freiwillig versicherte Rentner wesentlich höhere GKV-Beiträge zahlen müssen als pfichtversicherte.
Das 1992 von der alten Bundesregierung verabschiedete Gesundheitsstrukturgesetz sei in diesem Punkt verfassungswidrig. Denn hiermit seien zwei Gruppen von Rentnern geschaffen worden – solche, die während ihres gesamten Arbeitslebens pflichtversichert waren und jene, die (auch nur zeitweise) freiwillig versichert waren, weil sie die Beitragsbemessungsgrenze überschritten hatten. Wer in diesem Moment nämlich nicht in eine private Krankenkasse wechselte, sondern in der GKV blieb, zahlt seit 1993 unter Umständen doppelt soviel wie pflichtversicherte Rentner. Das liegt daran, dass bei freiwillig Versicherten nicht nur Rente und ähnliche Altersbezüge zur Beitragsberechnung herangezogen werden, sondern auch Vermögenseinkünfte, zum Beispiel Mieteinnahmen oder Zinsen.
Beispielrechnung
Eine Beispielrechnung der Verfassungsrichter: Bezieht ein pflichtversicherter Rentner neben seiner Rente von 1000 Euro zusätzlich noch Altersvorsorge, verdient außerdem noch 500 Euro durch selbständige Erwerbstätigkeit und erzielt 500 Euro durch Miet- und Zinseinnahmen, zahlt er monatlich rund 125 Euro für seine Krankenversicherung. Ein freiwillig versicherter Rentner mit dem exakt gleichen Einkommen zahlt hingegen fast 250 Euro. Diese Regelung, so das BVG, ginge von der Annahme aus, dass freiwillig Versicherte mehr verdienen und während ihres beruflichen Lebens mehr Vermögen bilden. Das sei allerdings falsch, zumal heutzutage Vermögen nicht nur durch Löhne und Gehälter, sondern auch durch Erbschaften gebildet würde; wovon wiederum auch Pflichtversicherte profitieren. Kurzum: Die Karlsruher Richter verdonnerten den Gesetzgeber dazu, bis zum 31. März 2002 eine neue Regelung zu finden.
Nach langem Suchen hat er das nun anscheinend auch. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt kündigte Ende Januar an, dass freiwillig versicherte Rentner bei der GKV-Beitragsbemessung künftig wieder behandelt werden sollen wie pflichtversicherte Rentner. „Der Eintritt der Versicherungspflicht führt zu einer deutlichen Beitragsentlastung des überwiegenden Teils der bislang freiwillig Versicherten“, so Schmidt, „weil diese zukünftig geringere Beiträge auf Versorgungsbezüge entrichten müssen und weil die Beitragspflicht auf sonstige Einnahmen entfällt.“ Allerdings, so die Ministerin, nehme diese Lösung keine Entscheidung darüber vorweg, wie das GKV-Beitragsrecht künftig zu gestalten ist. „Die jetzige Lösung entspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und vermeidet gleichzeitig, dass gerade Menschen mit wenig Einkommen im Alter schlechter gestellt werden.“ In der ersten Februar-Woche wurde der entsprechende Gesetzentwurf von Koalitiosfraktionen und Kabinett beraten und beschlossen.
Die Opposition allerdings hat angesichts des nahenden Urnengangs nur eine wenig schmeichelhafte Beschreibung für die ministeriale Neuregelung gefunden: „Wahlgeschenk“. Die Krankenkassen müssten jetzt mit zusätzlichen Einnahmeverlusten im zweistelligen Euro-Millionen-Bereich rechnen. Erste Reaktion auf Schmidts Ankündigung war daher eine „Kleine Anfrage“ der CDU/CSU-Gesundheitsexperten. So wird etwa bemängelt, dass die Regierung „erst jetzt, nach fast zwei Jahren“ auf die BVG-Entscheidung reagiert.
Zusatzeinkünfte
Nach Angaben der Kassen könnte die neue Regelung bis zu 1,2 Millionen Rentner betreffen. Genaue Zahlen sind aber nicht verfügbar. Und: Niemand weiß genau, wie viele der freiwillig versicherten Rentner ihre Zusatzeinkünfte den Kassen auch tatsächlich melden – und wenn, in welcher Höhe. Aber nicht nur die Kassen sind verwirrt, ihre Versicherten sind es auch. Wie die AOK Schleswig-Holstein berichtet, sind viele Rentner über ihre künftige Krankenversicherung verunsichert.
„Alle wollen wissen, ob sie von den zu erwartenden Veränderungen betroffen sind“, so AOK-Sprecher Dieter Konietzko. Seiner Ansicht nach müssen nur Rentner mit Beitragserhöhungen rechnen, die ausschließlich eine gesetzliche Rente erhalten und keine Versorgungsbezüge, wie etwa Betriebsrenten. Allerdings könnten diese dann weiterhin freiwillig versichert bleiben – und hätten keinen Nachteil aus der Neuregelung. dev